Helmichs Chemie-Lexikon

Nucleophilie Q1, Q2

Unter Nucleophilie versteht man ein Maß für die Neigung einer Lewis-Base (elektronegatives Teilchen mit mindestens einem freien Elektronenpaar), mit Carbenium-Ionen oder positiv polarisierten C-Atomen anderer Moleküle eine kovalente Bindung zu bilden. Lewis-Basen mit dieser Eigenschaft werden auch als Nucleophile bezeichnet.

Messung der Nucleophilie

Den Grad der Nucleophilie kann man nicht direkt messen, Nucleophilie ist keine Größe wie Elektronegativität, Leitfähigkeit, Siedepunkt oder pH-Wert. Man kann nur die relative Nucleophilie im Vergleich zu einem Referenz-Nucleophil messen.

In der chemischen Praxis führt man dazu vergleichende Experimente durch, sogenannte Konkurrenzreaktionen. Man versetzt ein Substrat wie Chlor-ethan mit zwei verschiedenen Nucleophilen und verfolgt die Geschwindigkeit der beiden Reaktionen. Das stärkere Nucleophil reagiert dann schneller als das schwächere Nucleophil. So hat man beispielsweise herausgefunden, dass Hydroxid-Ionen sehr viel stärkere Nucleophile sind als Wasser-Moleküle:

Vergleich zweier Nucleophile
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Lässt man Chlor-ethan mit Wasser als Nucleophil reagieren, bildet sich sehr langsam Ethanol (protoniert). Führt man die Reaktion dagegen mit der konjugierten Base OH- durch, erfolgt die Bildung von Ethanol recht schnell.

Auch bei der Umsetzung von Chlor-ethan mit Ammoniak NH3 und der konjugierten Base NH2- reagiert die konjugierte Base viel schneller mit dem Substrat als das neutrale Nucleophil, die konjugierte Säure.

Weitere solche Versuche bestätigen die Hypothese, dass anionische Nucleophile stärker sind als vergleichbare neutrale Nucleophile. Anders formuliert: Eine Base ist stärker nucleophil als ihre konjugierte Säure.

Abhängigkeit der Nucleophilie

Die Nucleophilie eines Teilchens hängt von mehreren Faktoren ab, die auf der Vertiefungsseite näher erläutert werden. Hier nur ein Beispiel:

  • In wässriger Lösung ist das Iodid-Ion ein sehr starkes Nucleophil, während das Chlorid-Ion ein viel schwächeres Nucleophil ist.
  • In dem Lösemittel Aceton sind die Verhältnisse genau umgekehrt. Hier ist das Chlorid-Ion ein stärkeres Nucleophil als das Iodid-Ion.
Vertiefungsseite "Nucleophilie"

Für Leute aus dem Chemie-LK oder Studierende in den ersten Semstern habe ich noch eine weitergehende Vertiefungsseite zur Nucleophilie geschrieben.

Quellen:

  1. M. A. Fox, J. K. Whitesell: Organische Chemie - Grundlagen, Mechanismen, bioorganische Anwendungen. 1. Auflage, Heidelberg 1995.
  2. K. P. C. Vollhard, N.E. Schore: Organische Chemie. 6. Auflage, Weinheim 2020.
  3. J. Clayden, N. Greeves, S. Warren: Organische Chemie. Berlin 2013.
  4. R. T. Morrison, R. N. Boyd, S. K. Bhattacharjee: Organic Chemistry. 7. Auflage, Dorling Kindersley 2011.
  5. Organikum, 22. Auflage, Weinheim 2004.
  6. J. Falbe, M. Regitz (Herausgeber): Römpp Chemie Lexikon in 6 Bänden. 9. Auflage, Stuttgart, New York 1989-1992.