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Der Gorter-Grendel-Versuch

Ein entscheidender Versuch

Erythrocyten, also rote Blutkörperchen, enthalten keinen Zellkern und auch sonst so gut wie keine inneren Strukturen, sie bestehen hauptsächlich aus der Zellmembran, dem Zellplasma und dem darin enthaltenen Hämoglobin. Sie lassen sich leicht in großen Mengen gewinnen und können durch einfache Deplasmolyse (Zugabe von dest. Wasser) zum Platzen gebracht werden. Daher eigenen sich rote Blutkörperchen hervorragend zur Analyse von Biomembranen. Experimente mit roten Blutkörperchen führten im Jahre 1925 zum Lipid-Doppelschicht-Modell (lipid bilayer model).

Ich möchte Ihnen hier nun den berühmten Versuch von Gorter und Grendel aus dem Jahre 1925 vorstellen und erläutern.

Der Gorter-Grendel-Versuch

  • Zähle die roten Blutkörperchen in einer Blutprobe.
  • Berechne die Gesamt-Membranoberfläche G aller Blutkörperchen.
  • Bringe alle Blutkörperchen der Blutprobe zum Platzen (Zugabe von dest. Wasser).
  • Zentrifugiere die Membranlipide ab oder extrahiere sie mit Benzol.
  • Gib die isolierten Membranlipide auf eine Wasseroberfläche, die groß genug ist.
  • Bestimme die Fläche F des Lipid-Flecks.

Nun zur Erläuterung der einzelnen Schritte.

Rote Blutkörperchen zählen

Dazu bestimmt man zunächst das Volumen einer Blutprobe, beispielsweise 0,3 ml. Mit einer geeigneten Mikropipette bringt man nun einen kleinen Teil der Probe, zum Beispiel genau 0,01 ml auf einen Objektträger, legt vorsichtig ein Deckglas darauf und schiebt das Präparat dann unter ein Lichtmikroskop. Natürlich kann man nicht den ganzen Tropfen auszählen, sondern nur einen kleinen Ausschnitt davon. Für diesen Zweck gibt es eigene Messokulare und Deckgläser bzw. Objektträger mit einer Skala. So kann man leicht bestimmen, wie viele Blutkörperchen sich in einem bestimmten Abschnitt des Präparats befinden, und daraus kann man dann wieder die Gesamtzahl der Blutkörperchen in den 0,01 ml und in der gesamten Blutprobe von 0,3 ml errechnen.

Gesamt-Membranoberfläche berechnen

Dazu muss man natürlich die genaue Gestalt der Erythrocyten kennen und die genauen Ausmaße. Das ist nicht ganz einfach, denn rote Blutkörperchen sind ja nicht kugelförmig, sondern sehen eher aus wie Drops: eine abgeplattete Kugel mit einer Delle in der Mitte. Tatsächlich war die Bestimmung der Oberfläche eines Erythrocyten eine der schwierigsten Aufgaben bei den Versuchen von Gorter und Grendel.

Beschreibung siehe folgenden Text

Rote Blutkörperchen
Quelle: Pixabay.com, Autor: allinonemovie, Lizenz: freie kommerzielle Nutzung

Blutkörperchen zum Platzen bringen

Das ist nun eine recht einfache Aufgabe, die sogar als Schülerversuch durchgeführt werden könnte. Man muss nur destilliertes Wasser zu den Blutkörperchen geben. Es setzt dann eine Plasmolyse ein. Im Plasma der roten Blutkörperchen ist Salz enthalten, und zwar mehr Salz als im dest. Wasser. In Folge dessen enthält das Zellplasma der Blutkörperchen weniger Wasser pro Volumeneinheit als das dest. Wasser. Die Wasserkonzentration in den roten Blutkörperchen ist quasi geringer als die Wasserkonzentration im dest. Wasser. Dies wiederum hat zur Folge, dass Wasser-Moleküle aus dem dest. Wasser durch die Membran in das Blutkörperchen strömen. Das Blutkörperchen nimmt dieses Wasser auf, wird immer dicker und platzt schließlich.

Zentrifugieren

Gibt man die Flüssigkeit mit den geplatzten roten Blutkörperchen in ein Zentrifugenglas und schleudert dieses mit irrwitziger Geschwindigkeit im Kreis herum (das ist eben das Grundprinzip einer jeden Zentrifuge), so setzen sich die schweren Bestandteile am Boden des Zentrifugenglases ab, während die leichteren Bestandteile in den oberen Regionen schwimmen. Die Lipide der Zellmembranen werden sich dann weiter oben im Zentrifugenglas absetzen und können dann mit geeigneten Werkzeugen entnommen werden.

