Helmichs Chemie-Lexikon

Methansäure (Ameisensäure)

Alkansäuren: Methansäure - Ethansäure - Propansäure - Butansäure -
C1-Gruppe: Methan - Methanol - Methanal - Methansäure

Abitur

Die Ameisensäure war "Hauptdarsteller" in der Abituraufgabe "Ameisensäure", die 2024 im Chemie-Abitur NRW gestellt wurde.

 
Brandfördernd Gas unter Druck Ernste Gesundheitsgefahr  

1. Einführung

Methansäure oder Ameisensäure H-COOH, ist die einfachste Carbonsäure, das erste Glied in der homologen Reihe der Monocarbonsäuren.

2. Strukturdaten

Strukturdaten des Methansäure-Moleküls
Autor: Ulrich Helmich 10/2024, Lizenz: Public domain

Das Methansäure-Molekül besteht im Prinzip aus einer Carboxy-Gruppe mit einem H-Atom. Die Bindungswinkel am sp2-hybridisierten C-Atom weichen leicht von den Idealwerten (120º) ab: H-C=O = 124º, O=C-O = 125º, H-C-O = 111º.

Die Bindungslängen betragen 110 pm zwischen dem C-Atom und dem H-Atom, 123 pm zwischen dem C-Atom und dem O-Atom, und 97 pm zwischen dem O-Atom und dem H-Atom der OH-Gruppe.

Die Quelle für diese Daten ist das Buch "Chemie für Einsteiger" von Springer Nature [2].

Die Länge der C-O-Einfachbindung beträgt laut [10] 134 pm, dieser Wert konnte aber nicht durch weitere Quellen bestätigt werden.

3. Physikalische Eigenschaften

3.1 Schmelz- und Siedepunkt

Der Schmelzpunkt von Methansäure beträgt 8 ºC, der Siedepunkt liegt bei 101 ºC .

Die Methansäure-Moleküle werden nicht durch durch die schwachen London-Kräfte und Keesom-Kräfte (auch als Dipol-Dipol-Kräfte bezeichnet) zusammengehalten, sondern vor allem durch Wasserstoffbrücken-Bindungen. Die Carboxy-Gruppe hat ein O-Atom, das H-Brücken-Akzeptor ist und eine OH-Gruppe, die gleichzeitig H-Brücken-Akzeptor und -Donator ist. Ein Methansäure-Molekül kann daher H-Brücken zu zwei anderen Molekülen gleichzeitig ausbilden oder alternativ ein Dimer mit einem anderen Molekül bilden, das durch zwei H-Brücken gebunden ist.

Zwei Methansäure-Moleküle bilden ein Dimer
Autor: Ulrich Helmich 10/2024, Lizenz: Public domain

Diese Dimere bestehen sogar in der Gasphase weiter! Dies alles erklärt die im Vergleich zu Methanol und Ethanol hohen Schmelz- und Siedetemperaturen.

3.2 Löslichkeitsverhalten

Die extrem große Wasserlöslichkeit der Methansäure - sie ist in jedem Verhältnis mit Wasser mischbar - wird dadurch erklärt, dass Methansäure-Molekül H-Brücken mit Wasser-Molekülen bilden kann. Aber auch mit anderen Alkoholen (Ethanol, Propanol) ist Methansäure gut mischbar, ebenso mit Diethylether. Das O-Atom des Ethers kann als H-Brücken-Akzeptor wirken.

In unpolaren Flüssigkeiten wie beispielsweise Hexan ist Methansäure nur schlecht löslich. Ähnlich wie Wasser bilden die Moleküle der Methansäure "lieber" untereinander Aggregate, die durch H-Brücken zusammengehalten werden. Eingeschobene Hexan-Moleküle würden diese energetisch günstige Struktur nur stören und müssen daher unter sich bleiben (hydrophober Effekt).

3.3 Weitere Eigenschaften

Methansäure ist eine farblose und leicht flüchtige Flüssigkeit, die einen stechenden Geruch hat. Die Dichte von Ameisensäure beträgt 1,22 g/cm3.

4. Gewinnung und Synthese

4.1 Industrielle Synthese von Methansäure

Ameisensäure wurde bereits 1671 von John Ray aus Ameisen gewonnen [5], was aber bei den Ameisen nicht so gut ankam. Heute darf diese Methode aus Tierschutzgründen nicht mehr angewandt werden. Theoretisch könnte man Ameisensäure auch aus Brennnesseln gewinnen, aber davon wird in der Fachliteratur oder im Internet so gut wie nichts berichtet.

Bereits 1855 wurde von Marcelin Berthelot ein Verfahren erfunden, bei dem Methansäure aus Natriumhydroxid NaOH und Kohlenmonoxid CO hergestellt werden kann, und zwar in großem Maßstab [4].

4.1.1 Methansäure aus NaOH und CO

Zuerst reagieren NaOH und CO bei 210 ºC und hohem Druck zum Natriumsalz der Ameisensäure Natriumformiat, HCOONa.

