Wir verbrennen Magnesium
Ein Schüler verbrennt Magnesium
Photo: Ulrich Helmich, Lizenz: Public domain
Wenn man im Chemieunterricht einen Magnesiumstreifen verbrennt und von der grellen Flamme geblendet die Augen schließt oder hinter einem dicken schwarzen Balken versteckt, wie auf dem Bild oben, wird klar, dass bei dieser Reaktion unheimlich viel Energie freigesetzt wird.
Exotherme und endotherme Reaktionen
Energiediagramm einer exothermen und einer endothermen Reaktion
Autor: Ulrich Helmich 11/2024, Lizenz: Public domain
Hier sehen wir die Energiediagramme einer exothermen Reaktion (zum Beispiel Verbrennung von Magnesium) und einer endothermen Reaktion (zum Beispiel Elektrolyse von Wasser).
Exotherme Reaktion
Bleiben wir beim Beispiel "Verbrennen von Magnesium". Die Ausgangsstoffe oder Edukte dieser Reaktion sind festes Magnesium Mg(s) und gasförmiger Sauerstoff O2(g). Die Reaktion des Magnesiums mit dem Sauerstoff setzt nicht spontan ein, es muss erst ein "Aktivierungsberg" überwunden werden. Das heißt, die Bewegungen der Magnesium- und Sauerstoffteilchen sind nicht energiereich genug, um zu "erfolgreichen Zusammenstößen" zu führen, die ja für eine chemische Reaktion erforderlich sind. Erst durch die Zufuhr von Wärmeenergie, in der Regel durch einen Bunsenbrenner oder ein heißes Feuerzeug werden die Teilchen der Edukte in einen energiereichen Zustand versetzt, der eine chemische Reaktion ermöglicht. Die Teilchen bewegen sich jetzt viel schneller als vorher, was man in der Zeichnung auch gut an der Bewegungsunschärfe der Atome erkennen kann, die ich mit Photoshop noch eingefügt habe.
Diese zum Starten der Reaktion notwendige Energie bezeichnet man als Aktivierungsenergie und kürzt sie mit EA ab.
Wenn die Teilchen dann miteinander reagieren, bilden sich neue chemische Bindungen aus, in diesem Fall zwischen den Magnesium-Teilchen und den Sauerstoff-Teilchen. So entsteht das Reaktionsprodukt, hier also Magnesiumoxid.
Vergleicht man nun die Energie der Produkte mit der Energie der Edukte, dann stellt man fest, dass die Produkte insgesamt wesentlich energieärmer sind als die Edukte (die Ausgangsstoffe). In dem Energiediagramm sieht man das sofort, denn die Produkte befinden sich auf einem viel niedrigeren Niveau als die Edukte.
Die Energie der Edukte und Produkte kann man leider nicht messen. Was man aber messen kann, ist der Energieunterschied. Bei einer exothermen Reaktion wird dieser Energieunterschied nämlich an die Umwelt abgegeben, in Form von Wärme, Licht oder auf andere Weise. Und diesen Energiebetrag, die Reaktionsenthalpie ΔH, kann man messen.
Man könnte die Reaktion beispielsweise in einem Kalorimeter ablaufen lassen. Das ist ein Gefäß, in dem sich Wasser befindet, und in dem Wasser ist eine Kammer, in der die Reaktion abläuft. Die ablaufende Reaktion erhitzt das umgebende Wasser, und aus der Temperaturzunahme des Wassers kann man die freigesetzte Reaktionsenergie berechnen.
Wieso ist ΔH bei einer exothermen Reaktion negativ?
Als Reaktionsenthalpie definiert man die Differenz aus innerer Energie der Produkte minus innerer Energie der Edukte:
ΔH = EnergieProdukte - EnergieEdukte
Angenommen, die Edukte haben eine innere Energie von 70 Einheiten, die Produkte aber eine von nur 20 Einheiten. Dann hat die Reaktionsenthalpie einen Wert von 20 - 70 = -50 Einheiten. In der Regel werden diese Energieeinheiten in Kilojoule pro Mol gemessen, abgekürzt als kJ/mol.
Endotherme Reaktionen
Das Gegenteil einer exothermen Reaktion ist eine endotherme Reaktion, in der Abbildung 2 rechts zu sehen. Die Produkte einer endothermen Reaktion besitzen ein höheres Energieniveau als die Edukte, sie sind energiereicher, wie man sagt. Damit eine endotherme Reaktion stattfinden kann, muss Energie aus der Umgebung in die Teilchen hineingesteckt werden.
Das kann man beispielsweise beim Auflösen von Ammoniumnitrat in Wasser sehen. Beim Auflösen kühlt sich das Wasser ab, die Energie, die zum Auflösen des Kristallgitters nötig ist, wird der Umgebung, dem Wasser, entzogen.
