Home > Chemie > Studienvorbereitung OC > Carbonsäure-Derivate > 1. Carbonsäure-Chloride

1. Carbonsäure-Chloride

Chloride - Amide - Ester - Anhydride

Inhalt

1.1 Eigenschaften

1.1.1 Siedepunkte

Da wir bei dem Thema "Carbonsäure-Chloride" auf eine Rekapitulation des Schulwissens verzichten müssen - das Thema wird im Unterricht nicht behandelt - wollen wir das Thema auf dieser Seite mal so ähnlich angehen, wie man es im Schulunterricht machen würde.

Aufgabe

Was meinen Sie, wie verhalten sich die Schmelz- und Siedepunkte von Carbonsäure-Chloriden im Vergleich zu den entsprechenden Carbonsäuren? Sind sie höher, niedriger oder ähnlich - und warum?

Manche Leute würde vielleicht sagen, die Molmasse eines Carbonsäure-Chlorids ist höher als die der vergleichbaren Carbonsäure, wegen der höheren Atommasse des Chlor-Atoms. Der Siedepunkt einer Verbindung hängt u.a. von der Molmasse ab, daher könnte man argumentieren, dass Essigsäurechlorid beispielsweise einen höheren Siedepunkt hat als reine Essigsäure.

Schauen wir doch einfach mal nach und recherchieren die Siedepunkte von Essigsäure und Essigsäurechlorid.

  • Essigsäure: ca. 118 ºC
  • Essigsäurechlorid: ca. 51 ºC

Die Argumentation mit der höheren molaren Masse geht hier also ins Leere. Was könnte aber der Grund sein für den wesentlich niedrigen Siedepunkt des Essigsäurechlorids?

Haben Sie schon einmal überlegt, warum Carbonsäuren wie Essigsäure überhaupt so hohe Siedetemperaturen haben? Zwischen den einzelnen Molekülen der Carbonsäuren können sich Wasserstoffbrücken-Bindungen bilden, und zwar ziemlich starke, denn die COOH-Gruppe verfügt sowohl über einen H-Brücken-Donator (das H-Atom der OH-Gruppe) wie auch über zwei H-Brücken-Akzeptoren (die beiden O-Atome).

Ersetzt man nun die OH-Gruppe durch ein Cl-Atom, entfällt der H-Brücken-Donator, die Moleküle der Carbonsäurechloride können keine H-Brücken untereinander ausbilden. Daher sind die Siedetemperaturen dieser Verbindungen so niedrig.

  • Aceton: 56 ºC

Der Siedepunkt von Essigsäurechlorid ist vergleichbar mit dem des Acetons. Auch hier haben wir zwar einen H-Brücken-Akzeptor, aber keinen H-Brücken-Donator.

Auch die Schmelzpunkte der Carbonsäure-Chloride sind aus diesem Grund deutlich niedriger als die der entsprechenden Carbonsäuren.

Noch einmal zurück zur Rolle der molaren Masse. Vergleichen wir einmal Essigsäurechlorid mit Essigsäurebromid:

  • Essigsäurechlorid: ca. 51 ºC
  • Essigsäurebromid: ca. 76 ºC

In diesem Fall hat tatächlich die höhere Atommasse des Brom-Atoms einen Einfluss auf die Siedetemperatur.

1.1.2 Wasserlöslichkeit

Was soll man über die Wasserlöslichkeit einer Verbindung sagen, die sofort heftig mit Wasser reagiert?

$R-COCl + H_2O \to R-COOH + HCl$

Die beiden Reaktionsprodukte, Essigsäure und Chlorwasserstoff, sind natürlich sehr gut in Wasser löslich.

1.1.3 Löslichkeit in organischen Lösemitteln

Essigsäurechlorid ist löslich in Aceton, Ether, Benzol und Chloroform [4].

1.1.4 Sonstige Eigenschaften

Die meisten Carbonsäure-Chloride sind "farblose, stechend riechende Flüssigkeiten, die an feuchter Luft wegen der Hydrolyse zu Carbonsäuren und Chlorwasserstoffsäure rauchen." [3]

Interessant ist auch, dass alle Carbonsäure-Chloride brennbar sind.

