Biologie > Genetik > Molekulare Grundlagen > Genregulation > Organisation der Gene im Zellkern

Organisation der Gene im Zellkern

Die Genaktivität hängt von der Position des Gens im Zellkern ab

In den Jahren 2005 bis 2008 wurde entdeckt, dass sich die Chromosomen nicht wahllos und zufällig im Zellkern verteilen, sondern das jedes Chromosom einen bestimmten "Lieblingsplatz" hat. Manche Chromosomen sind eher am Rande des Zellkerns anzutreffen, andere Chromosomen eher im Zentrum. Bestimmte Chromosomen treten gern als Nachbarn auf, andere Chromosomen halten eine gewisse Distanz ein.

Man konnte das mit Gensonden nachweisen, die mit fluoreszierenden Antikörpern markiert waren. Solche Gensonden lagern sich spezifisch an bestimmte Chromosomen an. Wird der Zellkern im Lichtmikroskop dann mit UV-Licht bestrahlt, leuchten die Chromosomen in den unterschiedlichsten Farben auf, so ähnlich, wie auf dem Bild unten zu sehen ist.

Verteilung der Chromosomen im Zellkern
Autor der Zeichnung: Ulrich Helmich 2020
Autoren der kleinen Abbildung: Robert Mayer, Alessandro Brero, Johann von Hase, Timm Schroeder, Thomas Cremer, Steffen Dietzel, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Zwei tolle Sachen wurden ebenfalls entdeckt:

Erstens ist diese Anordnung der Chromosomen in jedem Zelltyp anders. In Nervenzellen des Gehirns kann beispielsweise Chromosom Nr. 13 im Zentrum vorkommen, während es sich in Muskelzellen des Unterarms eher am Rande des Zellkerns aufhält (dieses Beispiel habe ich mir jetzt einfach mal willkürlich ausgedacht).

Zweitens sind die Chromosomen, die sich im Zentrum des Zellkerns aufhalten, aktiver als die Chromosomen am Rande des Zellkerns. Die Chromosomen im Zentrum sind nicht so dicht gepackt wie die Chromosomen in der Peripherie, daher können die Transkriptionsenzyme (Polymerase, Transkriptionsfaktoren etc.) die Gene im Zentrum besser ablesen als am Rande des Zellkerns.

Oben: Zellkern eines menschlichen Fibroblasten, in dem alle 24 verschiedenen Chromosomen (1 – 22, X und Y) per Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) mit einer unterschiedlichen Kombination von insgesamt 7 Fluorochromen angefärbt wurden. Gezeigt ist eine mittlere Ebene in einem deconvolvierten Bildstapel, der mit Weitfeld-Mikroskopie aufgenommen wurde. Unten: Falschfarbendarstellung aller Chromosomenterritorien, die in dieser Fokusebene sichtbar sind, nach Computer-Klassifikation.
Andreas Bolzer, Gregor Kreth, Irina Solovei, Daniela Koehler, Kaan Saracoglu, Christine Fauth, Stefan Müller, Roland Eils, Christoph Cremer, Michael R. Speicher, Thomas Cremer, CC BY 2.5, via Wikimedia Commons

Die Steuerung der Genaktivität ist doch etwas komplexer

Sie haben schon ganz richtig vermutet - die Steuerung der Genaktivität ist doch etwas komplexer als eben dargestellt. Ein Chromosom enthält viele Hundert bis Tausend Gene, von denen manche aktiv sind, andere dagegen nicht. Nach dem obigen Modell müssten aber alle Gene eines Rand-Chromosoms inaktiv sein und alle Gene eines Zentrum-Chromosoms aktiv. Das ist aber nicht der Fall. Man stellt sich die Sache so vor: Ein Chromosom hält sich normalerweise eher am Rande des Zellkerns auf, in der Nähe der Kernhülle. Es gibt sogar eigene Proteine, welche die Chromosomen an der Kernhülle "festkleben", die Lamine.

"Lamine lagern sich zu Laminfilamenten zusammen, die die Kernlamina bilden. Sie liegt der inneren Kernmembran direkt an und stabilisiert so die Kernhülle. Des Weiteren dient sie als Verankerungspunkt des Chromatins." [2]

Soll nun ein Gen auf einem Rand-Chromosom abgelesen werden, so lockert sich das Chromosom an dieser Stelle, die DNA mit dem Gen bildet eine lange Schleife, die jetzt beginnt, im Zellkern herumzuschwirren. Im Zentrum des Zellkerns befinden sich sogenannte Transkriptionsfabriken. Darunter muss man sich Multienzymkomplexe vorstellen, die aus RNA-Polymerasen und Transkriptionsfaktoren bestehen.

"In der Genetik beschreiben Transkriptionsfabriken ... die Orte, an denen die Transkription im Zellkern stattfindet. Sie wurden erstmals 1993 entdeckt und weisen ähnliche Strukturen auf wie Replikationsfabriken, also Orte, an denen die Replikation stattfindet. Die Transkriptionsfabriken enthalten eine RNA-Polymerase (aktiv oder inaktiv) und die notwendigen Transkriptionsfaktoren (Aktivatoren und Repressoren) für die Transkription" [3].

Gerät die Schleife mit dem zu transkribierenden Gen nun zufällig in die Nähe einer solchen Transkriptionsfabrik, so beginnt die Transkription dieses Gens.

Beschreibung siehe folgenden Text

Transkriptionsfabriken im Zellkern
Autor: Ulrich Helmich 2020, Lizenz: siehe Seitenende

Achten Sie auf das blaue Chromosom unten links. Ein Teil des Chromosoms hat eine Schleife gebildet, die in das Zentrum des Zellkerns reicht, wo sich die Transkriptionsfabriken konzentrieren.

Man vermutet, dass bei dieser Schleifenbildung und beim "Transport" der Schleifen zum Zentrum des Zellkerns bestimmte motorische Proteine eine Rolle spielen, die die Schleifen quasi zum Zentrum ziehen.

Quellen:

  1. "Das Innenleben des Genoms" in Spektrum der Wissenschaft 6/2011
  2. DocCheck Flexikon, Artikel "Lamin", aufgerufen am 30.04.2024
  3. Wikipedia, Artikel "Transkriptionsfabrik", aufgerufen am 30.04.2024
  4. Wikipedia, Artikel "Chromosomenterritorium", aufgerufen am 30.04.2024