Biologie > Ökologie > Synökologie > R/B-Systeme

Räuber-Beute-Systeme

Grundlagen - Lotka-Volterra - Mathematik

Dichteabhängige Faktoren

Die Populationsdichte einer Art wird von den unterschiedlichsten Umweltfaktoren beeinflusst, sowohl von abiotischen (Temperatur, Niederschläge, pH-Wert des Bodens etc.) wie auch von biotischen (Nahrung, Beute, Konkurrenten, Feinde etc.). Neben dieser Einteilung der Umweltfaktor gibt es auch noch die Einteilung in dichteabhängige und dichteunabhängige Faktoren.

Die Temperatur beispielsweise ist normalerweise ein Umweltfaktor, der unabhängig von der Dichte einer Population abhängt.

Ganz stimmt das aber nicht, das sieht man ja schon bei der Spezies Mensch. In großen Städten mit einer hohen Bevölkerungsdichte ist die durchschnittliche Luft-Temperatur um einige Grad höher als in den umliegenden ländlichen Gegenden. Tiere, die sich eng aneinander kuscheln, erzeugen dadurch auch eine höhere lokale Lufttemperatur. Ein Extrembeispiel ist die Honigbiene, die durch kollektives Flügelschlagen in ihrem Bau sehr hohe Lufttemperaturen von 33 bis 36 Grad Celsius erzeugen kann.

Auch die meisten anderen abiotischen Umweltfaktoren gelten normalerweise als dichteunabhängige Faktoren. Einige biotische Umweltfaktoren sind dagegen abhängig von der Populationsdichte. Je mehr Rinder auf einer Weide grasen, desto geringer wird zum Beispiel die Dichte der Graspflanzen, weil die Rinder diese ja auffressen. Die pflanzliche Nahrung ist für die Rinder also ein dichteabhängiger Faktor. Die Zahl der lästigen Parasiten steigt dagegen an, wenn viele Rinder auf der Weide stehen. Auch dieser Umweltfaktor ist also dichteabhängig.

Ein ganz wichtiger dichteabhängiger Faktor ist die Anzahl der Fressfeinde, auch Räuber genannt. Je höher die Beutedichte, desto größer auch die Räuberdichte. Für die Beute sind also die Räuber ein dichteabhängiger Faktor, und umgekehrt ist die Beute für die Räuber ein dichteabhängiger Faktor. Je mehr Räuber es in einem Gebiet gibt, desto geringer wird die Dichte der Beute.

Populationswachstum der Beute in Anwesenheit von Räubern

In einem Versuch wurde das Wimperntierchen Paramecium (Pantoffeltierchen) für einige Tage in großen Bechergläsern kultiviert. Allerdings waren die Versuchsleiter so gemein, auch ein paar Exemplare des Fressfeindes Didinium in die Bechergläser zu geben. Didinium ist ebenfalls ein Wimperntierchen.

Didinium verringert die Populationsgröße von Paramecium und stirbt dann selbst aus

Beziehung zwischen Paramecium und Didinium. Die Daten stammen aus einem älteren Linder, die Zeichnung habe ich selbst erstellt.

Die Graphik (nach Linder) stellt die Versuchsergebnisse anschaulich dar. Zunächst vermehren sich die Paramecien exponentiell. Dann verlangsamt sich die Wachstumsrate, und das Wachstum geht in ein stationäres über, wie bei einem logistischen Populationswachstum zu erwarten.

Die Räuber vermehren sich in den ersten beiden Tagen so gut wie nicht, da sie kaum etwas zu fressen haben. Mit zunehmender Populationsdichte der Beutetiere vermehren sich ab dem zweiten Tag aber auch die Räuber. Die gestiegene Zahl der Räuber hat zur Folge, dass immer mehr Paramecien gefressen werden. Schließlich sind so viele Räuber im Kulturmedium vorhanden, dass die Zahl der Beutetiere wieder geringer wird. Bei diesem Laborversuch ist es schließlich dazu gekommen, dass die Räuber die Beute komplett aufgefressen haben, am fünften Tag gab es keine Beute mehr. Da die Räuber nun nichts mehr zu fressen hatten, starben auch sie innerhalb von zwei Tagen komplett aus.

Abiturienten aufgepasst!

Die folgende Graphik sieht so ähnlich aus wie die obige, stellt aber einen völlig anderen Sachverhalt dar:

Zwei Samenkäferarten machen sich Konkurrenz

Beziehung zwischen zwei konkurrierenden Samenkäferarten. Die Daten stammen aus einem älteren Linder, die Zeichnung ist selbst erstellt.