2. Herstellung

Die Synthese eines Carbonsäure-Chlorids wird in der Regel mit Hilfe der Verbindung Thionylchlorid durchgeführt:

R-COOH + SOCl2 → R-CO-Cl + SO2 + HCl

Alternative Methoden zur Bildung von Carbonsäure-Chloriden aus Carbonsäuren sind [3]:

  • die Umsetzung mit Phosgen COCl2 unter Abspaltung von CO2 und HCl,
  • die Umsetzung mit Phosphor(III)-chlorid PCl3 unter Abspaltung von Phosphonsäure H3PO3,
  • die Reaktion mit Phosphor(V)-chlorid PCl5 unter Bildung von Phosphoroxychlorid POCl3 und HCl.
Synthese von Carbonsäure-Chloriden

Auf dieser Vertiefungsseite wird die Darstellung von Carbonsäure-Chloriden aus Carbonsäuren mit Hilfe der Verbindung Thionylchlorid ausführlich dargestellt.

3. Reaktionen

Aliphatische Carbonsäure-Chloride sind die reaktionsfreudigsten Carbonsäure-Derivate überhaupt. Aus diesen Carbonsäure-Chloriden kann man daher in der Regel ohne Katalysator die meisten anderen Carbonsäure-Derivate herstellen. Die Hydrolyse, also die Reaktion mit Wasser, haben wir bereits weiter oben kennengelernt.

Aromatische Carbonsäure-Chloride (Ar-COCl) reagieren ebenfalls heftig, allerdings lange nicht so heftig wie aliphatische Carbonsäure-Chloride [4].

Die wichtigsten Reaktionen der Carbonsäure-Chloride sehen wir in der folgenden Graphik:

Typische Reaktionen der Carbonsäure-Chloride
Autor: Ulrich Helmich 2024, Lizenz: Public domain

Mit Ammoniak NH3 bilden sich Carbonsäure-Amide. Das Chlor-Atom des Carbonsäure-Chlorids verlässt die Verbindung als Nucleofug und wird durch das Nucleophil NH3 ersetzt, das ein Proton abgibt, welches sich mit dem Chlorid-Ion zu HCl vereinigt. Mit primären oder sekundären Aminen läuft eine ähnliche Reaktion ab.

Mit einem Alkohol R'-OH entsteht ein Carbonsäure-Ester R-CO-O-R'. Das H-Atom der alkoholischen OH-Gruppe vereinigt sich mit dem Chlorid-Ion ebenfalls zu einem HCl-Molekül.

Mit einem Thiol läuft im Prinzip die gleiche Reaktion ab, nur dass hier ein Carbonsäure-Thioester R-CO-S-R' gebildet wird.

3.0 Der Additions-Eliminierungs-Mechanismus

Die Nucleophilen Substitutionen an Carbonsäure-Derivaten, also auch an Carbonsäure-Chloriden, laufen nach dem Additions-Eliminierungs-Mechanismus ab.

Der Additions-Eliminierungs-Mechanismus
Autor: Ulrich Helmich 2024, Lizenz: Public domain

Ein Verlauf nach dem SN1-Mechanismus ist nicht möglich, weil sich dazu ein sehr instabiles positiv geladenes Zwischenprodukt bilden müsste. Ein Rückseitenangriff mit gleichzeitigem Austritt des Nucleofugs (SN2) ist ebenfalls ausgeschlossen, weil das C-Atom sp2-hybridisiert ist.

Andererseits ist dieser A/E-Mechanismus deutlich schneller als die SN1- und SN2-Mechanismen, was an der Carbonyl-Gruppe liegt [5].

Additions-Eliminierungs-Mechanismus

Einzelheiten zu diesem Mechanismus der Nucleophilen Substitution finden Sie auf dieser Lexikon-Seite. Hier wird auch auf den säurekatalysierten und den basenkatalysierten A/E-Mechanismus eingegangen.

