Wir verbrennen Magnesium [1]
Ein Schüler verbrennt Magnesium
Photo: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende
Wenn man im Chemieunterricht einen Magnesiumstreifen verbrennt und von der grellen Flamme geblendet die Augen schließt oder hinter einem dicken schwarzen Balken versteckt, wie auf dem Bild oben, wird einem klar, dass bei dieser Reaktion unheimlich viel Energie freigesetzt wird. Das wird auch an folgendem Energiediagramm erkennbar:
Energiediagramm der Oxidation von Magnesium
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende
Die Ausgangsstoffe oder Edukte dieser Reaktion sind festes Magnesium Mg(s) und gasförmiger Sauerstoff O2(g). Die Reaktion des Magnesiums mit dem Sauerstoff setzt nicht spontan ein, es muss erst ein "Aktivierungsberg" überwunden werden. Das heißt, die thermischen Bewegungen der Magnesium- und Sauerstoffteilchen sind nicht energiereich genug, um zu "erfolgreichen Zusammenstößen" zu führen, die ja für eine chemische Reaktion erforderlich sind. Erst durch die Zufuhr von Wärmeenergie, in der Regel durch einen Bunsenbrenner oder ein heißes Feuerzeug werden die Teilchen der Edukte in einen energiereichen Zustand versetzt, der eine chemische Reaktion ermöglicht. Diese zum Starten der Reaktion notwendige Energie bezeichnet man als Aktivierungsenergie und kürzt sie mit EA ab.
Wenn die Teilchen dann miteinander reagieren, bilden sich neue chemische Bindungen aus, in diesem Fall zwischen den Magnesium-Teilchen und den Sauerstoff-Teilchen. Die Chemie-Experten unter Ihnen wissen, dass es sich bei diesen Teilchen um gasförmige Mg2+-Ionen und O2--Ionen handelt. Mit Hilfe der Aktivierungsenergie werden aus den festen Magnesium-Atomen die gasförmigen Magnesium-Ionen. Und aus den Sauerstoff-Molekülen, die bereits gasförmig sind, werden durch die Aktivierungsenergie die gasförmigen Sauerstoff-Ionen.
➥Energetische Betrachtungen der NaCl-Bildung
Wenn Sie sich für die einzelnen Teilschritte einer Salzbildungsreaktion interessieren, gehen Sie bitte auf diese Chemie-Seite.
Wenn nun die positiv geladenen Magnesium-Ionen und die negativ geladenen Sauerstoff-Ionen aufeinander treffen, entstehen sehr starke neue chemische Bindungen, sogenannte Ionenbindungen. Dabei wird ein sehr großer Energiebetrag freigesetzt, die sogenannte Gitterenergie. Dieser Energiebetrag ist viel höher als die zuvor in die Reaktion hineingesteckte Aktivierungsenergie.
Bei der Reaktion wird insgesamt gesehen also mehr Energie an die Umwelt abgegeben, als vorher hineingesteckt wurde. Das Energieniveau der Produkte ist, das kann man auch gut in dem Diagramm sehen, deutlich niedriger als das Energieniveau der Edukte. Solche Reaktionen nennt man dann exotherm. Das Gegenteil einer exothermen Reaktion wäre eine endotherme Reaktion. Bei endothermen Reaktionen wird am Ende nicht so viel Energie freigesetzt, wie zuvor an Aktivierungsenergie hineingesteckt wurde. Die Produkte einer endothermen Reaktion besitzen ein höheres Energieniveau als die Edukte, sie sind energiereicher, wie man sagt. Bei einer exothermen Reaktion wie in der Abbildung 1 jedoch sind die Produkte energieärmer als die Edukte.
Man kann zwar die Energie der Edukte nicht direkt messen, auch die Energie der Produkte ist nicht direkt messbar. Aber man kann messen, wie viel Energie in die Reaktion hineingesteckt wurde (Aktivierungsenergie) und wie viel Energie nach dem Starten der Reaktion an die Umwelt abgegeben wurde. Auf diese Weise kann man die Differenz zwischen den Energien der Produkte und der Edukte ermitteln. Diese Energiedifferenz wird dann als Reaktionsenthalpie bezeichnet (in manchen Schulbüchern steht auch Reaktionenergie, was fast dasselbe ist, wenn man Druckveränderungen vernachlässigt, die eventuell bei der Reaktion auftreten). Die Reaktionsenthalpie wird mit ΔH abgekürzt bzw. symbolisiert (das H steht für engl. heat = Hitze, Wärme, das Δ für den Unterschied der Energieniveaus).