Lipidfleck erzeugen

Dieser Teil des Versuchs erinnert an den berühmten Ölfleck-Versuch aus dem Chemie-Unterricht. Gibt man die Lipid-Fraktion auf eine glatte Wasseroberfläche (zum Beispiel in einer großen Glasschüssel), so breiten sich die Lipid-Moleküle auf dem Wasser aus - und zwar in einer monomolekularen Schicht, einer Schicht also, die aus nur einer einzigen Lage ("mono") von Molekülen besteht.

Ein Fettauge im Querschnitt

Ein Lipid-monolayer, also eine Lipid-Schicht, die nur aus einer Lage von Molekülen besteht.
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: public domain.

Fläche F des Flecks bestimmen

Manchmal ist es gar nicht so einfach, die Größe dieses Lipidflecks zu bestimmen. Oft hilft es, wenn man die Wasseroberfläche zuvor mit einem feinen Pulver bestreut. Bärlappsporen, das sind feine Sporen eines Farnes, eignen sich besonders gut dafür. Streut man Bärlappsporen auf die Wasseroberfläche, so sieht man einen gelben Film auf dem Wasser schwimmen. Gibt man nun einen Tropfen der Lipide auf die Wasseroberfläche, so breiten sich diese schlagartig aus und bilden einen leicht in allen Farben schimmernden Fleck, der frei von Bärlappsporen ist. So kann man den Lipidfleck recht gut sehen. Die Bestimmung der Fläche ist dann nur noch ein mathematisches Problem. Millimeterpapier, das man vorher unter die Glasschüssel gelegt hat, kann hier sehr hilfreich sein.

Ölfleck-Versuch

Auf dieser Seite ist ein Ölfleck-Versuch noch einmal etwas genauer beschrieben, auch ein Rechenbeispiel dazu gibt es auf dieser Seite.

Geschichte der Membranforschung

Solche Ölfleck-Versuche, wie sie eben beschrieben wurden, haben in der Geschichte der Membranforschung bereits im frühen 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt, wie Sie auf dieser Seite nachlesen können.

Ergebnisse des Gorter-Grendel-Versuchs

Eigentlich hatten Gorter und Grendel erwartet, dass F = G gilt. Die Fläche des Lipidflecks sollte also in etwa der berechneten Fläche der Membranen der roten Blutkörperchen entsprechen.

Die Forscher fanden aber F = 2 G. Die monomolekulare Schicht war also doppelt so groß wie die Gesamtoberfläche der roten Blutkörperchen, also doppelt so groß wie erwartet.

Die Tabelle aus GORTER und GRENDELs Original-Artikel

Die Tabelle aus GORTER und GRENDELs Original-Artikel

In obiger Tabelle aus dem Original-Artikel von Gorter und Grendel vom 14. Dezember 1924 können Sie erkennen, dass die beiden Forscher viele solcher Versuche an verschiedenen Tieren wie Hund, Schaf, Kaninchen, Meerschweinchen und Ziege sowie mit menschlichem Blut durchgeführt haben (linke Spalte). Die Zahl der Erythrocyten in je einem Kubikmillimeter (= 1/1000 ml) der Blutproben war jeweils ziemlich hoch (beispielsweise 4.740.000 beim menschlichen Blut).

Am interessantesten sind doch die drei rechten Spalten. In der dritten Spalte von rechts sehen wir die Gesamtoberfläche G der Erythrocyten der Blutprobe. In der zweiten Spalte von rechts lesen wir die Gesamtoberfläche F des Lipidflecks ab, der sich auf der Wasseroberfläche gebildet hatte. In der letzten Spalte ist das Verhältnis F : G abzulesen, dass immer in der Nähe des Wertes 2 liegt.

Nur die Annahme, dass jedes Blutkörperchen von einer doppelten Lipidschicht umhüllt ist, von einem Lipid-bilayer, konnte diese Beobachtung erklären.

Schema einer Lipid-Doppelschicht
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: public domain.

In den vierziger Jahren bestätigten elektronenmikroskopische Aufnahmen dieses Lipid-Doppelschicht-Modell.

Das Lipid-Doppelschicht-Modell erklärt einige Beobachtungen, die schon lange vor Gorter und Grendel gemacht worden sind (siehe "Geschichte der Membranforschung"). Ein Beispiel hierfür ist der Ionenfallenversuch (siehe Lexikon). Das hydrophobe Innere der Doppelschicht verhindert das Ein-/Ausströmen wasserlöslicher polarer Teilchen wie zum Beispiel Neutralrot-Ionen.