3.1 Bildung von Carbonsäuren

Carbonsäure-Chloride reagieren äußerst heftig mit Wasser nach folgendem Mechanismus:

Hydrolyse eines Carbonsäure-Chlorids
Autor: Ulrich Helmich 08/2024, Lizenz: Public domain

Addition: Das H2O-Molekül setzt sich mit dem O-Atom an das positiv polarisierte C-Atom des Carbonsäure-Chlorids. Es entsteht eine sp3-hybridisierte tetraedrische Zwischenstufe mit einer negativen Ladung am Carbonyl-O-Atom und einer positiven Ladung am O-Atom des addierten H2O-Moleküls.

Eliminierung: Durch Eliminierung des Chlor-Atoms bildet sich die C=O-Doppelbindung und der sp2-hybridisierte Zustand zurück, das O-Atom des addierten H2O-Moleküls hat jedoch immer noch eine positive Ladung und ein H-Atom zu viel.

Im letzten Schritt (alles Gleichgewichts-Reaktionen!) spaltet das addierte H2O-Molekül ein H-Atom als Proton ab, damit geht auch die positive Ladung verloren. Das Proton verbindet sich mit dem Chlorid-Ion zu Chlorwasserstoff.

3.2 Bildung von Carbonsäure-Estern

Die Reaktion von Carbonsäure-Chloriden mit Alkoholen läuft nach exakt dem gleichen Mechanismus ab wie die eben beschriebene Reaktion mit Wasser. Sie müssen sich nur das eine H-Atom des H2O-Moleküls durch einen organischen Rest R' ersetzt denken. Als Nebenprodukt entsteht wieder HCl.

Die Reaktion mit Alkoholen verläuft nicht ganz so heftig wie die Hydrolyse, und die Reaktion läuft vor allem nicht vollständig ab. Es bildet sich ein chemisches Gleichgewicht, das nicht zu 100 Prozent auf der Seite des Esters liegt. Natürlich gibt es verschiedene Methoden, das Gleichgewicht entsprechend zu verschieben, beispielsweise durch kontinuierliches Abdestillieren des gebildeten Produkts.Eine beliebte Methode zur Verschiebung des Gleichgewichts auf die Produktseite ist auch das Abfangen der als Nebenprodukt entstandenen Salzsäure bzw. des Chlorwasserstoffs. Dazu kann man Natronlauge einsetzen, die mit dem Chlorwasserstoff dann zu NaCl reagiert, das sich in der wässrigen Phase löst.

Diese Reaktion wird als Zweiphasen-Reaktion durchgeführt [2]. Die organische Phase befindet sich oben im Reaktionsgefäß, hier läuft die Bildung des Esters ab. Der entstandene Chlorwasserstoff löst sich dann in der anorganischen unteren Phase als Salzsäure. Diese reagiert dann mit Natronlauge zu Natriumchlorid und Wasser. Durch diese Neutralisation wird der Chlorwasserstoff dem chemischen Gleichgewicht in der oberen Phase entzogen, so dass die Ausbeute an Ester steigt.

3.3 Bildung von Carbonsäure-Amiden

Carbonsäure-Chloride sind derart reaktiv, dass sie nicht nur mit Ammoniak, sondern auch mit primären und sekundären Aminen reagieren. Auch diese Reaktionen laufen ohne Katalysator ab. Benzoylchlorid beispielsweise reagiert schon bei Zimmertemperatur mit einer wässrigen Ammoniak-Lösung zu Benzamid und Ammoniumchlorid.

Tertiäre Amine können nicht mit Carbonsäure-Chloriden reagieren, da das Amin im letzten Reaktionsschritt ein Proton abgeben muss. Tertiäre Amine haben kein H-Atom mehr übrig, somit hat sich die Sache erledigt.

Bei der Umsetzung mit Ammoniak oder Aminen werden pro mol Carbonsäure-Chlorid zwei mol des Nucleophils benötigt. Zum Einen für die eigentliche Reaktion, zum Anderen für das Abfangen des Chlorid-Ions [2].

