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Allgemeines zum Aktionspotenzial

Allgemeines - Ablauf - Phasen - positive Rückkopplung - Ionen-Permeabilitäten - Historisches - Ionen-Kanäle

Rezeptorpotenziale

Eine Nervenzelle kann auf Reize der Umwelt reagieren, indem sie das Membranpotenzial, das normalerweise einen Wert von ca. -70 mV hat, verändert. Diese Veränderung wird als Rezeptorpotenzial bezeichnet. Dabei unterscheidet man grundsätzlich eine Depolarisation und eine Hyperpolarisation. Diese beiden Begriffe hatten wir schon kurz auf der Seite "Das Ruhepotenzial als Phänomen" definiert:

Depolarisation = Abschwächung der vorhandenen Membranspannung, zum Beispiel von -70 mV auf -40 mV.

Hyperpolarisation = Verstärkung des Membranpotenzials, zum Beispiel von -70 mV auf -85 mV.

In dem Band "Neurobiologie" der "Grünen Reihe" aus dem Schroedel-Verlag (2015) wird ein schönes Beispiel angeführt, mit dem der Begriff "Rezeptorpotenzial" erklärt wird. Ich halte diese Idee für didaktisch sehr klug, daher möchte ich auf dieser Seite auch kurz darauf eingehen, bevor wir zum Aktionspotenzial kommen.

Praxisbeispiel

Bei einer Jagdspinnenart Südamerikas, die keine Netze baut, gibt es in der Cuticula viele kleine Sinneshaare, die auf Luftbewegungen reagieren, wie sie von vorbeifliegenden Beute-Insekten hervorgerufen werden. Diese Sinneshaare sind direkt mit speziellen Nervenzellen verbunden. Diese Nervenzellen haben nicht viele kurze verzweigte Dendriten wie normalerweise, sondern nur einen langen und dafür sehr dicken Dendriten. In diesem Dendriten sitzen mechanisch gesteuerte Natrium-Kanäle. Diese Kanalproteine sind mit Ausläufern der Sinneshaare verbunden.

Wird nun ein solches Sinneshaar durch eine Luftbewegung nach links ausgelenkt, so wird die Öffnung des Natriumkanals etwas größer, so dass mehr Natrium-Ionen mit dem Konzentrationsgefälle in die Zelle diffundieren können. Es kommt dann zu einer Depolarisierung der Nervenzellmembran, das Membranpotenzial steigt von -70 mV auf beispielsweise -40 mV.

Wird das Sinneshaar dagegen nach rechts ausgelenkt, führt das zu einer Verengung des Natrium-Kanals. Es können jetzt überhaupt keine Natrium-Ionen mehr in die Zelle eindringen. Das führt dann zu einer Hyperpolarisierung der Membran, das Membranpotenzial sinkt von -70 mV auf vielleicht -90 mV.

siehe folgenden Text

Bildung eines Rezeptorpotenzials über einen mechanisch gesteuerten Natriumkanal

Im Normalzustand, wenn das Sinneshaar nicht ausgelenkt ist, dringen stets einige Natrium-Ionen durch diese Kanäle in die Zelle ein, werden aber durch die Natrium-Kalium-Pumpe wieder heraus transportiert, so dass ein Fließgleichgewicht herrscht. Dadurch wird eine konstantes Ruhepotenzial von -70 mV aufrecht erhalten.

Wird der Durchmesser der Natrium-Kanäle größer, strömen mehr Natrium-Ionen in die Zelle, als die Natrium-Kalium-Pumpe wieder heraus schaffen kann, die Folge ist eine Depolarisierung.

Kommen aber durch die Verengung der Kanäle weniger Natrium-Ionen in die Zelle, so arbeitet die Natrium-Kalium-Pumpe trotzdem weiter und befördert Natrium-Ionen ins Außenmedium. Dadurch wird es auf der Innenseite der Membran immer negativer, es kommt zu einer Hyperpolarisierung.

Frage

Was hat uns dieses Praxisbeispiel nun gezeigt?

Das Beispiel mit den Sinneshaaren der Jagdspinne zeigt uns, wie durch die "Manipulation" eines Ionenkanals durch äußere Reize das Membranpotenzial in beide Richtungen verändert werden kann, sowohl eine Depolarisation wie auch eine Hyperpolarisation ist auf diese Weise möglich. In unserem Beispiel wurden die Natrium-Kanäle mechanisch verändert.

