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Die SN1-Reaktion näher betrachtet Q1, Q2

Grundlagen - Kinetik - SN2 - SN2-Mechanismus - SN1 - SN1-Mechanismus - Konkurrenz

Voraussetzungen

Wenn Sie diese Seite erfolgreich durcharbeiten wollen, sollten Sie folgende Kenntnisse haben:

Lernziele

Wenn Sie diese Seite durchgearbeitet haben, sollten Sie wissen

  • dass auch primäre Alkohole eine SN1-Reaktion durchlaufen, wenn eine Säure die Reaktion katalysiert,
  • dass diese Reaktion in drei Schritten abläuft,
  • wie diese drei Schritte aussehen,
  • wie man das Energiediagramm einer SN1-Reaktion zeichnet und erklärt.

Hier wird der säurekatalysierte Mechanismus der Bromierung von Ethanol besprochen, einem Versuch, den ich früher immer als Schülerversuch in der Stufe Q1 durchführen ließ, nach der Beschreibung in dem alten DDR-Buch "Chemische Schulexperimente" von JUST und HRADETZKY. Bei diesem Versuch, der nach den heutigen Sicherheitsbestimmungen in der Schule nicht mehr durchgeführt werden darf, weil das Reaktionsprodukt zu gefährlich ist, werden 3 ml Ethanol mit 3 g Kaliumbromid und 3 ml konz. Schwefelsäure in einem Reagenzglas erhitzt. Die Dämpfe werden gekühlt und kondensieren dann in einem zweiten wassergekühlten Reagenzglas. Das Reaktionsprodukt tropft in Form dicker milchiger Tropfen in das gekühlte Reagenzglas.

Bromierung von Ethanol im Schulversuch
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

Hier sieht man die Versuchsapparatur. Links das Reagenzglas mit dem Eduktgemisch und das wassergekühlte Reagenzglas zum Auffangen des Produkts; rechts das Produkt Bromethan, das allerdings durch übergekochtes Edukt leicht bräunlich gefärbt ist. Die Schüler waren mal wieder nicht vorsichtig genug. Die Substitutionsreaktion verläuft als SN1 in zwei Schritten, denen aber noch ein vorbereitender Schritt vorgelagert ist, also eigentlich in drei Schritten.

Vorbereitender Schritt

Protonierung des Alkohols
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

Im vorbereitenden Schritt spaltet die Schwefelsäure ein Proton ab, welches sich dann an ein Elektronenpaar des alkoholischen Sauerstoff-Atoms setzt. Es entsteht ein Oxonium-Ion mit einem positiv geladenem dreibindigen O-Atom - ein äußerst instabiler Zustand, der dann in den Schritt 1 überleitet.

Schritt 1

Der erste "richtige" Reaktionsschritt besteht in der Abgabe eines Wasser-Moleküls. Wasser ist aus energetischer Sicht eine sehr stabile Verbindung. Viele chemische Reaktionen finden nur deswegen statt, weil dabei Wasser freigesetzt wird. Man denke hier an die zahlreichen Kondensationsreaktionen, die man aus der Biologie und Biochemie kennt (Bildung von Peptiden aus Aminosäuren, Entstehung von Zweifach- und Viefachzuckern aus Monosacchariden, Bildung von Fettmolekülen aus Glycerin und Fettsäuren etc.).

Abgabe von Wasser, Bildung eines Carbenium-Ions
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

In diesem ersten "richtigen" Schritt der Substitution bildet sich ein primäres Carbenium-Ion, also ein sehr instabiles Zwischenprodukt. Theoretisch könnte der Alkohol zwar die OH-Gruppe direkt abgeben, aber durch die Anlagerung des Protons wird dieser Schritt sehr erleichtert.

Schritt 2

Anlagerung des Nucleophils Br- führt zum Endprodukt CH3-CH2-Br
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

Im zweiten "richtigen" Reaktionsschritt lagert sich als Nucleophil ein Bromid-Ion an das Carbenium-Ion an. Es entsteht nur ein Reaktionsprodukt, da das Carbenium-C-Atom nicht chiral ist (es hat nicht drei verschiedene Substituenten, sondern nur zwei verschiedene, nämlich eine Methylgruppe und zwei H-Atome).

Fazit

An sich würde ein primärer Alkohol wie Ethanol nicht nach dem SN1-Mechanismus mit einem Nucleophil reagieren. Das primäre Carbenium-Ion, das als Zwischenprodukt entsteht, ist sehr instabil. Tertiäre Carbenium-Ionen sind viel stabiler, und daher reagieren tertiäre Alkohole oder Halogenalkane bevorzugt nach dem SN1-Mechanismus, nicht aber primäre Alkohole oder Halogenalkane.

