Eine einfach zu merkende Regel, die angibt, welches Reaktionsprodukt bei einer elektrophilen Addition (und auch bei einer radikalischen Addition) an die C=C-Doppelbindung bevorzugt entsteht.
Ursprünglich lautete die Regel ungefähr so:
Bei der Addition einer Verbindung HX an ein Alken setzt sich das H-Atom stets an das C-Atom der Doppelbindung, an dem sich bereits die meisten H-Atome befinden.
Dieses Phänomen könnte man auch mit dem Spruch "Wer schon hat, dem wird gegeben" beschreiben.
Das Proton setzt sich an das C-Atom mit den meisten H-Atomen
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.
Das linke C-Atom der Propen-Doppelbindung besitzt zwei H-Atome, das rechte C-Atom der Doppelbindujng nur eins. Also setzt sich das Proton an das linke C-Atom.
Die alte Formulierung von MarkownikoW ist zwar korrekt, zeigt aber nicht die Gründe für dieses Verhalten auf. Schauen wir uns dazu folgendes Beispiel an [8]:
Addition eines Protons an ein Inden-Molekül
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende
Beide C-Atome der C=C-Doppelbindung besitzen genau ein H-Atom. Also sollte sich das Proton mit gleicher 50%iger Wahrscheinlichkeit an jedes dieser beiden C-Atome setzen. Es entsteht aber hauptsächlich das links dargestellte Produkt. Dieser Befund widerspricht jedoch der alten Markownikoff-Regel. Eigentlich müsste von jedem der beiden ionischen Zwischenprodukte gleich viel entstehen.
MarkownikoW hatte noch keine Ahnung von Radikalen, Carbenium-Ionen, sp2-Hybridisierung und all den anderen Erkenntnissen der modernen Chemie. Heute formuliert man die Markownikoff-Regel folgendermaßen:
Bei der Addition einer Verbindung HX an ein Alken setzt sich das H-Atom so an die Doppelbindung, dass das jeweils stabilste Carbenium-Ion als Zwischenprodukt entsteht.
Betrachten wir dazu das folgende Bild:
Das System delokalisierter pi-Elektronen in den beiden Varianten des Carbenium-Ions
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende
Dieses Bild zeigt, welche der C-Atome des Indens sp2- bzw. sp3-hybridisiert sind. Die p-Orbitale der sp2-hybridisierten C-Atome im Benzolring bilden eine Elektronenwolke mit sechs delokalisierten Elektronen.
Im linken Bild setzt sich das H-Atom an das C-Atom des Fünferrings, das dem Benzolring direkt benachbart ist. Dieses C-Atom geht dann in den sp3-hybridisierten Zustand über.
Im rechten Bild setzt sich das H-Atom an das mittlere C-Atom des Fünferrings. Dieses C-Atom geht dann in den sp3-hybridisierten Zustand über, aber das dem Benzolring benachbarte C-Atom bleibt sp2-hybridisiert. Das p-Orbital dieses Atoms kann mit den p-Orbitalen des Benzolrings überlappen und bildet dann ein größeres und damit stabileres konjugiertes System delokalisierter Elektronen.
Das rechts abgebildete Carbenium-Ion ist wesentlich stabiler als das links dargestellte, eine eindrucksvolle Bestätigung der modernen MarkownikoW-Regel.
Im Grunde gilt die MarkownikoW-Regel auch für die Bildung von radikalischen Zwischenprodukten. Bei der radikalischen Addition einer Verbindung HX an die C=C-Doppelbindung entsteht auch die stabilste radikalische Zwischenstufe.
Schreibweise von Markownikow
Die Eindeutschung russischer Namen ist immer ein Problem wegen des kyrillischen Alphabets. Man sieht daher mehrere verschiedene Schreibweisen bei den Namen von russischen Forschern, Komponisten und anderen Leuten. Das bekannte Lexikon der Chemie aus dem Spektrum-Verlag sowie der Römpp schreiben "Markownikoff". Alternative Schreibweisen sind "Markownikow", "Markovnikov", Markownikoff, Markovnikoff oder "Markovnikow".
Laut Google gibt es für Markownikoff 44.200 Ergebnisse, für Markownikow 26.900 Einträge und für Markovnikow 1.030 Ergebnisse. Interessanterweise liefert Markovnikov sogar 657.000 Ergebnisse; in der englischsprachigen Wikipedia ist auch von "Markovnikov's rule" die Rede.
Quellen und weiterführende Bücher und Artikel, die über allgemeines Schulbuchwissen hinausgehen:
- M. A. Fox, J. K. Whitesell: Organische Chemie - Grundlagen, Mechanismen, bioorganische Anwendungen. 1. Auflage, Heidelberg 1995.
- K. P. C. Vollhard, N.E. Schore: Organische Chemie. 6. Auflage, Weinheim 2020.
- J. Clayden, N. Greeves, S. Warren: Organische Chemie. Berlin 2013.
- R. T. Morrison, R. N. Boyd, S. K. Bhattacharjee: Organic Chemistry. 7. Auflage, Dorling Kindersley 2011.
- Reinhard Brückner, Reaktionsmechanismen, 3. Auflage, Springer-Verlag 2014.
- Organikum, 22. Auflage, Weinheim 2004.
- J. Falbe, M. Regitz (Herausgeber): Römpp Chemie Lexikon in 6 Bänden. 9. Auflage, Stuttgart, New York 1989-1992.
- Dyker-Vorlesung "Organische Chemie 1", Folge 31 (auf Tib AV - Portal verfügbar).