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Sympatrische Artbildung

Lernziele

Wenn Sie diese Seite durchgearbeitet haben, sollten Sie

  • definieren können, was man unter sympatrischer Artbildung versteht und
  • die sympatrische Artbildung von der allopatrischen Artbildung abgrenzen können
  • die drei Mechanismen kennen, die zu einer sympatrischen Artbildung führen können
  • erläutern können, wieso eine Polyploidisierung zu einer spontanen Artbildung "über Nacht" führen kann,
  • die Rolle der sexuellen Selektion bei der sympatrischen Artbildung erläutern können,
  • den Zusammenhang zwischen intraspezifischer Konkurrenz, ökologischer Einnischung und sympatrischer Artbildung herstellen und erklären können.

Unter dem Fachbegriff "sympatrische Artbildung" versteht man die Bildung von zwei Arten, ohne dass vorher eine geographische Separation, also eine räumliche bzw. physikalische Trennung stattgefunden haben muss.

Dieser Begriff ist übrigens recht umstritten. Einige Biologen, allen voran der berühmte Ernst MAYR, auf den beispielsweise der biologische Artbegriff zurückgeht, bestreiten, dass es eine sympatrische Artbildung bei Vögeln oder Säugetieren überhaupt gibt.

Bei der sympatrischen Artbildung unterscheidet man drei verschiedene Mechanismen:

  • Polyploidisierung
  • Sexuelle Selektion
  • Ökologische Einnischung

Polyploidisierung

Man unterscheidet zwei Arten der Polyploidie, je nach Art und Weise der Entstehung: Autopolyploidie und Allopolyploidie. Die Autopolyploidie ist eine Genommutation, bei der sich der Chromosomensatz verdoppelt. Bei Pflanzen kommt diese Art der Polyploidisierung sehr häufig vor, man vermutet, dass ein Großteil der heute lebenden Pflanzen in ihrer Evolution eine solche Polyploidisierung durchgemacht hat.

Die Allopolyploidie ist dagegen auf Hybridisierungen zurückzuführen, wenn sich also Individuen zweier nah verwandter Arten kreuzen.

Einzelheiten zur Polyploidisierung finden Sie auf der entsprechenden Lexikon-Seite.

Welche Rolle spielen nun solche Polyploidisierungen bei der sympatrischen Artbildung? Schauen wir uns dazu einmal ein tetraploides Individuum an, in der Regel handelt es sich hierbei um eine Pflanze; bei Tieren sind polyploide Individuen meistens nicht überlebensfähig.

Triploide Individuen entstehen aus einer diploiden und einer haploiden Keimzelle
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Trifft die diploide Keimzelle einer tetraploiden Pflanze auf eine haploide Keimzelle einer normalen diploiden Pflanze, so entsteht eine triploide Zygote, die sich durchaus zu einem triploiden Individuum entwickeln kann. Aber dieses triploide Individuum ist höchstwahrscheinlich steril, kann sich also nicht mehr geschlechtlich fortpflanzen. Warum ist dies der Fall?

Wenn sich das triploide Hybrid-Individuum fortpflanzen will, so muss es Keimzellen produzieren. Schauen wir uns jetzt mal die Meiose an, die dabei abläuft.

Beschreibung siehe folgenden Text

Bildung von Keimzellen mit überschüssigen Chromosomen
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Bei der Paarung der homologen Chromosomen gibt es Probleme, denn nicht alle Chromosomen finden einen passenden Partner. Wenn sich dann die Keimzellen bilden, entstehen Samen- oder Eizellen mit überschüssigen Chromosomen. Treffen diese Keimzellen dann auf normale haploide Keimzellen, entstehen Individuen mit Genommutationen wie zum Beispiel Trisomien bzw. Monosomien (ein bestimmtes Chromosom zu viel bzw. zu wenig). Solche Individuen sind - zumindest bei Tieren - oft nicht lebensfähig, und wenn doch, dann mit starken Einschränkungen hinsichtlich der Lebensfähigkeit und der Fortpflanzungsfähigkeit.

Das heißt doch aber nichts anderes, als dass das triploide Individuum reproduktiv von den diploiden Artgenossen der Population isoliert ist. Selbst wenn es auf einen triploiden Fortpflanzungspartner stößt, kann es ja keine "vernünftigen" Keimzellen bilden, um sich fortzupflanzen.

Etwas anders ist es, wenn die diploide Keimzelle eines tetraploiden Individuums auf eine zweite diploide Keimzelle trifft. Dann bildet sich keine triploide Zygote, sondern eine tetraploide. Entsteht hieraus ein tetraploides Individuum, so sollte dieses keine Probleme haben, Keimzellen zu bilden, die dann aber auch wieder tetraploid sind.

Mit diploiden Artgenossen können solche tetraploiden Pflanzen keine fruchtbaren Nachkommen hervorbringen, wohl aber mit anderen tetraploiden Artgenossen. Quasi "über Nacht" entstehen so zwei Arten innerhalb einer Population.

Sexuelle Selektion

Stellen wir uns eine Population von Tieren vor, in der sich bestimmte Gruppen gebildet haben, die sich äußerlich oder vom Verhalten her von anderen Gruppen der gleichen Population unterscheiden. Aus einer Abituraufgabe von 2020 (NRW) kennen wir zum Beispiel die beiden Ökotypen einer portugiesischen Spinnenart. Die beiden Ökotypen fressen nicht nur unterschiedliche Ameisenarten, sondern die Tiere pflanzen sich auch vorzugsweise nur mit Partnern fort, die dem gleichen Ökotyp angehören.