Die Rolle der Aktivierungsenergie
Bereits im ersten Abschnitt haben wir über die Aktivierungsenergie gesprochen. Gäbe es bei der Oxidation von Magnesium keine Aktivierungsenergie, würde die Reaktion spontan bei Zimmertemperatur oder auch bei sehr viel niedrigeren Temperaturen ablaufen. Alles Magnesium der Welt würde sofort grell verbrennen, sobald es mit Luft in Berührung kommt.
Ohne Aktivierungsenergie würde ein Bleistift-Anspitzer aus Magnesium sofort anfangen zu brennen.
Autor: Ulrich Helmich 11/2024, Bild generiert von Adobe Photoshop 2024. Lizenzrechtliche Informationen.
Bei einer chemischen Reaktion muss die Aktivierungsenergie immer erst überwunden werden, damit die Teilchen der Edukte in einen "angeregten" Zustand übergehen und miteinander neue chemische Bindungen bilden können.
Gäbe es diese Aktivierungsenergie bei chemischen Vorgängen nicht, so würden alle exothermen chemischen Reaktionen spontan ablaufen. Papier würde sich bei Zimmertemperatur von selbst entzünden, es gäbe keine Wälder, weil auch die Bäume sofort brennen würden, und eigentlich gäbe es überhaupt keine Lebewesen auf der Erde, denn auch die Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette, aus denen wir bestehen, würden sofort mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlendioxid und Wasser und anderen Stoffen reagieren, wenn es keine Aktivierungsenergie gäbe. Also ist es toll, dass es diese Aktivierungsenergie bei chemischen Reaktionen überhaupt gibt.
Für die Zellen der Lebewesen hat das Vorhandensein dieser Aktivierungsenergie allerdings auch erhebliche Nachteile. Die Zellen benötigen Nährstoffe, die sie oxidieren müssen, um daraus Energie zu gewinnen. Kohlenhydrate werden von den Zellen "verbrannt", um beispielsweise ATP, die Energiewährung der Zelle, herzustellen. Die Aktivierungsenergie der Glucose-Oxidation ist aber recht hoch, ein Stück Traubenzucker kann jahrelang herumliegen, ohne dass es mit dem Luftsauerstoff reagiert. So lange kann eine Zelle, die ATP benötigt, aber nicht warten. Der Traubenzucker, den die Zelle aufgenommen hat, muss innerhalb von Sekundenbruchteilen verwertet werden.
Allgemein gilt: ΔH. Will man die Geschwindigkeit einer Reaktion also beschleunigen, muss man entweder die Temperatur erhöhen, oder man muss die Aktivierungsenergie senken.
Katalysatoren senken die Aktivierungsenergie
Zunächst eine kleine Aufgabe für Sie. Ich hoffe, Sie haben im Chemieunterricht der Sek. I gut aufgepasst. Wenn nicht, kein Problem, es wird Ihnen gleich alles erklärt.
Eine Reaktion ohne, eine Reaktion mit Katalysator
Autor: Ulrich Helmich 11/ 2024, Lizenz: Public domain
Links im Bild sehen wir noch einmal eine exotherme Reaktion ohne Katalysator. Dass es sich um eine exotherme Reaktion handelt, sieht man daran, dass die Energie der Produkte geringer ist als die Energie der Edukte (Ausgangsstoffe). Die Reaktionsenthalpie ΔH ist hier negativ.
Das rechte Energiediagramm zeigt die gleiche Reaktion, aber mit Katalysator. Die Aktivierungsenergie ist jetzt wesentlich niedriger. Und genau das ist der Effekt eines Katalysators: Katalysatoren erniedrigen die Aktivierungsenergie einer chemischen Reaktion und erhöhen dadurch die Reaktionsgeschwindigkeit.
Zwei wichtige Definitionen
Katalysatoren sind Stoffe (Elemente oder Verbindungen), die chemische Reaktionen extrem stark beschleunigen, indem sie die Aktivierungsenergie der Reaktion herabsenken.
Enzyme sind Katalysatoren, die aus Proteinen oder Nucleinsäuren bestehen und vor allem Reaktionen beschleunigen, die in lebenden Zellen ablaufen.
Wenn Sie sich genauer über die Arbeitsweise von Katalysatoren informieren wollen, gehen Sie auf diese Seite in meinem Chemie-Lexikon.
Ein Beispiel für die Wirkung von Enzymen
In einem alten Biochemie-Buch aus den 80er Jahren [2] habe ich folgende konkrete Daten für die Wirkung eines anorganischen Katalysators und eines Enzyms gefunden. Es ging um die Zersetzung von Wasserstoffperoxid H2O2 zu Wasser und Sauerstoff. Die Aktivierungsenergie der Reaktion liegt bei ca. 75 kJ/mol. Ein Platin-Katalysator senkt die Aktivierungsenergie auf rund 50 kJ/mol, während das Enzym Katalase die Aktivierungsenergie auf nur noch 8,4 kJ/mol senkt.
