Helmichs Biologie-Lexikon

Chromosomen

Historisches

Ursprünglich wurden als "Chromosomen" die gut anfärbbaren (griech. chróma, Farbe) Strukturen bezeichnet, die im Lichtmikroskop während der Mitose zu sehen waren. Der Name "Chromosom" wurde von Heinrich Wilhelm Waldeyer (1836-1921) geprägt. Auch der Begriff "Neuron" für Nervenzellen wurde von Waldeyer geprägt.

Chromosomen in Zellen der Cornea (Hornhaut des Auges)
Autor: Walther Flemming 1881, Lizenz: Public domain.

Laut Wikipedia ist diese alte Abbildung von Walther Flemming (1843-1905) vermutlich die erste Darstellung menschlicher Chromosomen überhaupt.

Die originale Bildunterschrift lautet: "Einige aus vielen gesehenen Theilungen aus der menschlichen Cornea." Es handelt sich möglicherweise um die erste publizierte Darstellung menschlicher Chromosomen. W. Flemming war Professor für Anatomie an der Universität Kiel. Flemming hat wichtige Begriffe der Biologie "erfunden", zum Beispiel Chromatin und Mitose. Flemming lebte und wirkte vor Mendel, so dass er die Chromosomen nicht mit Vererbung in Zusammenhang brachte.

Heute ist man mit dem Begriff "Chromosom" wesentlich großzügiger. Auch die DNA in den Mitochondrien und Chloroplasten wird "Chromosom" genannt, wie auch die DNA in Bakterienzellen. Sogar die DNA oder RNA von Viren werden von einigen Fachleuten als "Chromosom" bezeichnet, obwohl diese DNA nicht mit Histonen assoziiert ist und nicht im Lichtmikroskop sichtbar ist.

Bau eines Chromosoms

Chromosomen sind am besten in der Metaphase der Mitose zu sehen, hier sind sie maximal kondensiert.

Ein Metaphase-Chromosom (mit Satellit)
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Ein Chromosom besteht vor und während der Mitose aus zwei Chromatiden. Jedes Chromatid enthält einen DNA-Strang, der mit Histonen assoziiert ist. In Schulbüchern spricht man hier auch von 2-Chromatid-Chromosomen.

Telomere

Am Anfang und am Ende eines jeden Chromatids befindet sich eine Region mit stark repetitiver DNA, die als Telomer bezeichnet wird.

Die Telomere haben mehrere Aufgaben

  1. Sie verankern die Chromosomen an der inneren Schicht der Kernhülle.
  2. Sie verhindern die Fusion von Chromosomen.
  3. Sie werden bei jeder Replikation kürzer, spielen in Tierzellen also eine wichtiger Rolle beim Altern.
Centromer

Das Centromer ist die Stelle des Chromosoms, an dem die beiden Chromatiden "zusammengeheftet" sind. Dieser Fachbegriff wurde übrigens ebenfalls von Waldeyer geprägt. Das Centromer spielt eine wichtige Rolle bei der Mitose, hier werden die beiden Chromatiden nämlich auseinander gerissen. Dazu verbinden sich die aus Mikrotubuli bestehenden Spindelfasern mit einer proteinreichen Stelle des Centromers, die als Kinetochor bezeichnet wird.

Durch das Centromer werden die Chromosomen in zwei Arme gegliedert, die meistens unterschiedlich lang sind. Oft sitzt das Centromer ungefähr in der Mitte des Chromosoms, oft aber auch in der Nähe des einen oder des anderen Endes.

Centromerindex

Als Centromerindex wird das Verhältnis der beiden Armlängen eines Chromosoms bezeichnet. Es gilt die Formel

Centromerindex = [(100 * p)/(p+q)])

Dabei sind p und q die Längen der beiden Chromosomenarme (p = kurzer Arm, q = langer Arm). Angenommen, der kurze Arm hat eine Länge von p = 25,5 µm, der lange Arm eine Länge von q = 44,4 µm, dann berechnet sich der Centromerindex zu

[(100 * 25,5)/(25,5+44,4)]) = 36,48

Der Centromerindex ist wichtig bei der Erstellung von Karyogrammen, also nach Größe geordneten graphischen Darstellungen des Chromosomensatzes eines Lebewesens. Gleich große Chromosomen kann man anhand des Centromerindex eindeutig identifizieren.

NOR

Der Begriff "NOR" ist die Abkürzung für Nucleolus-Organisator-Region. Jede diploide Eukaryotenzelle besitzt in ihrem Zellkern zwei Nucleoli (Kernkörperchen), die bereits im guten Lichtmikroskop sichtbar sind. In den Nucleoli befindet sich hauptsächlich die DNA, die für die ribosomale RNA (rRNA) zuständig ist. Dieser Abschnitt der DNA wird als Nucleusorganisatorregion (NOR) bezeichnet.

Ribosomenbildung

Auf einem Metaphase-Chromosom ist diese Region ähnlich wie das Centromer eingeschnürt. Nach dieser Einschnürung kommt dann wieder eine dickere Stelle, die aussieht, als wäre sie an den Arm des Chromatids angehängt. Diese Verdickung am Ende des Chromosoms wird als Satellit bezeichnet, die darin enthaltene DNA entsprechend als Satelliten-DNA. In jedem Chromosomensatz kommt aber nur ein Chromosom mit einem Satelliten vor, in einem diploiden Chromosomensatz (2n) sind also zwei homologe Chromosomen so aufgebaut.

Interessanterweise enthält die NOR keine Nucleosomen, die DNA in dieser Region kann also sehr leicht transkribiert werden. Zuständig dafür ist eine besondere RNA-Polymerase, nämlich die RNA-Polymerase I. Die "normalen" Gene werden bekanntlich durch die RNA-Polymerase II transkribiert. Außerdem ist die DNA in der NOR hochrepetitiv organisiert, beim Kürbis liegen zum Beispiel 20.000 rRNA-Gene direkt hintereinander. Das ist gerade in Zellen wichtig, die eine intensive Proteinsynthese betreiben. Denn die Proteine werden an den Ribosomen hergestellt, und die Ribosomen bestehen zu einem großen Teil aus rRNA.

Um Ribosomen herzustellen, müssen sich die im Zellkern synthetisierten rRNA-Molekül mit den im Zellplasma entstandenen ribosomalen Proteinen verbinden. Dazu werden diese Proteine durch die Kernporen in den Zellkern transportiert, und der Zusammenbau zu den Ribosomen findet im Zellkern statt, und zwar den beiden Kernkörperchen.

Quellen:

  1. Kadereit , Körner, Nick, Sonnewald: Strasburger - Lehrbuch der Pflanzenwissenschaften, 38. Auflage, Springer Berlin Heidelberg 2021.
  2. Alberts, Bruce et al. Molekularbiologie der Zelle, 6. Auflage, Weinheim 2017.
  3. Wikipedia, Artikel "Chromosom".