Intraspezifische Konkurrenz
Zunächst muss man sich klarmachen, dass sich intraspezifische und interspezifische Konkurrenz nicht gegenseitig ausschließen. Eine Mäusepopulation teilt sich ihre Nahrung mit anderen Tierarten, aber innerhalb der Mäusepopulation herrscht gleichzeitig intraspezifische Konkurrenz. Ein Mäuserich, der einen Samen auf dem Waldboden findet, muss diesen Fund vielleicht zuerst gegen einen anderen Mäuserich verteidigen, und kurze Zeit später gegen einen kleinen Singvogel, der es auch auf den Samen abgesehen hat.
Die Versuche von Gause
Auf die mathematischen Modelle von LOTKA und VOLTERRA zur interspezifischen Konkurrenz möchte ich hier nicht eingehen, da die Betrachtungen doch allzu theoretischer Natur sind und in der freien Natur meistens nicht zum Tragen kommen. Interessanter und aufschlussreicher sind da die historischen Experimente des russischen Biologen Georgy GAUSE, die Sie sicherlich aus Schulbüchern, Klausuren oder Gruppenarbeiten kennen.
Paramecium aurelia und Paramecium caudatum
Hierzu betrachten wir einen berühmten Versuch. Um 1935 herum experimentierte Georgy GAUSE mit Kulturen des Pantoffeltierchens Paramecium.
Graphs demonstrating the competitive exclusion principle. Paramecium aurelia and Paramecium caudatum grow well individually, but when they compete for the same resources, the P. aurelia outcompetes the P. caudatum. Quelle: Wikipedia.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. Author: CNX OpenStax.Wenn er Paramecium aurelia (Ohren-Pantoffeltierchen) oder Paramecium caudatum (Geschwänztes Pantoffeltierchen) in Reinkulturen züchtete, zeigten beide Arten ein typisches logistisches Wachstum, wobei allerdings teils gravierende Unterschiede auftragen, wie die folgende Tabelle zeigt:
Parameter | P. aurelia | P. caudatum |
Größe in Mikrometern | 120 - 180 | 180 - 300 |
Kapazität K in Tiere/ml | 250 - 270 | 65 - 70 |
Zeit bis zum Erreichen von K/2 in Tagen | 2-3 | 4-5 |
P. aurelia ist deutlich kleiner als P. caudatum und vermehrt sich doppelt so schnell (was man in der Abbildung aus der Wikipedia nicht unbedingt sieht). Da die P. aurelia-Individuen kleiner sind als die P. caudatum-Tiere, können sich mehr Tiere von der gleichen Nahrungsmenge ernähren, und daher ist die Umweltkapazität für P. aurelia mit 250 - 270 Individuen/ml deutlich größer als die für P. caudatum mit 65 - 70 Individuen/ml.
Nun wollte GAUSE sehen, wie sich die Sache verhält, wenn er beide Paramecium-Arten in einer Mischkultur gemeinsam hält. Arrangieren sich die beiden Tierarten miteinander, oder konkurrieren sie? Und wenn sie konkurrieren, ist die Konkurrenz so stark, dass die eine Art die andere vollständig verdrängt?
Die letzte Frage konnte GAUSE mit einem eindeutigen "Ja" beantworten. In den ersten beiden Tagen der Mischkultur wuchsen beide Populationen, doch dann setzte sich P. aurelia, die kleinere Art mit der größeren Wachstumsrate, durch. P. caudatum nahm noch bis zum 4. Tag auf ca. 20 Tiere/ml zu, doch dann sank die Individuendichte immer stärker ab, bis nach ca. 16 Tagen kein einziges Tier mehr nachgewiesen werden konnte.
GAUSE hatte das Konkurrenzausschluss-Prinzip entdeckt: Eine ökologische Nische kann nicht durch zwei Arten am selben Ort und zur gleichen Zeit besetzt werden, ohne dass es zur interspezifischen Konkurrenz kommt. Eine der beiden Arten wird sich auf Dauer durchsetzen und die andere verdrängen. Kann die konkurrenzschwächere Art nicht in eine andere ökologische Nische ausweichen, so wird sie schließlich vollständig ausgelöscht.
Paramecium aurelia und Paramecium bursaria
Kurze Zeit später unternahm GAUSE einen ähnlichen Versuch mit P. aurelia und P. bursaria. P. bursaria ist noch kleiner als P. aurelia, das ist aber nicht das Entscheidende. Viel wichtiger ist, dass P. bursaria an anderen Stellen im Becherglas nach Nahrung sucht als P. aurelia, nämlich auf dem Boden des Becherglases, während P. aurelia in der Kahmhaut, also an der Wasseroberfläche, nach Bakterien sucht. Außerdem kann sich P. bursaria relativ unabhängig von der bakteriellen Nahrungsquelle machen, da es über Grünalgen als Endosymbionten verfügt, die ihn mit Kohlenhydraten versorgen können.