Und wieder drei Energiediagramme
Autor: Ulrich Helmich 11/ 2024, Lizenz: Public domain
Welche Auswirkungen hat diese Absenkung der Aktivierungsenergie durch die beiden Katalysatoren?
Auch hierüber gibt die im Buch abgedruckte Tabelle Auskunft. Wenn wir die Reaktionsgeschwindigkeit der nicht-katalysierten Reaktion auf den Wert 1 setzen, dann erhöht der Platin-Katalysator die Reaktionsgeschwindigkeit auf den Wert 10.000 oder 104 (das wären also vier Größenordnungen). Das ist enorm, aber noch gar nichts gegen das, was das Enzym Katalase bewirkt. Katalase erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit auf 10.000.000 - in Worten: Zehn Millionen bzw 107, das sind sage und schreibe 7 Größenordnungen!
Zur Veranschaulichung: Das Eisenstangen-Beispiel
Verrostete Eisenstangen
Autor: Ulrich Helmich 11/2024, Bild generiert von Adobe Photoshop 2024. Lizenzrechtliche Informationen.
Nehmen wir mal an, eine Eisenstange wird nach draußen in eine sehr feuchte Umgebung gestellt. Dann ist sie vielleicht in drei oder vier Monaten verrostet. Sagen wir mal, das Rosten dauert 100 Tage.
Der Platin-Katalysator beschleunigt das Rosten jetzt um den Faktor 10.000. 100 Tage sind 2.400 Stunden oder 144000 Minuten. Mit dem Platin-Katalysator würde das Rosten also nur noch gut 14 Minuten dauern. Man könnte sich davor setzen und dem Rosten zuschauen.
14,4 Minuten sind 864 Sekunden. Das Enzym Katalase beschleunigt die Reaktion nochmals um den Faktor 1.000. Das Rosten würde demnach nur noch gut 0,9 Sekunden betragen.
Mit anderen Worten: Das Enzym Katalase beschleunigt einen Vorgang, der 100 Tage dauern würde derart, dass er in knapp einer Sekunde abläuft.
Ein Extrembeispiel!
Vor kurzem habe ich mir den neuen "Lehninger Principles of Biochemistry" [3] gekauft - eines dieser Fachbücher, für die man leicht 70 Euro oder mehr hinlegen muss. Dort steht ein noch viel eindrucksvolleres Beispiel für die Wirkung eines Enzym-Katalysators auf Seite 178:
"The enzyme orotidine phosphate carboxylase ... provides a special example, with a rate enhancement of 1017. The uncatalyzed reaction has a half-life of 78 million years. On the enzyme, the reaction occurs on a time scale of milliseconds."
Die Entwicklung des Menschen aus dem ersten Prokaryoten hat ca. 4 Milliarden Jahre gedauert oder 4 * 109 Jahre, 1,46 * 1012 Tage, 35 * 1012 Stunden, 2,1 * 1015 Minuten oder 1,26 * 1017 Sekunden. Hätte das oben genannte Enzym diese Entwicklung beschleunigt, wäre der Mensch innerhalb von 1,26 Sekunden entstanden!
Katalysatoren vs. Temperaturerhöhung
Auch durch eine Erhöhung der Temperatur kann man chemische Reaktionen beschleunigen. Die berühmte RGT-Regel besagt, dass bei einer Temperaturerhöhung um 10 ºC die Reaktionsgeschwindigkeit ungefähr auf den doppelten Wert steigt. In lebenden Zellen kann die RGT-Regel aber nur stark eingeschränkt wirken, denn bereits bei 40 ºC beginnen die meisten Proteine zu denaturieren, und die Zellfunktionen werden nach und nach eingestellt. Eine Reaktion, die bei 10 ºC 60 Sekunden benötigt, ist bei 20 ºC in 30 Sekunden beendet und bei 30 ºC in 15 Sekunden. Bei 40 ºC dauert die Reaktion immer noch 7,5 Sekunden, was natürlich viel zu langsam für eine lebende Zelle ist. Aber weiter kann die Temperatur nicht erhöht werden, weil dann die Zelle stirbt. Mit Hilfe von Enzymen kann jedoch auch ohne Temperaturerhöhung eine sensationelle Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit auf wenige Bruchteile von Sekunden erreicht werden.
Die meisten Enzyme sind Proteine. Wenn Sie meinen, dass Sie nicht genug über Proteine (Eiweiße) wissen, gehen Sie bitte auf die sehr ausführlichen Proteinseiten meiner Homepage.
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Quellen:
- Verschiedene Schulbücher
- Hafner: Biochemie, Schroedel-Verlag 1994.
- Nelson, Cox: LEHNINGER Principles of Biochemistry. Macmillan Learning, New York 2021.