Home > Biologie > Evolutionsbiologie > Grundlagen > Selektion

Selektionstypen

Lernziele

Wenn Sie diese Seite durchgearbeitet haben, sollten Sie

  • die drei Selektionstypen erläutern können, die in fast jedem Schulbuch stehen: stabilisierende, transformierende und divergierende Selektion.
  • erläutern können, wie die divergierende Selektion zustande kommt und welche Bedeutung sie für die Artbildung hat.

Auf dieser Seite sollen die drei aus den Schulbüchern bekannten Selektionstypen (stabilisierende, transformierende, divergierende Selektion) noch etwas vertieft werden.

Stabilisierende Selektion

Wenn die Eigenschaften, die für eine gute Anpassung an die Umwelt verantwortlich sind, auf die nachfolgende Generation weitervererbt werden, so sollte diese nächste Generation schon ein wenig besser an die Umwelt angepasst sein. Natürlich herrscht auch in dieser Generation wieder ein Überschuss an Nachkommen, so dass erneut eine Selektion einsetzt. Die am besten an die Umwelt angepassten Individuen werden abermals mehr Nachkommen haben als die weniger gut angepassten, und die Eigenschaften, die hierfür verantwortlich sind, werden in der nächsten Generation wieder überdurchschnittlich stark vertreten sein. So findet ein Optimierungsprozess statt, der langfristig zu einer stabilisierenden Selektion der Population führt; zu einer immer besseren Anpassung an die gegebene Umwelt.

Die stabilisierende Selektion verhindert einen größeren Wandel innerhalb einer Population. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Population bereits recht gut an die Umwelt angepasst ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mutation zu einer noch besseren Anpassung führt, ist extrem gering.

Transformierende Selektion

Wenn sich die Umweltverhältnisse ändern, so sind die bisher gut angepassten Tiere plötzlich nicht mehr so gut an die Umwelt angepasst.

Bei einem Kälteeinbruch beispielsweise sind die Individuen, die schon immer eher kalte Verhältnisse geliebt haben, im Vorteil gegenüber ihren Artgenossen. Langfristig sorgt jetzt die natürliche Auslese dafür, dass sich die genetische Zusammensetzung der Population ändert, so dass mehr Tiere an die Kälte angepasst sind. Das Gesamterscheinungsbild der Tiere ändert sich langfristig. Vielleicht sieht das so aus, dass immer mehr Individuen mit längeren Haaren oder dichterem Fell in der Population vertreten sind. Vielleicht werden auch die Beine, Ohren und Schwänze kürzer (ALLENsche Regel), weil Tiere, die besser mit der Wärme haushalten können, mehr Energie in die Fortpflanzung investieren können als Individuen, die nur mit Zittern beschäftigt sind.

Divergierende Selektion

Konstruieren wir zunächst einmal ein Modellbeispiel, dann kann man die folgenden Ausführungen besser verstehen.

Gegeben sei eine Pflanzenfresser-Population, die in einer Gegend lebt, in der es hauptsächlich drei Nahrungsquellen gibt:

  • Bäume mit saftigen Blättern, die in einer Höhe ab ca. 1,70 m Höhe wachsen,
  • Büsche mit Blättern in einer mittleren Höhe (ca. 1,00 m)
  • Saftiges grünes Gras auf dem Boden.
siehe folgenden Text

Eine fiktive Landschaft mit Gras, Büschen und Bäumen

Der Phänotyp der Pflanzenfresser wird u.a. durch zwei Gene bestimmt:

  • Gen für die Länge der Beine
  • Gen für die Länge des Halses

Natürlich ist diese Annahme stark vereinfachend, wie wir aus der Genetik wissen, wird ein körperliches Merkmal wie z.B. die Länge eines Beines von mehreren Genen bestimmt, umgekehrt kann ein einzelnes Gen auch gleichzeitig mehrere Merkmale beeinflussen. Aber wir wollen die Sache hier ja nicht unnötig verkomplizieren.