Info-Box

Generell können Ionenkanäle auf drei verschiedene Weisen beeinflusst werden:

  1. Mechanisch (wie in unserem Praxisbeispiel)
  2. Chemisch (durch allosterische Konformationsänderung durch Andocken bestimmter Moleküle)
  3. Elektrisch (durch Veränderung der Membranspannung)

Aktionspotenziale

In älteren Schulbüchern findet man einen schönen Versuch, der sehr hilfreich für das Verständnis von Aktionspotenzialen ist.

Erzeugung von Aktionspotenzialen am Axon einer Nervenzelle
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

Aufgabe

Beschreiben und erläutern Sie diesen Versuch!

Lösungsvorschlag:

Ein Axon wird mit Hilfe einer Elektrode elektrisch gereizt (grüner Punkt), mit einer Messelektrode misst man ein paar Zentimeter "stromabwärts" (also in Richtung synaptisches Endknöpfchen) die Veränderungen des Membranpotenzials (roter Punkt).

Auf leichte Reize reagiert das Axon mit einer Depolarisierung. Je stärker der Reiz, desto stärker die Depolarisierung.

Ist der Reiz jedoch so stark, dass das Membranpotenzial einen Wert von -30 mV überschreitet, kommt es zu einer sehr starken Depolarisierung von über +30 mV. Eine höhere Reizintensität ändert jetzt nichts mehr an diesem Membranpotenzial, auch bei stärkeren Reizen werden knapp über +30 mV erreicht.

Aktionspotenziale entstehen nach dem Alles-oder-Nichts-Gesetz

Aus diesem Versuch kann man zwei Erkenntnisse gewinnen und drei neue Fachbegriffe beschreiben, nämlich Aktionspotenzial, Schwellenwert und Alles-oder-Nichts-Gesetz:

Erkenntnis 1

Überschreitet das Membranpotenzial der axonalen Membran einen bestimmten Schwellenwert, beispielsweise -30 mV, so kommt es zu einem Aktionspotenzial mit einem Membranpotenzial von +30 mV.

Schauen wir uns die Abbildung noch etwas genauer an. Bei unterschwelligen Reizen ist es ja so, dass die Höhe des Rezeptorpotenzials (also der Abweichung vom Ruhepotenzial) mit der Reizintensität zunimmt.

Bei den Aktionspotenzialen ist das nicht der Fall. Egal, wie stark der Reiz ist: Solange das Membranpotenzial den Schwellenwert übersteigt, hat ein Aktionspotenzial stets die konstante Höhe von +30 mV.

Erkenntnis 2

Wenn ein Aktionspotenzial gebildet wird, hängt seine Höhe nicht mehr von der Reizintensität ab, sondern liegt (bei Säugetier-Neuronen) stets bei ca. +30 mV.

Diese beiden Erkenntnisse führen zu dem berühmten Alles-oder-Nichts-Gesetz des Aktionspotenzials:

Alles-oder-Nichts-Gesetz

Ein Aktionspotenzial entsteht entweder gar nicht (weil der Schwellenwert nicht erreicht wurde), oder es entsteht vollständig (wenn der Schwellenwert überschritten wurde).

Bildung eines Aktionspotenzials

Bei der Besprechung der Ursachen des Ruhepotenzial haben Sie schon viel über die Ionenverhältnisse an der neuronalen Membran gelesen und hoffentlich auch gelernt. Im Außenmedium befinden sich vor allem Natrium- und Chlorid-Ionen, im Zellplasma hauptsächlich Kalium-Ionen und große organische Ionen. Das Ruhepotenzial ist in erster Linie auf den Kalium-Gradienten zurückzuführen, der durch die Natrium-Kalium-Pumpe verursacht und aufrecht erhalten wird.

Welche Ionenströme könnten nun für die Bildung eines Aktionspotenzials verantwortlich sein? Wir gehen jetzt einmal ganz unvoreingenommen an diese Denkaufgabe!

Aufgabe

Analysieren Sie, welche Ionen theoretisch eine starke Depolarisierung des Membranpotenzial zu positiven Werten hin bewirken könnten!

Lösungsvorschlag:

Natrium-Ionen. Außen herrscht eine hohe Konzentration, im Zellplasma eine recht geringe. Diffundieren Natrium-Ionen in die Zelle, so würde das auf jeden Fall zu einer Depolarisierung der Membran führen. Da der Na+-Gradient recht stark ist und zudem die positiven Na+-Ionen von der negativen Innenseite der Membran auch noch elektrisch angezogen werden, müssten recht viele Na+-Ionen in die Zelle strömen und so eine Ladungsumkehr bewirken.