Bei den Buntbarschen in den Seen Ostafrikas kann man beobachten, dass innerhalb einer Art verschiedene Farbvariationen vorkommen. Die Weibchen bevorzugen bei der Paarung aber meistens Männchen mit der Farbe, die sie selbst haben. Die so entstehenden Nachkommen haben dann auch die gleiche Farbe [2].

Kuckucks-Weibchen pflanzen sich normalerweise auch nur mit Männchen fort, die vom gleichen Wirtsvogel großgezogen worden sind. Nur diese Männchen haben den "passenden" Gesang von ihren Wirten übernommen, den das Weibchen erkennt. Das gleiche Phänomen kann man auch bei den afrikanischen Witwenvögeln beobachten, die ähnlich wie der Kuckuck Brutparasiten sind, ihre Eier also in Nestern fremder Vogelarten aufziehen lassen.

Auf den Galapagos-Inseln wählen die Weibchen der Darwinfinken ihre Partner nach der Schnabelgröße. Das ist evolutionsbiologisch vorteilhaft für die Art. Würden sich Weibchen mit einem großen Schnabel beispielsweise mit einem kleinschnabeligen Männchen paaren, dann würden Nachkommen mit einem mittelgroßen Schnabel entstehen, die dann aber weder große Samen noch kleine Samen knacken könnten, sondern auf die mittelgroßen Samen angewiesen wären, die aber schon von einer konkurrierenden Finkenart gefressen werden [2].

Ökologische Isolation

Ein gut dokumentiertes Beispiel für sympatrische Artbildung ist die Fruchtfliege Rhagoletis pomonella, die im Osten von Nordamerika lebt. Naturforscher und Pflanzenzüchter des 19. Jahrhunderts beobachteten, dass die Paarung und die Eiablage dieser Fliege ausschließlich auf den Früchten des Weißdorns stattfanden.

Europäische Einwanderer brachten schon immer Jahren Apfelbaum-Setzlinge mit nach Nordamerika und pflanzten diese an, man wollte ja schließlich die bekannten heimischen Äpfel genießen, auch wenn man auf einem neuen Kontinent lebte.

Vor ca. 150 Jahren fingen nun einige dieser Fruchtfliegen an, ihre Eier an diesen neuen Äpfeln abzulegen. Da nun die Apfelbäume eher blühten als die Weißdornpflanzen, mussten diese Fruchtfliegen auch ihre Eier eher ablegen als ihre Artgenossen, die ihre Eier immer noch an die Weißdornfrüchte ablegten. Es kam zu einer zeitlichen Isolation der beiden Teilpopulationen. Da die Eiablage auf den Apfelbäumen früher erfolgen musste als auf den Weißdornbüschen, fanden auch Balz und Fortpflanzung bei dieser Teilpopulation eher statt. Außerdem entwickelten Fliegen, die auf den Äpfeln schlüpften, bei der Paarung eine Vorliebe für Individuen, die ebenfalls aus Eiern geschlüpft waren, die auf Äpfeln abgelegt wurden, und bei den Weißdorn-Fliegen konnte man Ähnliches beobachten, auch sie blieben lieber unter sich.

"Möglicherweise ist eine sympatrische Artbildung durch eine solche Spezialisierung auf eine bestimmte Wirtspflanze unter Insekten weit verbreitet, denn viele Insektenarten ernähren sich nur von einer einzigen Pflanzenart." [1]

Auch wenn in einer Population eine starke innerartliche Konkurrenz herrscht (wie beispielsweise in der Sättigungsphase des logistischen Wachstums), suchen sich einige Individuen eine andere Nahrungsquelle. Wenn sie sich dabei von der Hauptpopulation räumlich (aber nicht physikalisch) trennen, haben wir den Beginn einer sympatrischen Artbildung als Folge einer unterschiedlichen Einnischung.

Hier noch einmal zwei wichtige Fachbegriffe zum Merken:

Separation = Trennung einer Population in zwei Teilpopulationen, zum Beispiel durch geographische Schranken, durch unterschiedliche Einnischung oder Ähnliches. Die Separation führt dann zur Unterbrechung des Genflusses.

Isolation = Unterbindung des Genflusses zwischen den Individuen. Dabei unterscheidet man präzygotische und postzygotische Isolationsmechanismen (siehe dort).

Somit ist also die Separation die Ursache, und die Bildung von Isolationsmechanismen die Folge.

Beispiele für sympatrische Artbildung

Auf dieser neuen Webseite sammle ich aktuelle Beispiele für sympatrische Artbildungen im Pflanzen- und Tierreich. Bisher ist allerdings noch nicht viel zusammengekommen.

Quellen:

  1. Savada, Hillis, Heller, Hacker: Purves Biologie, Springer Verlag Deutschland 2019, 10. Auflage. Herausgegeben von Jürgen Markl.
  2. Zrzavý, Burda, Storch, Begall, Mihulka: Evolution, ein Lese-Lehrbuch, Berlin, Heidelberg, 2009, 2013.