Bei exothermen Reaktionen wie in der Abbildung 1 ist ΔH immer negativ, bei endothermen Reaktionen immer positiv. Das kann man sich nicht so gut merken, es ist aber wichtig, das zu wissen.
Die Rolle der Aktivierungsenergie [1]
Bereits im ersten Abschnitt haben wir über die Aktivierungsenergie gesprochen. Gäbe es bei der Oxidation von Magnesium keine Aktivierungsenergie, würde die Reaktion spontan bei Zimmertemperatur oder auch bei sehr viel niedrigeren Temperaturen ablaufen. Alles Magnesium der Welt würde sofort grell verbrennen, sobald es mit Luft in Berührung kommt.
Bei einer chemischen Reaktion muss die Aktivierungsenergie immer erst überwunden werden, damit die Teilchen der Edukte in einen "angeregten" Zustand übergehen und miteinander neue chemische Bindungen bilden können.
Gäbe es diese Aktivierungsenergie bei chemischen Vorgängen nicht, so würden alle exothermen chemischen Reaktionen spontan ablaufen. Papier würde sich bei Zimmertemperatur von selbst entzünden, es gäbe keine Wälder, weil auch die Bäume sofort brennen würden, und eigentlich gäbe es überhaupt keine Lebewesen auf der Erde, denn auch die Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette, aus denen wir bestehen, würden sofort mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlendioxid und Wasser und anderen Stoffen reagieren, wenn es keine Aktivierungsenergie gäbe. Also ist es toll, dass es diese Aktivierungsenergie bei chemischen Reaktionen überhaupt gibt.
Für die Zellen der Lebewesen hat das Vorhandensein dieser Aktivierungsenergie allerdings auch erhebliche Nachteile. Die Zellen benötigen Nährstoffe, die sie oxidieren müssen, um daraus Energie zu gewinnen. Kohlenhydrate werden von den Zellen "verbrannt", um beispielsweise ATP, die Energiewährung der Zelle, herzustellen. Die Aktivierungsenergie der Glucose-Oxidation ist aber recht hoch, ein Stück Traubenzucker kann jahrelang herumliegen, ohne dass es mit dem Luftsauerstoff reagiert. So lange kann eine Zelle, die ATP benötigt, aber nicht warten. Der Traubenzucker, den die Zelle aufgenommen hat, muss innerhalb von Sekundenbruchteilen verwertet werden.
Allgemein gilt: Je höher die Aktivierungsenergie einer chemischen Reaktion, desto langsamer läuft die Reaktion bei gegebener Temperatur ab. Will man die Geschwindigkeit einer Reaktion also beschleunigen, muss man entweder die Temperatur erhöhen, oder man muss die Aktivierungsenergie senken.
Katalysatoren senken die Aktivierungsenergie [1]
Ursache für diese "Reaktionsträgheit" ist die Aktivierungsenergie, wie wir eben gerade gesehen haben. Betrachten Sie nun das folgende Energiediagramm:
Ein Katalysator erniedrigt die Aktivierungsenergie
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende
Hier wurde die Reaktion unter Zusatz eines Katalysators durchgeführt. Katalysatoren sind chemische Stoffe (Elemente oder Verbindungen), welche die Aktivierungsenergie einer chemischen Reaktion deutlich senken. Die Folge davon ist, dass die Reaktion mit einer wesentlich höheren Geschwindigkeit abläuft. Reaktionen, die ohne Katalysator Tage oder Wochen dauern würden, laufen mit Hilfe eines Katalysators in Minuten, Sekunden oder sogar Bruchteilen einer Sekunde ab. Platin ist beispielsweise ein Metall, das in vielen technischen Prozessen als Katalysator eingesetzt wird. In den lebenden Zellen übernehmen Proteine die Rolle von Katalysatoren. Diese speziellen Proteine mit katalytischen Eigenschaften bezeichnet man als Enzyme oder auch Biokatalysatoren.
Enzyme sind Proteine, welche die Aktivierungsenergie biochemischer Prozesse herabsetzen und diese Prozesse dadurch um mehrere Größenordnungen beschleunigen, so dass sie innerhalb extrem kurzer Zeiträume in der lebenden Zelle ablaufen können.
"Um mehrere Größenordnungen beschleunigen" heißt dabei, dass die Reaktion 102 mal, 103 mal, 104 mal schneller abläuft oder sich vielleicht auch noch schneller abspielt als ohne Katalysator.
Wenn Sie sich genauer über die Arbeitsweise von Katalysatoren informieren wollen, gehen Sie auf diese Seite in meinem Chemie-Lexikon.
