Dipole
Auf den vorhergehenden Seiten dieses Abschnitts hatten wir bereits besprochen, was man in der Chemie unter einem Dipol versteht. Dipole sind Moleküle mit einem positiven und einem negativen Ende. Dabei muss man das Wort "Ende" nicht wörtlich nehmen. Das Wasser-Molekül beispielsweise hat ein negatives Ende (das O-Atom) und zwei positive Enden (die beiden H-Atome).
Wir hatten auch schon gesehen, von welchen Faktoren das Dipolmoment abhängt, das die Stärke und die Richtung des Dipols beschreibt.
Die Stärke eines Dipols hängt von der Elektronegativitäts-Differenz der beteiligten Atome ab. So hat Fluorwasserstoff ein großes Dipolmoment, während der verwandte Iodwasserstoff ein sehr kleines Dipolmoment hat.
Außerdem hängt die Stärke des Dipolmoments von der Geometrie der Moleküle ab. Wenn ein Molekül mehr als zwei Atome hat wie zum Beispiel das Wasser-Molekül, dann muss man die einzelnen Dipolmomente der polaren kovalenten Bindungen miteinander verrechnen. Wenn diese Bindungen in die gleiche Richtung zeigen, verstärken sich die Dipolmomente, zeigen die Bindungen in unterschiedliche Richtungen, können sich die einzelnen Dipolmomente gegenseitig aufheben.
Um diesen Geometrie-Faktor besser zu verstehen, betrachten wir das folgende Bild:

Einfluss der Geometrie auf das Dipolmoment
Autor: Ulrich Helmich 08/2024, Lizenz: Public domain
In dem Bild sehen wir drei organische Moleküle, die als trans-1,2-Dichlorethen, cis-1,2-Dichlorethen und cis-1,2-Dibromethen bezeichnet werden. Die kleinen blauen Pfeile sollen den EN-Unterschied der Atome andeuten. Bei der C-Cl-Bindung im Molekül ganz links und in der Mitte werden die Bindungselektronen vom Chlor-Atom stärker angezogen als vom Kohlenstoff-Atom, da Chlor eine höhere Elektronegativität hat. Die C-Cl-Bindungen sind also stark polar, jede C-Cl-Bindung hat daher ein Dipolmoment.
In dem Molekül ganz links befindet sich das eine Chlor-Atom auf der einen Seite der C=C-Doppelbindung, das andere Chlor-Atom aber auf der entgegengesetzten Seite. Die Dipolmomente der beiden C-Cl-Bindungen weisen in die entgegengesetzte Richtung und heben sich daher gegenseitig auf. Das gesamte Molekül hat daher so gut wie kein Dipolmoment, daher ist auch kein dicker blauer Pfeil zu sehen, der von dem Molekül weg zeigt.
Ganz anders das Molekül in der Mitte der Abbildung. Hier befinden sich die beiden Chlor-Atome auf der selben Seite der Doppelbindung. Die beiden Dipolmomente zeigen in die selbe Richtung, daher verstärken sie sich gegenseitig. Diese Verbindung hat dann ein großes Dipolmoment.
Das Gleiche gilt für das Molekül ganz rechts, allerdings ist das Dipolmoment hier kleiner als beim mittleren Molekül. Das liegt daran, dass die Brom-Atome nicht so elektronegativ sind wie die Chlor-Atome. Die C-Br-Bindungen sind weniger polar als die C-Cl-Bindungen.
Keesom-Kraft
Zwei Dipol-Moleküle können sich gegenseitig elektrisch anziehen. Diese Anziehungskraft bezeichnet man in der modernen Fachliteratur als Keesom-Kraft. In vielen Schulbüchern ist allerdings noch von Dipol-Dipol-Kräften die Rede, was ja auch nicht ganz falsch ist.
Falsch ist allerdings die Verwendung des Begriffs "van-der-Waals-Bindung" in vielen Schulbüchern. In den meisten Schulbüchern versteht man darunter die Anziehungskräfte zwischen völlig unpolaren Molekülen, die keine Dipole sind. Das ist aber fachlich falsch. Heute versteht man unter dem Begriff "van-der-Waals-Bindung" oder "van-der-Waals-Wechselwirkung" eine ganze Gruppe verschiedener Wechselwirkungen zwischen Molekülen. Die Keesom-Kraft gehört auch zu diesen van-der-Waals-Wechselwirkungen. Die "van-der-Waals-Kräfte" der meisten Schulbücher werden heute als London-Kräfte bezeichnet.
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