Helmichs Chemie-Lexikon

Selektivität

Bei chemischen Reaktionen von Molekülen, die aus mehreren, eventuell verschiedenen Atomen bestehen, gibt es das Phänomen der Chemoselektivität und gleichzeitig das Phänomen der Regioselektivität. Beide Selektivitäten sind voneinander zu unterscheiden.

Chemoselektivität

"Chemoselektivität ist in der Chemie ein Begriff für das bevorzugte Auftreten einer chemischen Reaktion im Vergleich zu anderen plausiblen Reaktionen".

Wikipedia, Stichwort "Chemoselektivität".

Der Begriff Chemoselektivität bezieht sich auf die Art der Bindung, die bei der Reaktion angegriffen wird. Wird zum Beispiel bei der Chlorierung von Propan eine C-C-Einfachbindung gespalten oder eine C-H-Bindung?

Wir wissen natürlich, dass bei der radikalischen Substitution die C-H-Bindung gespalten wird. Das ist aber nicht immer so. Bei der radikalischen Oxidation werden zum Beispiel neben C-H-Bindungen auch C-C-Bindungen gespalten, die Oxidation ist also nicht chemoselektiv.

Regioselektivität

Wenn man dann einmal festgestellt hat, dass die Reaktion chemoselektiv verläuft, dass also bei der radikalischen Substitution nur C-H-Bindungen gespalten werden, stellt sich die Frage, ob alle C-H-Bindungen des Moleküls mit der gleichen Wahrscheinlichkeit angegriffen und gespalten werden. Das ist bei der radikalischen Substitution nicht der Fall. Bevorzugt werden C-H-Bindungen tertiärer C-Atome gespalten, weil die Bindungsdissoziationsenergie hier am geringsten ist und die sich bildenden Radikale infolgedessen am stabilsten sind. An zweiter Stelle kommen die C-H-Bindungen sekundärer C-Atome, und ganz zuletzt die C-H-Bindungen primärer C-Atome.

Auch bei der nucleophilen Substitution kann man eine ähnliche Regioselektivität beobachten, zumindest beim SN1-Mechanismus. Von tertiären C-Atomen wird die Abgangsgruppe besonders leicht abgespalten, weil das sich bildende Carbenium-Ion hier von drei Alkylgruppen stabilisiert wird (+I-Effekte).

Ähnlich verhält es sich bei der elektrophilen Addition. Wenn sich im ersten Schritt ein Proton an die C=C-Doppelbindung anlagert, erfolgt dies stets so, dass das stabilste Carbenium-Ion entsteht (Markovnikow-Regel).

Vor allem bei der elektrophilen Zweit-Substitution an Aromaten spielt die Regioselektivität eine große Rolle. Hier hat der Erstsubstituent einen stark dirigierenden Effekt. Sogenannte aktivierende Erstsubstituenten dirigieren den elektrophilen Angriff des Zweitsubstituenten in ortho- und para-Richtung, und deaktivierende Erstsubstituenten dirigieren folglich in meta-Richtung.

Stereoselektivität

Bei manchen chemischen Reaktionen entstehen aus einem Edukt mehrere mögliche Stereoisomere. Wenn davon eines in einem höheren Maße entsteht, als die rein statistische Wahrscheinlichkeit vermuten lässt, dann handelt es sich um einen Fall von Stereoselektivität.