Wir nehmen weiter an, dass von jedem dieser beiden Gene zwei Allele existieren

  • Ll und lk für lange bzw. kurze Beine
  • Hl und Hk für lange bzw. kurze Hälse

Damit gibt es folgende Geno- und Phänotypen unter den Tieren:

  1. Ll Ll Hl Hl: lange Hälse, lange Beine
  2. Ll Ll Hl Hk: lange Hälse, mittellange Beine
  3. Ll Ll Hk Hk: lange Hälse, kurze Beine
  4. Ll Lk Hl Hl: mittellange Hälse, lange Beine
  5. Ll Lk Hl Hk: mittellange Hälse, mittellange Beine
  6. Ll Lk Hk Hk: mittellange Hälse, kurze Beine
  7. Lk Lk Hl Hl: kurze Hälse, lange Beine
  8. Lk Lk Hl Hk: kurze Hälse, mittellange Beine
  9. Lk Lk Hk Hk: kurze Hälse, kurze Beine

Die Tiere mit den langen Hälsen und den langen Beinen fressen bevorzugt die Blätter von den Bäumen, die Tiere mit mittellangen Hälsen und mittellangen Beinen bevorzugen die Büsche, und die Tiere mit kurzen Hälsen und kurzen Beinen bevorzugen Gras. Dabei ist das Wort "bevorzugen" nicht ganz richtig, die Tiere haben im Grunde keine andere Wahl.

Angenommen, durch irgendwelche Umweltveränderungen werden jetzt die Bäume immer höher, und die Büsche gehen ganz zurück.

 

siehe folgenden Text

Die fiktive Landschaft nach der Umweltveränderung

Wie kann die Antilopenpopulation darauf reagieren, wie sieht die "evolutionäre Anpassung" an die veränderten Umweltbedingungen aus?

Die Tiere, die schon immer Gras "bevorzugt" haben, sind durch das Wachstum der Bäume und den Wegfall der Büsche nicht benachteiligt. Sie kommen mit ihren kurzen Beinen und kurzen Hälsen gut zurecht.

Die Tiere mit mittellangen Beinen und mittellangen Hälsen bekommen jetzt nicht mehr so viel Nahrung ab wie zuvor, weil keine Büsche mehr vorhanden sind. Wenn sie Gras fressen wollen, müssen sie sich beim Bücken stark "verrenken", und wenn sie die Blätter der Bäume fressen wollen, müssen sie sich ziemlich stark strecken und erreichen trotzdem nur wenige Blätter. Diese Tiere haben also durchaus einen Nachteil. Ihre reproduktive Fitness sinkt, sie haben weniger Nachkommen als Tiere mit kurzen Beinen und kurzen Hälsen und auch weniger Nachkommen als die Tiere mit langen Beinen und langen Hälsen, die weiterhin keine Probleme haben, die Blätter von den Bäumen zu fressen.

Im Endeffekt werden also zwei Phänotypen (und die ihnen zugrunde liegenden Genotypen) die natürliche Auslese überleben: die Baumblattfresser mit langen Beinen und langen Hälsen, und die Grasfresser mit kurzen Beinen und kurzen Hälsen. Die Mischtypen mit mittellangen Beinen und Hälsen werden nach einigen Generationen ausgestorben sein. Man könnte hier auch von einem Heterozygoten-Nachteilsprechen.

Ein Heterozygoten-Nachteil kommt in der Natur recht selten vor. Eher liegt oft ein Heteozygoten-Vorteil vor. Jedem Hunde- und Katzenzüchter ist bekannt, dass Mischlinge oft robuster und intelligenter sind als reinrassige Tiere.

Wir haben nun also das Phänomen vorliegen, dass aus einer ursprünglich einheitlichen Population zwei unterschiedliche Teilpopulationen geworden sind. Solche Evolutionsvorgänge bezeichnet man als divergierende Evolution (spaltende oder aufspaltende Evolution).

Wenn eine divergierende Selektion über sehr lange Zeiträume wirkt, kann es schließlich zur Artbildung kommen: aus zwei Teilpopulationen entstehen zunächst zwei Rassen, deren Individuen sich noch untereinander fortpflanzen können, und schließlich zwei verschiedene Arten.

Evolution ist ein Zwei-Schritte-Vorgang: Im ersten Schritt erzeugen Rekombinationen und Mutationen genetische Variationen in einer Population, und im zweiten Schritt verleihen die Umweltfaktoren mit Hilfe der natürlichen Auslese der Evolution ihre Richtung. Dabei unterscheidet man zwischen stabilisierender, konvergierender und divergierender Evolution.