Helmichs Chemie-Lexikon

Carbene

Als Carbene bezeichnet man instabile organische Verbindungen mit einem zweiwertigen Kohlenstoff-Atom. Das C-Atom eines Carbens besitzt nur sechs Außenelektronen (Elektronensextett). Meistens entstehen Carbene durch eine 1,1-Eliminierung [2].

Struktur

Man unterscheidet bei dem zweiwertigen Kohlenstoff zwischen einem Singulett-Zustand und einem Triplett-Zustand. Beide Zustände unterscheiden sich durch eine Energiedifferenz von ca. 36 kJ/mol [3], wobei der Singulett-Zustand der energieärmere und somit stabilere ist:

Singulett- und Triplett-Zustand eines C-Atoms
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Singulett-Carben

Das C-Atom ist sp2-hybridisiert. Zwei der sp2-Orbitale bauen eine kovalente Verbindung zu zwei Resten R1 und R2 auf, während das dritte sp2-Orbital mit zwei Elektronen besetzt ist. Das pz-Orbital ist leer, ähnlich wie bei einem Carbenium-Ion. Dieser Zustand ist der Grundzustand des Carbens.

Triplett-Carben

Hier ist das C-Atom sp-hybridisiert. Die beiden sp1-Orbitale sind mit zwei Resten R1 und R2 verbunden, und die beiden nicht-hybridisierten p-Orbitale enthalten jeweils ein Elektron mit parallelen Spins (Pfeile zeigen in die gleiche Richtung!).

Beispiele
Methylen CH2

Das einfachste Carben ist Methylen CH2. Interessanterweise liegt es nicht im Singulett-Zustand vor, sondern im Triplett-Zustand. Der Triplett-Zustand ist ca. 33 kJ/mol stabiler als der Singulett-Zustand. Obwohl das C-Atom im Triplett-Zustand sp-hybridisiert ist, beträgt der Bindungswinkel H-C-H nicht 180º, sondern nur 135º [1].

Difluorcarben CF2

Diese instabile Carben hat eine Halbwertszeit zwischen 0.5 (in Lösung) und 20 ms (in der Gasphase). Das Carben bildet sich bei der Synthese von Tetrafluor-ethen C2F4, eine Verbindung, die für die Herstellung von Teflon eingesetzt wird [5].

Thiamincarben

Dieses aromatische Carben ist vom Thiamin bzw. Vitamin B1 abgeleitet [4].

Das Thiamincarben
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Stabilisierung und stabile Carbene

Carbene sind sehr reaktive Zwischenstufen bei organischen Synthesen. Sie können allerdings durch bestimmte Substituenten stabilisiert werden. Ein Singulett-Carben beispielsweise kann durch elektronenschiebende Substituenten (+I-Effekt, Hyperkonjugation, +M-Effekt) Elektronendichte in das leere pz-Orbital verlagern und so den elektrophilen Charakter des Carbens vermindern. Übrig bleibt der nucleophile Charakter, der durch das doppelt besetzte sp2-Orbital bewirkt wird.

Umgekehrt können elektronenziehende Substituenten den elektrophilen Charakter verstärken und den nucleophilen abschwächen [1, 3].

Bereits 1988 konnten erste stabile Carbene produziert werden.

Mesomeriestabilisiertes Arduengo-Carben (R1,R2 = Organylrest)
Quelle: Wikipedia, Autor: , Lizenz: public domain.

Auf diesem Bild sieht man ein Carben, wie es von Anthony J. Arduengo 1991 synthetisiert wurde. Dieses Carben konnte beliebig lange gelagert werden. Wie man sieht, befindet sich das C-Atom im Triplett-Zustand, dessen Geometrie ja sehr gut in einen Fünferring passt [3].

Bei den Arduengo-Carbenen sind R1 und R2 elektronegative Atome mit freien Elektronenpaaren, zum Beispiel Stickstoff-Atome. Die freien Elektronenpaare "schieben" Elektronendichte in das unbesetzte p-Orbital des C-Atoms und vermindern so den elektrophilen Charakter, gleichzeitig wird durch den -I-Effekt der elektronegativen N-Atome der nucleophile Charakter des freien Elektronenpaares am C-Atom verringert.

Bildung eines Carbens - Beispiel

Bildung eines Carbens aus Chloroform
Autor: Ulrich Helmich 2021, Lizenz: siehe Seitenende

Dem Chloroform wird mit einer starken Base zunächst ein Proton entzogen, es bildet sich ein negatives Carbanion. Durch Abgabe eines Chlorid-Ions entsteht dann das Carben mit zwei Chlor-Atomen. Bei dieser Reaktion handelt es sich um eine 1,1-Eliminierung, da sowohl das H-Atom im Schritt 1 wie auch das Cl-Atom im Schritt 2 vom selben C-Atom abstrahiert wurden.

Quellen:

  1. Reinhard Brückner, Reaktionsmechanismen, 3. Auflage, Springer-Verlag 2014.
  2. Organikum, 22. Auflage, Weinheim 2004.
  3. Wikipedia, Artikel "Carbene".
  4. Anthony J. Arduengo und Roland Kvafczyk: Auf der Suche nach stabilen Carbenen, Chemie in unserer Zeit 1/1998.
  5. engl. Wikipedia, Artikel "Difluorocarbene"