Parameter | P. aurelia | P. bursaria |
Größe in Mikrometern | 120 - 180 | 90 - 150 |
Kapazität K in Tiere/ml | 250 - 270 | unbekannt |
Zeit bis zum Erreichen von K/2 in Tagen |
2-3 | unbekannt |
Bevorzugter Ort der Nahrungssuche |
Wasser- oberfläche |
Boden |
Sonstiges | --- | lebt in Symbiose mit Grünalgen |
Die Daten für die Kapazität und die Vermehrungsgeschwindigkeit für P. bursaria liegen mir zur Zeit leider nicht vor.
GAUSE stellt nun fest, dass beide Arten, Paramecium aurelia und Paramecium bursaria, koexistieren können. Keine Art löscht die andere vollständig aus. Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, dass beide Arten unterschiedliche ökologische Nischen besetzen: Zwar fressen beide Tierarten die gleiche Nahrung, nämlich Bakterien, aber Paramecium aurelia sucht an einem anderen Ort nach Nahrung als Paramecium bursaria. Damit besetzen nach dem N-Faktoren-Modell der Ökologischen Nische (Konzept von Hutchinson) die beiden Arten zwei verschiedene ökologische Nischen. Dazu kommt noch, dass Paramecium bursaria mit Grünalgen der Art Zoochlorella in Symbiose lebt, also nicht unbedingt auf Bakterien-Nahrung angewiesen ist, um zu überleben.
GAUSES wichtige Entdeckung bestätigte das Konkurrenzausschluss-Prinzip: Leben zwei Arten in der gleichen ökologische Nische, so kann sich auf Dauer nur eine Art durchsetzen. Diese wird dann als "konkurrenzstärker" bezeichnet. Leben zwei Arten dagegen in verschiedenen ökologische Nischen, so können beide Arten nebeneinander existieren.
Die Versuche von Tilman
Um 1980 hat TILMAN ähnliche Versuche mit Kieselalgen durchgeführt, und zwar mit Asterionella formosa und Synedra ulna.
Hier war der limitierende Faktor, der das Populationswachstum begrenzte, nicht die Nahrungsmenge, sondern der Gehalt des Wassers an Siliciumverbindungen. Kieselalgen sind photosynthetisch aktive Einzeller, die ein Gehäuse aus Kieselgel bilden. Kieselgel ist eine harte Siliciumverbindung. Um dieses Gehäuse zu bilden, müssen die Kieselalgen Silikate aus dem Wasser aufnehmen. Das geht allerdings nur dann, wenn die Silikatkonzentration im Wasser einen bestimmten Mindestwert nicht unterschreitet. Wird dieser Mindestwert unterschritten, ist es für die Algen nicht möglich, das Silikat aufzunehmen.
Asterionella formosa und Synedra ulna in Reinkultur
In Reinkultur zeigten die Populationen von Asterionella formosa und Synedra ulna ein typisches logistisches Wachstum, wenn genügend Silikat vorhanden ist. Durch das Wachstum der Algen verringerte sich natürlich die Silikatkonzentration, da während des Versuchs das verbrauchte Silikat nicht ersetzt wurde. Das anfänglich exponentielle Wachstum ging also langsam in ein lineares, schließlich in ein stationäres Wachstum über, wie es beim logistischen Wachstum üblich ist.
Asterionella formosa und Synedra ulna in Mischkultur
Eine Mischkultur der beiden Algenarten zeigte, dass Synedra ulna die konkurrenzstärkere Art ist, innerhalb von 50 Tagen verdränge sie Asterionella formosa komplett. Bei diesem Versuch konnte die konkurrenzstärkere Art die Ressource Silikat einfach besser ausnutzen, so dass für die konkurrenzschwächere Art nicht genug übrig blieb. Die konkurrenzstärkere Art hatte durch ihren Silicatverbrauch die Silicatkonzentration unter den Mindestwert für die konkurrenzschwächere Art abgesenkt, so dass diese kein Silicat mehr aufnehmen konnten, obwohl noch Silikat vorhanden war.
Quellen:
- Smith, Ökologie, 6. Auflage, München 2009
- Remmert, Ökologie, 5. Auflage, Berlin Heidelberg New York 1992
- Lampert, Sommer, Limnoökologie, 2. Auflage, Stuttgart New York 1999