$NaOH + CO \to HCOONa$

Frei nach dem Motto "Starke Säure verdrängt schwache Säure" lässt man das HCOONa dann mit Schwefelsäure reagieren, dabei verdrängt die Schwefelsäure die schwache Ameisensäure aus dem Salz, und es entstehen Ameisensäure und Natriumsulfat:

$2 \ HCOONa + H_2SO_4 \to 2 \ HCOOH + Na_2SO_4$

4.1.2 Methansäure aus Methanol und CO

Ein anderes industrielles Verfahren geht vom Methanol aus [4,6]. Zunächst lässt man Methanol mit Kohlenmonoxid CO reagieren, dabei entsteht Ameisensäure-methylester bzw. Methylformiat.

$CH_3 OH + CO \to HCOOCH_3$

Durch Hydrolyse erhält man dann im zweiten Schritt Ameisensäure und Methanol:

$HCOOCH_3 + H_2O \to HCOOH + CH_3 OH$

Im Endeffekt, wenn man sich die Gesamtgleichung anschaut, wird die Ameisensäure nach diesem Verfahren aus Wasser und Kohlenmonoxid hergestellt. Der eingesetzte Alkohol wird ja im zweiten Schritt zurück gewonnen. Heute werden ca. 90% der in der Industrie benötigten Ameisensäure nach diesem Verfahren synthetisiert [6].

Dieses Verfahren war übrigens auch Gegenstand einer Abituraufgabe aus dem Jahre 2024 in NRW.

4.1.3 Methansäure als Nebenprodukt der Ethansäure-Herstellung

Ethansäure bzw. Essigsäure kann aus Butan oder Leichtbenzin synthetisiert werden. Als Nebenprodukt dieses Verfahrens entsteht auch Methansäure bzw. Ameisensäure, die leicht von der Essigsäure abgetrennt werden kann [4].

4.1.4 Methansäure aus Formiaten

Natrium-, Kalium- und Calciumformiat entstehen als Nebenprodukte bei der Herstellung von mehrwertigen Alkoholen. Mit Hilfe von Schwefel- oder Phosphorsäure können diese Salze zu Ameisensäure und den entsprechenden Sulfaten bzw. Phosphaten umgesetzt werden [6].

4.2 Laborsynthesen

In der Fachliteratur lassen sich kaum Methoden zur Darstellung von Ameisensäure finden, wenn man mal von den "üblichen" Methoden absieht, bei der die Ameisensäure von Schwefelsäure aus ihren Salzen verdrängt wird, vor allem Natriumformiat und Calciumformiat werden hierzu eingesetzt.

5. Reaktionen

5.1 Zersetzung

Ameisensäure ist eine recht instabile Verbindung, die sich leicht zersetzt, entweder in Kohlenmonoxid und Wasser oder in Kohlendioxid und Wasserstoff:

$HCOOH \to CO + H_2O$

$HCOOH \to CO_2 + H_2$

Aus diesen Gründen muss Ameisensäure im Labor in speziellen Flaschen mit einem Entlüftungsventil aufbewahrt werden. Wenn die Flasche zu warm gelagert wird, bilden sich Gase (CO, CO2, H2), welche die Flasche sonst platzen lassen könnten [5].

Ameisensäure in der Schule: Zwei Lehrer in Behandlung

"Dortmund (dpa/lnw) - Ein undichter Behälter für Ameisensäure in einer Dortmunder Schule hat einen Großeinsatz der Feuerwehr ausgelöst. Zwei Lehrer kamen mit Säuredämpfen in Kontakt und kamen vorsorglich in ärztliche Behandlung, wie die Feuerwehr nach dem Zwischenfall in einem Chemieraum des Gymnasiums im Stadtteil ... am Donnerstagnachmittag mitteilte. Die Feuerwehrleute fanden den defekten Einliterbehälter mit 98-prozentiger Ameisensäure in einem Chemieschrank und sicherten ihn."

Welt.de/Regionales vom 20.04.2018

Laut der Gefahrstoffordnung für Schulen in NRW darf 90%ige Ameisensäure in der Sek. I verwendet werden (S-Stufe 2), sogar für Schülerversuche ("SI = Schülerversuche in den Jahrgangsstufen 5-13 möglich").

5.2 Substitutionsreaktionen

Wie die meisten Carbonsäuren kann auch Ameisensäure Ester mit ein-, zwei- oder dreiwertigen Alkoholen bilden. Dabei reagiert die Ameisensäure 15.000- bis 20.000-mal schneller als reine Essigsäure [6].

Auch mit Ammoniak und Aminen kann Ameisensäure ähnliche wie andere Carbonsäuren reagieren, es entstehen dann Amide.