Chlorid-Ionen. Außen herrscht eine hohe Konzentration, im Zellplasma eine recht geringe. Diffundieren nun Cl--Ionen mit dem Konzentrationsgradienten in die Zelle, so würde das zu einer Hyperpolarisierung der Membran führen, aber nicht zu einer Depolarisierung. Somit scheiden Cl--Ionen als Kandidaten für die Bildung des Aktionspotenzials aus.

Kalium-Ionen. Außen herrscht eine geringe Konzentration, im Zellplasma eine recht hohe. Diffundieren nun K+-Ionen in das Außenmedium, so würde das ebenfalls zu einer Hyperpolarisierung der Membran führen. Somit scheiden auch K+-Ionen als Verursacher des Aktionspotenzials aus.

Organische Anionen. Außen herrscht eine sehr geringe Konzentration, im Zellplasma eine recht hohe. Diffundieren nun organische Anionen in das Außenmedium, so würde das zu einer Depolarisierung der Membran führen. Wie wir aber schon gesehen haben, sind die organischen Anionen viel zu groß für eine solche Diffusion; und es gibt keine Membrankanäle, durch die diese großen Ionen hindurchpassen würden. Also scheiden auch die organischen Anionen als Verursacher des Aktionspotenzials aus.

Fazit: Es können nur die einströmenden Natrium-Ionen sein, die ein Aktionspotenzial auslösen.

Spannungsgesteuerte Natriumkanäle

Ein Aktionspotenzial entsteht durch schlagartiges Einströmen vieler Na+-Ionen in die Nervenzelle.

Aufgabe

Das schlagartige Einströmen der Na+-Ionen wird durch zwei Kräfte angetrieben. Erläutern Sie, um welche Triebkräfte es sich hierbei handelt!

Lösungsvorschlag:

Triebkraft 1: Der Na+-Gradient / das chemische Na+-Potenzial

Im Außenmedium befinden sich sehr viele Na+-Ionen, im Zellplasma nur sehr wenige. Es besteht also ein großer Konzentrationsgradient, und das ist stets die Triebkraft für eine Teilchendiffusion. Das chemische Na+-Potenzial "drückt" die Na+-Ionen in das Zellinnere.

Triebkraft 2: Das Membranpotenzial / das elektrisch Potenzial

Die Innenseite der Membran ist im Ruhezustand negativ geladen. Diese negative Ladung ziehen die positiv geladenen Na+-Ionen elektrisch an. Das elektrische Potenzial "zieht" also die Na+-Ionen in das Zellinnere.

Jetzt muss man sich die Frage stellen, durch welche Mechanismen die Na+-Ionen in die Zelle gelangen, wenn die Zelle gereizt wird.

Mit einer ähnlichen Frage haben wir uns bereits zu Beginn dieser Seite beschäftigt, als wir das Praxisbeispiel mit den Jagdspinnen behandelt haben. Hier hatten wir es mit mechanisch gesteuerten Na+-Kanälen zu tun. Durch eine Auslenkung eines Sinneshaars wurden diese Na+-Kanäle entweder erweitert oder verengt, je nachdem in welche Richtung das Sinneshaar ausgelenkt wurde. Bei einer Erweiterung der Na+-Kanäle strömten Na+-Ionen in das Zellplasma und führten zu einer Depolarisierung.

In der Info-Box oben auf der Seite haben wir dann neben den mechanisch gesteuerten Ionenkanäle die elektrisch gesteuerten (spannungsgesteuerten) Ionenkanäle kennengelernt. Bei der Bildung von Aktionspotenzialen spielen spannungsgesteuerte Na+-Kanäle eine entscheidende Rolle.

Bei -70 mV, also im Ruhezustand, sind diese Na+-Kanäle geschlossen. Bei einer leichten Depolarisierung der Axonmembran, zum Beispiel durch einen kleinen elektrischen Reiz, öffnet sich ein kleiner Anteil dieser Kanäle und Natrium-Ionen strömen in die Zelle, was eine leichte Depolarisierung zur Folge hat. Wenn ein starker elektrischer Reiz ausgelöst und der Schwellenwert von -30 mV überschritten wird, öffnen sich schlagartig alle spannungsgesteuerten Natriumkanäle, und es kommt zu einer sehr raschen Umpolung der Axonmembran auf +30 mV. Diese innerhalb von wenigen Millisekunden ablaufende Umpolung wird als Aktionspotenzial bezeichnet. Durch geeignete Mechanismen sorgt die Zelle dann dafür, dass innerhalb weniger Millisekunden wieder das normale Ruhepotenzial herrscht, so dass ein neues Aktionspotenzial gebildet werden kann.

Wie das alles im Einzelnen geschieht und wie der Ablauf eines Aktionspotenzials aussieht, werden Sie auf den nächsten Seiten kennenlernen.

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