Helmichs Biologie-Lexikon

Selektionstypen

Nach dem Kompaktlexikon der Biologie ist Selektion "ein von der Merkmalsausprägung (Phänotyp) der Individuen einer Art abhängiger Vorgang, der dazu führt, dass Individuen mit verschiedenen Phänotypen einen unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg haben" [1]

Einteilung nach Darwin

Die natürliche Selektion ist nach Darwin neben der Variabilität innerhalb einer Population die wichtigste Triebkraft für die Evolution. Darwin unterschied drei Typen der Selektion:

  1. Künstliche Auslese. Das ist die Selektion, die seit Jahrtausenden von Tier- und Pflanzenzüchtern betrieben wird. Diejenigen Individuen, die am besten zu den jeweiligen Zuchtzielen passen, werden gezielt fortgepflanzt, die anderen Individuen werden aufgegessen oder weniger sinnvoll vernichtet.
  2. Natürliche Auslese. Mit diesem Selektionstyp ist Darwin u.a. berühmt geworden. Tiere und Pflanzen, die gut an die jeweilige Umwelt angepasst sind, haben einen größeren Fortpflanzungserfolg als Individuen, die nicht so gut angepasst sind.
  3. Geschlechtliche Auslese. Bei der sexuellen Fortpflanzung bevorzugen die Weibchen männliche Fortpflanzungspartner mit bestimmten Eigenschaften (großes Geweih bei Hirschen, übertrieben große Schwanzfedern bei Pfauen, möglichst lautes Quaken bei Fröschen und so weiter). Männchen, welche diese Eigenschaften nicht aufweisen, haben einen deutlich geringeren Fortpflanzungserfolg. Umgekehrt suchen sich auch Männchen weibliche Fortpflanzungspartner mit bestimmten Eigenschaften heraus; hier gibt es im Tierreich allerdings nicht so viele Beispiele, eher schon beim Menschen.

Einteilung nach der Auswirkung der Selektion

In den meisten Schulbüchern werden die folgenden drei Selektionstypen unterschieden:

Stabilisierende Selektion

Die stabilisierende Selektion findet vor allem in Umwelten statt, die über einen langen Zeitraum konstant bleiben, sich also so gut wie nicht verändern.

siehe folgenden Text

Das Wirken der stabilisierenden Selektion

Eine stabilisierende Selektion ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Population bereits recht gut an die Umwelt angepasst ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mutation zu einer noch besseren Anpassung führt, ist hier extrem gering. Aber die Allele, die zu dieser guten Angepasstheit geführt haben, werden bei der Selektion bevorzugt auf die nächste Generation übertragen. Im Extremfall entstehen so sogenannte Spezialisten wie der Koala, der sich ausschließlich von den Blättern einer Pflanzenart ernährt.

Transformierende Selektion

Wenn sich die Umweltverhältnisse ändern, so sind bisher gut angepasste Tiere plötzlich nicht mehr so gut an die Umwelt angepasst. Bei einem Kälteeinbruch sind die Individuen, die schon immer eher kalte Verhältnisse geliebt haben, im Vorteil gegenüber ihren Artgenossen.

Das Wirken der transformierenden Selektion

Das Wirken der transformierenden Selektion

Langfristig sorgt jetzt die natürliche Auslese dafür, dass sich die genetische Zusammensetzung der Population ändert, so dass mehr Tiere an die Kälte angepasst sind. Das Gesamterscheinungsbild der Tiere ändert sich langfristig.

Divergierende Selektion

Der dritte Selektionstyp ist die divergierende oder aufspaltende Selektion.

siehe folgenden Text

Das Wirken der divergierenden Selektion

Aus einer ursprünglich einheitlichen Population werden zwei unterschiedliche Teilpopulationen. Wenn eine divergierende Selektion über sehr lange Zeiträume wirkt, kann es schließlich zur Artbildung kommen: aus zwei Teilpopulationen entstehen zunächst zwei Rassen, deren Individuen sich noch untereinander fortpflanzen können, und schließlich zwei verschiedene Arten.

Einteilung nach Zrzavy u.a.

Nach Zrzavy [2] unterscheidet man sechs Typen von Selektion:

  1. Genselektion. Hier stehen nicht die Individuen einer Art, sondern die einzelnen Allele eines Gens im Zentrum der Selektion. Die verschiedenen Ausprägungsformen eines Gens, die Allele, konkurrieren miteinander um eine möglichst hohe Allelfrequenz in der Population. Diese Sichtweise ist eng verwandt mit der Theorie des "egoistischen Gens" von Richard Dawkins, nach der der Mensch im Grunde nur ein Anhängsel seiner Gene ist, die versuchen, an die nächste Generation weitergegeben zu werden.
  2. Individualselektion. Das ist der Typ der Selektion, der am Individuum ansetzt. Gut an die Umwelt angepasste Individuen haben einen größeren Fortpflanzungserfolg als weniger gut angepasste Individuen. Dieser Selektionstyp ist auch die von Darwin erkannte Variante der Selektion.
  3. Verwandtenselektion. Diese Sichtweise der Selektion ist eng verwandt mit der Genselektion und der Theorie vom "egoistischen Gen". Warum verzichten manche Tiere freiwillig auf Nachwuchs und unterstützen ihre Schwestern oder Brüder bei der Aufzucht der Jungen? Weil ihre nahen Verwandten die gleichen Gene bzw. Allele besitzen wie sie selbst. Wenn sie also ihre Verwandten bei der Aufzucht der Jungen unterstützen, können sich diese Allele mit größerer Wahrscheinlichkeit durchsetzen, als wenn sich die Tiere selbst fortpflanzen würden und dabei keine Unterstützung durch Verwandte bekämen.
  4. Gruppenselektion. Diese Theorie wird von der Mehrheit der Evolutionsbiologen abgelehnt. Danach sollen durch Selektion Eigenschaften gefördert werden, die für die ganze Population vorteilhaft sind, selbst dann, wenn sie dem Individuum keine Vorteile bringen oder ihm vielleicht sogar schaden. "Normale" altruistische (selbstlose) Verhaltensweisen wie beispielsweise das Helfen von Verwandten bei der Aufzucht ihrer Jungen können durch Genselektion bzw. Verwandtenselektion erklärt werden. Phänomene wie zum Beispiel das ein Hund eine kleine Katze großzieht, können weder durch Verwandtenselektion noch durch Gruppenselektion erklärt werden.
  5. Artenselektion. Darunter versteht man das Konkurrieren verschiedener Arten um einen Lebensraum, eine Ressource oder eine ökologische Nische. Die Art, die am besten die Ressource ausnutzen oder die frei gewordene Nische am besten / schnellsten besiedelt, hat größere Überlebenschancen als eine Art, der das nicht so gut gelingt. Diese Art der Selektion ist wahrscheinlich für die Makroevolution (Artbildung, Bildung von Gattungen und Familien etc.) verantwortlich.
  6. Elterliche Selektion. Manche Vogeleltern füttern bevorzugt die Jungtiere, die ihren Rachen besonders weit aufsperren können oder deren Rachen eine besonders intensive Gelbfärbung oder eine markante rote Markierung hat. Auch wenn Katzen ein besonders schwaches Jungtier auffressen, fällt das unter diese Kategorie.

Quellen:

  1. Kompaktlexikon der Biologie, Spektrum-Verlag 2001
  2. Zrzavý, Jan; Burda, Hynek; Storch, David; Begall, Sabine; Mihulka, Stanislav. Evolution (German Edition) (S.26). Springer Berlin Heidelberg. Kindle-Version.