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Der Retinal/Retinol-Zyklus

Abituraufgaben

Dieses Thema wird von folgenden NRW-Abituraufgaben behandelt:

Beschreibung siehe folgenden Text

Der Retinal/Retinol-Zyklus
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Wir beginnen ganz rechts, mit dem 11-cis-Retinal. Dies ist die chemische Komponente in der Netzhaut, mit der wir das Licht absorbieren. Wie Sie bereits im Hauptartikel "Der Sehprozess" gelernt haben, enthalten die Photorezeptoren im Außensegment Disks, in deren Membran viele Rhodopsin-Moleküle stecken. Jedes Rhodopsin-Molekül besteht aus einem Protein-Anteil, dem Opsin, und einem Nichtprotein-Anteil, dem Retinal. Das Retinal ist übrigens mit dem Vitamin A verwandt und kann aus Vitamin A hergestellt werden. Daher gelten Möhren als ein gutes Heilmittel gegen Nachtblindheit, nur mal so nebenbei bemerkt.

Zurück zum Retinal. Wie die Endigung "-al" schon andeutet, handelt es sich beim Retinal chemisch gesehen um einen Aldehyd. Viel wichtiger als die Aldehyd-Gruppe am rechten Ende des Moleküls ist die rot umkreiste Stelle im Innern des Moleküls. Hier sehen Sie eine C=C-Doppelbindung, an der sich zwei Atomgruppen in der sogenannten cis-Stellung befinden.

Die rot umkreiste C=C-Doppelbindung ist jetzt entscheidend für die Lichtabsorption. Durch Absorption von elektromagnetischer Strahlung im sichtbaren Bereich werden Elektronen dieser Doppelbindung auf ein höheres Energieniveau gehoben, die Doppelbindung löst sich kurzzeitig auf, um sich dann wieder neu zu bilden. Dabei findet aber eine cis-trans-Umwandlung statt: Aus der cis-Doppelbindung wird eine trans-Doppelbindung. Da alle anderen Doppelbindungen des Retinals ebenfalls in der trans-Form vorliegen, bezeichnet man die Verbindung nicht als 11-trans-Retinal, sondern als all-trans-Retinal.

Jetzt müsste Ihnen eigentlich auch die Sache mit dem Schlüssel-Schloss-Prinzip klar werden. Das 11-cis-Retinal passte perfekt in ein entsprechendes Zentrum des Opsin-Moleküls. Nach der Absorption von Licht und der Umwandlung in das all-trans-Retinal ist dies aber nicht mehr gegeben; das all-trans-Retinal löst sich aus der engen Umklammerung des Opsins, woraufhin das Opsin ebenfalls geringfügig seine Struktur ändert. Dies führt dann zu der bereits beschriebenen Kette von Reaktionen (Aktivierung von Transducin etc.).

Regeneration des 11-cis-Retinals

Wenn das 11-cis-Retinal in das all-trans-Retinal umgewandelt wurde, kann dieses kein Licht mehr absorbieren. Wenn wir also mehr als einmal etwas sehen wollen, so muss es einen Mechanismus geben, mit dem das all-trans-Retinal wieder in 11-cis-Retinal umgewandelt wird.

Eine direkte Umwandlung zurück in das 11-cis-Retinal ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich und auch nicht wünschenswert, da dies den Sehprozess beeinträchtigen würde. Vereinfacht kann man die Sache so sehen: Nur die Aldehydform, also das Retinal, kann durch Absorption von Licht "geknickt" werden. Ein "Zurückklappen" ist nur dann möglich, wenn das Aldehyd in den entsprechenden Alkohol, hier also Retinol, umgewandelt wurde. Chemisch gesehen handelt es sich hier um eine Reduktion durch Zufuhr von Wasserstoff bzw. Reduktionsäquivalenten (zum Beispiel NADH/H+, NADPH/H+ oder FADH2).

Zuerst wird das all-trans-Retinal zum ebenfalls gestreckten all-trans-Retinol reduziert. Dieses kann dann wieder die gewinkelte Form annehmen, dadurch entsteht das 11-cis-Retinol. Welche Faktoren genau dazu führen, dass wieder die cis-Form entsteht, ist noch nicht ganz geklärt, offensichtlich ist die cis-Form energetisch günstiger als die trans-Form. Durch Oxidation des 11-cis-Retinols schließlich wird das 11-cis-Retinal regeneriert, und der Zyklus kann von vorn losgehen.

Weitere Einzelheiten

Das 11-cis-Retinal kann bereits durch ein einzelnes Photon in all-trans-Retinal umgewandelt werden; es ist also extrem lichtempfindlich. Dieses "Umklappen" wird übrigens in der Fachsprache als Photoisomerisierung bezeichnet.

Die Regeneration des 11-cis-Retinals findet nicht im Außensegment der Photorezeptoren statt, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern in speziellen Pigmentzellen, die in enger Nachbarschaft zu den Stäbchen und Zapfen stehen.

Das all-trans-Retinal wird noch im Außensegment der Photorezeptoren zum all-trans-Retinol reduziert, wandert dann aber in die Zellen des Pigmentepithels. Dort findet unter Beteiligung mehrerer Enzyme die Umwandlung in das 11-cis-Retinol und dann in das 11-cis-Retinal statt. Das 11-cis-Retinal wandert dann aus den Pigmentzellen wieder zurück in das Außensegment der Photorezeptoren, wo es dann durch Lichtabsorption wieder in das all-trans-Retinal umgewandelt werden kann.

Retinol = Vitamin A1

Das all-trans-Retinol, das a) durch Reduktion des all-trans-Retinals entsteht und das b) sozusagen der Ausgangsstoff für das 11-cis-Retinal der Photorezeptoren ist, ist identisch mit dem Vitamin A1, einem der Vitamine aus der Vitamin A - Gruppe.

Ein "Vitamin A" gibt es eigentlich nicht, es handelt sich bei "Vitamin A" vielmehr um eine Gruppe aus drei verwandten Verbindungen (Retinal, Retinol und Retinsäure), die aber eine ähnliche positive Wirkung auf den menschlichen Stoffwechsel, auf die Blutkörperchenbildung, auf die Haut- und Schleimhäute, die Augen, die Knochen und das Immunsystem haben.