Ein konkretes Beispiel für die Wirkung von Katalysatoren und Enzymen
In einem alten Biochemie-Buch aus den 80er Jahren [2] habe ich folgende konkrete Daten für die Wirkung eines anorganischen Katalysators und eines Enzyms gefunden. Es ging um die Zersetzung von Wasserstoffperoxid H2O2 zu Wasser und Sauerstoff. Die Aktivierungsenergie der nicht-katalysierten Reaktion liegt bei ca. 75 kJ/mol. Ein Platin-Katalysator senkt die Aktivierungsenergie auf rund 50 kJ/mol, während das Enzym Katalase die Aktivierungsenergie auf nur noch 8,4 kJ/mol senkt.
Welche Auswirkungen hat diese Absenkung der Aktivierungsenergie durch die beiden Katalysatoren?
Auch hierüber gibt die im Buch auf Seite 42 abgedruckte Tabelle Auskunft. Wenn wir die Reaktionsgeschwindigkeit der nicht-katalysierten Reaktion auf den Wert 1 setzen, dann erhöht der Platin-Katalysator die Reaktionsgeschwindigkeit auf den Wert 10.000 oder 104 (das wären also vier Größenordnungen). Das ist enorm, aber noch gar nichts gegen das, was das Enzym Katalasebewirkt. Katalase erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit auf 10.000.000 - in Worten: Zehn Millionen bzw 107, das sind sage und schreibe 7 Größenordnungen!
Das machen wir uns an einem anderen Beispiel verständlich!
Nehmen wir mal an, eine Eisenstange wird nach draußen in eine sehr feuchte Umgebung gestellt. Dann ist sie vielleicht in drei oder vier Monaten verrostet. Sagen wir mal, das Rosten dauert 100 Tage.
Der Platin-Katalysator beschleunigt das Rosten jetzt um den Faktor 10.000. 100 Tage sind 2.400 Stunden oder 144000 Minuten. Mit dem Platin-Katalysator würde das Rosten also nur noch gut 14 Minuten dauern. Man könnte sich davor setzen und dem Rosten zuschauen.
14,4 Minuten sind 864 Sekunden. Das Enzym Katalase beschleunigt die Reaktion nochmals um den Faktor 1.000. Das Rosten würde demnach nur noch gut 0,9 Sekunden betragen.
Mit anderen Worten: Das Enzym Katalase beschleunigt einen Vorgang, der 100 Tage dauern würde derart, dass er in knapp einer Sekunde abläuft.
Ein Extrembeispiel!
Vor kurzem habe ich mir den neuen "Lehninger Principles of Biochemistry" [3] gekauft - eines dieser Fachbücher, für die man leicht 70 Euro oder mehr hinlegen muss. Dort steht ein noch viel eindrucksvolleres Beispiel für die Wirkung eines Enzym-Katalysators auf Seite 178:
"The enzyme orotidine phosphate carboxylase ... provides a special example, with a rate enhancement vo 1017. The uncatalyzed reaction has a half-life of 78 million years. On the enzyme, the reaction occurs on a time scale of milliseconds."
Katalysatoren vs. Temperaturerhöhung [1]
Auch durch eine Erhöhung der Temperatur kann man chemische Reaktionen beschleunigen. Die berühmte RGT-Regel besagt, dass bei einer Temperaturerhöhung um 10 ºC die Reaktionsgeschwindigkeit ungefähr auf den doppelten Wert steigt. In lebenden Zellen kann die RGT-Regel aber nur stark eingeschränkt wirken, denn bereits bei 40 ºC beginnen die meisten Proteine zu denaturieren, und die Zellfunktionen werden nach und nach eingestellt. Eine Reaktion, die bei 10 ºC 60 Sekunden benötigt, ist bei 20 ºC in 30 Sekunden beendet und bei 30 ºC in 15 Sekunden. Bei 40 ºC dauert die Reaktion immer noch 7,5 Sekunden, was natürlich viel zu langsam für eine lebende Zelle ist. Aber weiter kann die Temperatur nicht erhöht werden, weil dann die Zelle stirbt. Mit Hilfe von Enzymen kann jedoch auch ohne Temperaturerhöhung eine sensationelle Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit auf wenige Bruchteile von Sekunden erreicht werden.
Die meisten Enzyme sind Proteine. Wenn Sie meinen, dass Sie nicht genug über Proteine (Eiweiße) wissen, gehen Sie bitte auf die sehr ausführlichen Proteinseiten meiner Homepage.
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Quellen:
- Verschiedene Schulbücher
- Hafner: Biochemie, Schroedel-Verlag 1994.
- Nelson, Cox: LEHNINGER Principles of Biochemistry. Macmillan Learning, New York 2021.