Dass der Alkohol trotzdem nach dem SN1-Mechanismus reagiert, liegt an dem Einfluss der Säure. Durch die Protonierung der OH-Gruppe im ersten Schritt wird eine Situation geschaffen, die nur durch die Abspaltung eines Wasser-Moleküls entschärft werden kann. Dabei entsteht zwangsläufig ein Carbenium-Ionen, und somit ist der SN1-Mechanismus festgelegt.

Energiebetrachtungen

Energiebetrachtungen

Energiediagramm einer SN1-Reaktion
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

Auf diesem Bild sehen wir das Energiediagramm einer SN1-Reaktion[2]. Das Edukt R-X reagiert mit einem anionischen Nucleophil Y- zum Produkt R-Y.

Der erste Reaktionsschritt hat eine recht hohe Aktivierungsenergie EA1, weil eine Bindung heterolytisch gespalten werden muss.

Als Zwischenprodukt entsteht ein planares Carbenium-Ion. Dieser Zustand ist energetisch recht ungünstig, was man an der erhöhten Energie des Zwischenproduktes sehen kann.

Der zweite Reaktionsschritt besteht in der Bildung einer neuen Bindung. Daher ist hier die Aktivierungsenergie EA2 recht niedrig. Außerdem ist der zweite Schritt stark exotherm, auch vor allem deshalb, weil eine neue Bindung entsteht.

Wegen der hohen Aktivierungsenergie des ersten Schrittes verläuft dieser langsam, während der zweite Schritt sehr schnell abläuft. Bei mehrschrittigen Reaktionen ist die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion stets von der Geschwindigkeit der langsamsten Teilreaktion abhängig. Da der langsamste und somit geschwindigkeitsbestimmende Schritt eine monomolekulare Reaktion 1. Ordnung ist, ist auch die Gesamtreaktion eine Reaktion 1. Ordnung.

Allerdings ist die Gesamtreaktion nicht monomolekular, sondern nur pseudomonomolekular - es sind ja immer noch zwei Edukte an der Reaktion beteiligt.

Reaktionsordnung und Reaktionsmolekularität

Auf den Seiten für die Stufe EF wird der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen näher erläutert.

Aufgaben zu SN1 und SN2-Reaktionen

Aufgabe 1

Zeichnen Sie zunächst die Strukturformeln folgender Brom-Alkane:

Brommethan, Bromethan, 1-Brompropan, 1-Brom-2-methyl-propan, 1-Brom-2,3-dimethyl-propan.

Achtung: Es könnte durchaus sein, dass einer dieser Namen nicht korrekt ist. Zeichnen Sie das Molekül dann trotzdem und schreiben Sie den korrekten Namen darunter.

Aufgabe 2

Versetzt man die Bromalkane aus Aufgabe 1 mit Ethanolat-Ionen (CH3-CH2-O-), so kommt es zu einer nucleophilen Substitution. Zeichnen und benennen Sie die organischen Reaktionsprodukte.

Aufgabe 3

Primäre Halogenalkane gehen kaum eine Reaktion nach dem SN1-Mechanismus ein, weil primäre Carbenium-Ionen, die sich im ersten Schritt bilden würden, sehr instabil sind. Trotzdem reagieren einige der obigen Edukte nach dem SN1-Mechanismus. Überlegen Sie, welche der oben genannten Brom-Alkane das sein könnten und finden Sie eine Begründung für dieses Verhalten.

Aufgabe 4

Wenn man Reaktionsbedingungen schafft, die einen SN1-Mechanismus ausschließen, findet man bei der Umsetzung der Bromalkane mit Ethanolat-Ionen folgende relative Reaktionsgeschwindigkeiten [4]:

  • Brommethan = 100
  • Bromethan = 6
  • 1-Brompropan = 2
  • 1-Brom-2-methyl-propan = 0,2
  • 1-Brom-2,2-dimethyl-propan = 0,00002

Begründen Sie, wieso das so ist.

Quellen:

  1. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992
  2. Morrison/Boyd, Organic Chemistry, 7th Edition, 2011
  3. Carey/Sundberg, Organische Chemie - ein weiterführendes Lehrbuch, Weinheim 1995
  4. Morrison/Boyd, Lehrbuch der organischen Chemie, Weinheim 1974, S. 514.

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