3.4 Weitere Reaktionen
3.4.1 Bildung von Ketonen mit LiCl

In der Fachliteratur werden noch weitere Reaktionen der Carbonsäure-Chloride erwähnt. Mit metallorganischen Reagenzien reagieren Carbonsäure-Chloride zum Beispiel zu Ketonen:

$RCOCl + R'Li \to RCOR' + LiCl$

3.4.2 Bildung von Ketonen durch Friedel-Crafts-Acylierung

Carbonsäure-Chloride eignen sich hervorragend für Friedel-Crafts-Acylierungen an Aromaten. Ein H-Atom des Aromaten wird dabei durch die Acyl-Gruppe R-CO- ersetzt.

Friedel-Crafts-Acylierungen

Einzelheiten dazu finden Sie auf diesen Seiten, die an sich für die Sekundarstufe II geschrieben worden sind.

3.4.3 Reduktion zu Alkoholen/Aldehyden mit LiAlH4

Auch eine Reduktion mit Verbindungen wie LiAlH4 ist theoretisch möglich. Das Cl-Atom des Carbonsäure-Chlorids wird dann durch ein H-Atom ersetzt, wobei sich ein Aldehyd bildet. Das Problem dabei ist, dass die Reduktion meistens nicht auf der Stufe des Aldehyds stehen bleibt, sondern dass man oft den entsprechenden Alkohol als Reaktionsprodukt erhält.

Das kann man aber verhindern, indem man das LiAlH4 zunächst modifiziert, indem man es mit einem Alkohol umsetzt (2-Methyl-2-propanol). Drei der vier H-Atome werden durch die Alkohol-Moleküle ersetzt und dadurch sozusagen unschädlich gemacht, nur das verbliebene vierte H-Atom kann dann das Chlor-Atom ersetzen [1].

3.4.4 Reduktion zu Aldehyden mit Wasserstoff

Bei der sogenannten Rosenmund-Reaktion (benannt nach ihrem Entdecker K. W. Rosenmund) wird ein Carbonsäure-Chlorid mit elementarem Wasserstoff unter Palladium-Katalyse zu einem Aldehyd reduziert [2]. Als Nebenprodukt entsteht Chlorwasserstoff:

$RCOCl + H_2 \to RCHO' + HCl$

Die Reduktion würde ähnlich wie bei der Verwendung von LiAlH4 eigentlich zum Alkohol führen. Um dies zu verhindern, setzt man dem Stoffgemisch Chinolin zu, das den Katalysator teilweise deaktiviert [6].

3.4.5 Verlängerung um eine Methyl-Gruppe

Bei der sogenannten Arndt-Eistert-Synthese wird eine Carbonsäure um eine Methylen-Gruppe verlängert. Dazu wird die Carbonsäure zunächst in ein Carbonsäure-Chlorid überführt.

Prinzip der Arndt-Eistert-Synthese
Boba4ka, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Als Nucleophil wird dann Diazomethan CH2N2 eingesetzt. Mit dem C-Atom setzt sich dieses Molekül an das positiv polarisierte C-Atom der COCl-Gruppe. Dabei entsteht ein Zwischenprodukt namens α-Diazo-methylketon. Durch Hydrolyse entsteht schließlich die gewünschte Carbonsäure, die um eine Methylengruppe verlängert ist.

Quellen:

  1. VollhardT, Schore: Organische Chemie. 6. Auflage, Weinheim 2020.
  2. Buddrus, Schmidt, Grundlagen der Organischen Chemie, 5. Auflage, De Gruyter-Verlag 2014.
  3. Wikipedia, Artikel "Carbonsäurechloride"
  4. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage Band 1, 1989.
  5. Morrison, Boyd, Bhattacharjee: Organic Chemistry. 7. Auflage, Dorling Kindersley 2011.
  6. Schirmeister/Schmuck/Wich, Beyer/Walter Organische Chemie, 25. Auflage, Hirzel-Verlag 2015.

Seitenanfang -