Helmichs Biologie-Lexikon

Proteine: Ungeordnete Bereiche

Im Biologie- oder Chemieunterricht lernt man, dass ein Protein viele Bereiche enthält, in denen die Aminosäuren hochgeordnet sind. Bei diesen sogenannten Sekundärstrukturen unterscheidet man α-Helix-Bereiche und β-Faltblatt-Bereiche.

Neben diesen geordneten Bereichen gibt es aber auch viele Bereiche in einem Protein-Molekül, die völlig ungeordnet sind, also quasi in ihrer Primärstruktur vorliegen. Im Schulunterricht werden solche ungeordneten Bereiche meistens gar nicht erwähnt, weil sie für die dort behandelten Themen keine Rolle spielen.

Tatsächlich ist es aber so, dass viele eukaryotische Proteine solche ungeordneten Bereiche enthalten. Oft sind diese Bereiche sogar recht lang. Bei einem Drittel der eukaryotischen Proteine findet man ungeordnete Bereiche, die 30 Aminosäuren oder mehr umfassen [1]. Die eukaryotische RNA-Polymerase hat am C-Terminus sogar einen ungeordneten Bereich, der aus 200 Aminosäuren besteht.

Nun könnte man ja denken, solche ungeordneten Bereiche haben keine besondere Funktion in den Proteinen, sondern sind einfach nur Verbindungsstücke zwischen den verschiedenen α-Helix- und β-Faltblatt-Bereichen. Oft ist das tatsächlich der Fall. Aber viele dieser ungeordneten Bereiche haben während der Evolution so gut wie kaum ihre Aminosäuresequenz verändert, sind also hochkonserviert, wie man sagt. Zumindest diese konservierten Bereiche müssen dann ja wohl doch eine wichtige Funktion in dem Protein haben, sonst hätte sich ihre Zusammensetzung während der Evolution stark verändert - wie alle Strukturen, die keinem Selektionsdruck unterliegen.

Aufgaben der ungeordneten Bereiche

Bindung von anderen Proteinen

Ungeordnete Bereiche im Innern eines Protein-Moleküls können oft bestimmte Bereiche anderer Proteine nicht-kovalent binden, zum Beispiel über H-Brücken oder ionische Wechselwirkungen.

Bindungs von Phosphatgruppen

Auch sind diese Bereiche oft das Ziel von Phosphorylierungen, also Anheftungen einer Phosphat-Gruppe durch ein Enzym.

Bildung elastischer Fasern

Das Protein Elastin kommt in großer Menge in der extrazellulären Matrix vor und ist für deren Elastizität mitverantwortlich. Durch große ungeordnete Bereiche innerhalb dieser Proteinfasern und Quervernetzungen der einzelnen Fasern entsteht ein elastisches Netzwerk, das sich gummimäßig dehnen lässt, ohne dabei zu reißen.

Multienzymkomplexe

Multienzymkomplexe sind Zusammenschlüsse mehrerer Enzyme, die dann eine ganze Reihe von Reaktionen einer Stoffwechselkette katalysieren. Das Substrat wird dabei von einem Enzym zum nächsten weitergereicht. Für dieses Weiterreichen sind oft ungeordnete Peptidketten innerhalb des Multienzymkomplexes verantwortlich.

Quellen:

  1. Bruce Alberts et al. Molekularbiologie der Zelle, 7. Auflage, Weinheim 2025.
  2. Nelson, Cox. LEHNINGER Principles of Biochemistry. Macmillan Learning, New York 2021.
  3. Berg, Tymoczko, Gatto jr., Stryer: Stryer Biochemie, 8. Auflage, Springer Berlin Heidelberg 2018.