Allgemein gehören diese Reaktionen zu den Substitutionsreaktionen. Die OH-Gruppe der Carboxy-Gruppe wird gegen eine andere Gruppierung ausgetauscht. Bei der Bildung eines Esters gegen einen Alkohol-Rest, bei der Bildung von Amiden gegen den Rest eines Amins (Ammoniak-Derivate mit einem oder zwei Alkylresten). Auch die Bildung von Anhydriden (Austausch der OH-Gruppe gegen einen anderen Säurerest) und Säurechloriden (OH-Gruppe wird durch ein Chlor-Atom ersetzt) gehört zu den Substitutionsreaktionen der Carboxy-Gruppe.

Carbonsäuren, Substitutionsreaktionen

Auf dieser Seite aus der "Studienvorbereitung Organik" werden die hier nur kurz angerissenen Reaktionen ausführlich von mir besprochen.

Ester, Amide, Chloride, Anhydride

Wer noch tiefer in die Materie einsteigen will, sollte auf diese Vertiefungsseiten in der "Studienvorbereitung Organik" gehen.

5.3 Salzbildung

Ameisensäure gehört zu den Carbonsäuren und kann ähnlich wie Essigsäure, Propionsäure und die anderen Carbonsäuren mit Metallen zu Salzen reagieren. Die Salze der Ameisensäure heißen Formiate.

5.4 Reduktion zu Methanal und Methanol

Wie alle Carbonsäuren kann auch Methansäure durch den Einsatz spezieller Reduktionsmittel reduziert werden. Die Reduktion um eine Stufe (+ 2 Elektronen) führt zum Aldehyd Methanal, die Reduktion um zwei Stufen (+ 4 Elektronen) zum Alkohol Methanol. Das beliebteste Reduktionsmittel, mit dem man aus einer Carbonsäure einen primären Alkohol herstellen kann, ist das Lithiumaluminiumhydrid LiAlH4 [8,9].

5.5 Einige Reaktionen sind nicht möglich

Typisch für Carbonsäuren sind auch Reaktionen am α-C-Atom, also an dem C-Atom, das der COOH-Gruppe direkt benachbart ist. Methansäure als einfachste Carbonsäure hat aber kein α-C-Atom, daher kommen diese Reaktionen für Ameisensäure nicht in Frage.

Eine weitere für Carbonsäuren typische Reaktion, die Decarboxylierung, ist für Methansäure ebenfalls nicht möglich. Wenn HCOOH ihre COOH-Gruppe abgibt, bleibt außer Wasserstoff quasi nichts mehr übrig; die Methansäure wird komplett zersetzt (siehe Punkt 5.1).

6. Vorkommen und Verwendung

6.1 Vorkommen

Braunschwarze Rossameise (Camponotus ligniperda)
Richard Bartz, Munich Makro Freak, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Nicht nur Ameisen produzieren Ameisensäure als Abwehrstoff gegen Fressfeinde, auch andere Tier- und Pflanzenarten verwenden Ameisensäure zu diesem Zweck, beispielsweise die Raupen des des Großen Gabelschwanzes (Cerura vinula) – einer Schmetterlingsart, oder die Brennnessel.

Auch im Bienenhonig kommt Ameisensäure vor (50 - 1000 mg / kg Honig) [4]. Die Nesselkapseln vieler Quallenarten enthalten ebenfalls Ameisensäure

6.2 Verwendung
Konservierungsmittel

Bis 1998 wurden Ameisensäure und ihre Natrium- und Calciumsalze in der EU als Konservierungsmittel (E236) zugelassen, in der Schweiz ist das heute noch erlaubt.

Antirheumatikum

In der Medizin wird Methansäure als Mittel gegen Rheuma und zur Behandlung von Warzen eingesetzt.

Beizen und Imprägnieren

In der Textil- und Lederindustrie wird Methansäure zum Beizen und Imprägnieren von Stoffen und Lederwaren eingesetzt.

Desinfektionsmittel

Ameisensäure ist auch ein gutes Desinfektionsmittel, auch in manchen sauren Haushaltsreinigern wird sie eingesetzt. Imker setzen 60%ige Ameisensäure zur Behandlung der Bienen gegen die Varroamilbe ein. Dieses Verfahren war übrigens auch Thema einer NRW-Abituraufgabe aus dem Jahre 2024.

Quellen:

  1. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992
  2. Felixberger: Chemie für Einsteiger, Springer Nature 2017
  3. Schirmeister, Schmuck, Wich: Beyer/Walter Organische Chemie, 25. Auflage 2015.
  4. Wikipedia, Artikel "Ameisensäure"
  5. Thomas Seilnacht, Artikel "Ameisensäure"
  6. Chemcess.com, Artikel "Ameisensäure: Eigenschaften, Reaktionen, Herstellung und Verwendung".
  7. Archiv.sichere-schule.de, Artikel "Umsetzung der Gefahrstoffverordnung an Schulen (Teil 2)" von 2007.
  8. Morrison, Boyd, Bhattacharjee: Organic Chemistry. 7. Auflage, Dorling Kindersley 2011.
  9. Chemgapedia, Artikel "Reaktion von Carbonsäuren" (nicht mehr zugänglich)
  10. "Carboxylgruppe Aufbau" auf studyflix.de, Artikel "Carboxylgruppe".