Zusammengehalten wird die Lipid-Doppelschicht durch die Wechselwirkung mehrerer Kräfte. Die hydrophilen Köpfe der Lipide bilden Wasserstoffbrücken-Bindungen mit den umgebenden Wasser-Molekülen aus. Auch elektrostatische Anziehungskräfte können eine Rolle spielen, denn viele der Lipid-Köpfe sind elektrisch geladen. Nicht zu unterschätzen sind aber auch die van-der-Waals-Kräfte und die hydrophoben Wechselwirkungen, die das Innere der Doppelschicht zusammenhalten. Vor allem sind diese einzeln recht schwachen, aber in der Summe durchaus starken Anziehungskräfte nicht abhängig vom pH-Wert des wässrigen Mediums, denn die hydrophoben Schwänze der Membranlipide sind diesem wässrigen Medium ja gar nicht ausgesetzt.

Hydrophober Effekt

Auf dieser Seite im Chemie-Lexikon finden Sie alles über hydrophobe Wechselwirkungen, die ja eine wichtige Rolle beim Zusammenhalt der beiden Lipidschichten spielen.

Bemerkungen zu den Versuchen von Gorter und Grendel

Der 1925 veröffentlichte Artikel "On Bimolecular Layers of Lipoids on the Chromocytes of the Blood" war nur gut vier Seiten lang und enthielt keine Bilder und nur die oben erwähnte Tabelle, trotzdem war der Artikel eine der wichtigsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Membranforschung.

Kopfteil des Original-Artikels von Gorter und Grendel 1924

Aber leider ging es Gorter und GrendeL ähnlich wie einigen anderen Forschern vorher, der Artikel wurde von der Fachwelt zunächst für einige Jahre ignoriert. Ein Extrembeispiel sind ja bekanntlich die Arbeiten von Mendel, aber auch die Erkenntnisse von Hewson (siehe "Geschichte der Membranforschung") wurden jahrelang nicht beachtet.

Fehler, die sich gegenseitig aufheben

Wie Stillwell [1] in seinem Buch herausgearbeitet hat, unterliefen Gorter und GrendeL bei ihren Untersuchungen zahlreiche Fehler. Sie nahmen zum Beispiel nicht das am besten geeignete Lösungsmittel für die Lipide der Erythrocyten, so dass nur 70% der Membranlipide extrahiert wurden. Aber eigenartigerweise kompensierten sich diese Fehler gegenseitig, so dass am Ende doch ein brauchbares Ergebnis herauskam.

Außerdem hatten die beiden Forscher enormes Glück, dass sie ihre Untersuchungen ausgerechnet mit Erythrocyten durchführten und nicht mit anderen Zellen. Normale Zellen besitzen ja jede Menge Zellorganellen, die ebenfalls von Membranen umhüllt sind. Mit normalen Zellen wären sie daher nie auf das Verhältnis von 1:2 gestoßen, wie es bei der Erythrocytenmembran der Fall ist.

Weitere Ergebnisse von Gorter und GrendeL

Gorter und GrendeL fanden nicht nur heraus, dass die Membran von Erythrocyten aus einer doppelten Lipidschicht besteht, sondern sie konnten sogar die chemische Zusammensetzung dieser Lipid-Doppelschicht näher analysieren. Bereits frühere Forschungen hatten gezeigt, dass die Zellen aus 1 Liter Blut 0,5g Sphingomyelin, 0,5g Cephalin und Lecithin sowie 0,5g Cholesterin enthalten.

GrendeL analysierte 1929 die Zusammensetzung der Lipide etwas genauer und kam zu folgenden Ergebnissen:

  • Cholesterin: 36%
  • Cephalin und Lecithin: 50%
  • Sphingomyelin: 13%

Ebenfalls im Jahre 1925 ermittelte Hugo Fricke mit elektrischen Widerstands-Messungen die Dicke von Membranen: 33 Angström (= 3,3 nm). Das war ungefähr doppelt so dick, wie Langmuir mit seinen Messungen ermittelt hatte (Länge von Öl-Molekülen). Fricke kam allerdings nicht auf die Idee, dass es sich bei der Membran um eine doppelte Lipidschicht handelte, diese Idee ist ausschließlich auf Gorter und GrendeL zurück zu führen.

Dass es sich bei den Membranlipiden um Phospholipide handelt, erkannten, ebenfalls 1925, die beiden Forscher J.B. Leathes und H.S. Raper.

Phospholipide

Alles Wichtige über Phospholipide finden Sie auf dieser Lexikon-Seite.

Quellen:

  1. Stillwell: An Introduction to Biological Membranes. Elsevier Science 2016
  2. Davson: Growth of the Concept of the Paucimolecular Membrane. Circulation, Volume XXVI, November 1962.
  3. Gorter, Grendel: On bimolecular Layers of Lipoids on the Chromocytes of the Blood. J Exp Med. 1925 Mar 31; 41(4): 439–443

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