Hier handelt es sich nicht um eine Räuber-Beute-Beziehung, sondern um interspezifische Konkurrenz. Die Samenkäferart 2 ist der ersten Samenkäferart überlegen. Nach dem Konkurrenzausschlussprinzip können nicht zwei Arten in der gleichen ökologischen Nische leben, und die konkurrenzstärkere Art setzt sich auf Dauer durch. Würde sich die Samenkäferart 2 von der ersten Art ernähren, so müsste die zweite Art - ähnlich wie Didinium bei dem Versuch in Abb. 1 - aussterben.

Das klassische Beispiel

Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Kanada eine große Pelzfirma, die Hudson Bay Company, die viel Geld damit machte, Pelze verschiedener Wildtiere zu verkaufen, unter anderem von Schneeschuhhasen und von Luchsen. Wie es bei so einer großen Firma üblich ist, wurde über die Jahre präzise Buch geführt über die verkauften Felle. Stellt man diese Zahlen graphisch dar, ergeben sich folgende Kurven:

Klassische Räuber-Beute-Schwankungen

Das klassische Beispiel für eine Räuber-Beute-Beziehung. Die Daten stammen aus einem älteren Schulbuch, die Zeichnung ist selbst erstellt.

Diese Kurvenverläufe sind typische für Räuber-Beute-Beziehungen. Je mehr Beute vorhanden ist, desto besser können sich die Räuber vermehren. Wenn also die Beutepopulation steigt, nimmt kurze Zeit später auch die Räuberpopulation zu. Dies führt dann dazu, dass immer mehr Beute gefressen wird, schließlich sinkt die Zahl der Beute. Wenn weniger Beute vorhanden ist, können sich die Räuber nicht mehr so gut ernähren, und nach einer bestimmten Zeitspanne sinkt auch die Zahl der Räuber. Nun sind wieder weniger Räuber vorhanden, so dass die Beute sich erholen kann; die Zahl der Beutetiere steigt wieder. Kurze Zeit später haben die wenigen Räuber wieder mehr zu fressen, und die Zahl der Räuber steigt auch wieder an.

Die Kurven in der Abbildung sehen alles andere als regelmäßig aus, es gibt starke Schwankungen. Im Jahre 1865 beispielsweise gab es eine extrem hohe Zahl von Schneeschuhasenfellen, während die Zahl der Luchsfelle danach kaum angestiegen ist.

Abiturienten aufgepasst

Auch in den Aufgaben des  Zentralabiturs NRW wird gern das Thema Räuber-Beute-Beziehungen behandelt, aber auch die Themen Konkurrenz, Parasitismus und Symbiose sind im Abitur von Bedeutung. Der engagierte Schüler sollte also in der Lage sein, die vorliegenden Kurven entsprechend zu analysieren. Ein schönes Beispiel aus einer Abituraufgabe zeigt die folgende Abbildung:

Wühlmäuse und Füchse - keine R/B-Beziehung

Handelt es sich hier um eine R/B-Beziehung? Die Daten stammen aus einem älteren Schulbuch, die Zeichnung ist selbst erstellt.

Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich so aus, als läge auch hier eine Räuber-Beute-Beziehung vor. Bei einer näheren Betrachtung muss diese Meinung aber revidiert werden. Die Kurven von Wühlmäusen und Polarfüchsen sind nicht phasenverschoben wie bei den Hasen und den Luchsen. Um 1975 beispielsweise steigt die Zahl der Füchse an, bevor die Zahl der Wühlmäuse ihr Maximum erreicht hat, und um 1985 sinkt die Zahl der Wühlmäuse auf fast Null, während die Zahl der Füchse unbeirrt weiter ansteigt. Um 1992 herum steigt wiederum die Zahl der Wühlmäuse, aber trotzdem sinkt die Zahl der Füchse rapide ab.

Es sieht also keineswegs so aus, als ob sich die Polarfüchse von den Wühlmäusen ernähren. Eine Räuber-Beute-Beziehung zwischen den beiden Arten kann also ausgeschlossen werden. Aber was für eine Art von Beziehung besteht dann zwischen den beiden Tierarten? Eine Konkurrenz kann ebenfalls ausgeschlossen werden, da Wühlmäuse und Füchse ja nun völlig unterschiedliche Nahrung fressen. Für Parasiten sind die Wühlmäuse viel zu groß, und eine Symbiose herrscht zwischen diesen Tierarten ebenfalls nicht. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass die Kurvenverläufe überhaupt nichts miteinander zu tun haben, zumindest nicht im Sinne einer Kausalbeziehung.

Es könnte allenfalls sein, dass die Populationsdichten beider Tierarten von den gleichen biotischen oder abiotischen Umweltfaktoren beeinflusst werden. Vielleicht herrschte ja in den Jahren um 1970, 1975, 1982 und 1987 ein besonders günstiges Klima, so dass sich sowohl die Wühlmäuse wie auch die Polarfüchse gut vermehren konnten, während es beispielsweise um 1980  und 1986 besonders kalt war.

Lotka-Volterra-Regeln...