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Placozoa

Placozoa - Porifera - Cnidaria - Ctenophora - Bilateria

Trichoplax adhaerens

Entdeckungsgeschichte

Auf den ersten Blick hielt er es für kleine Schmutzflecke an der Wand seines Aquariums, der Zoologe Franz Eilhard Schulze (1840-1921) im Jahre 1883. Doch als er genauer hinschaute, merke er, dass sich diese nur millimetergroßen Flecken bewegten, offensichtlich handelte es sich um kleine Tiere - riesige Amöben oder winzige Vielzeller.

Als er es schaffte, ein paar dieser Lebewesen auf den Objektträger seines Mikroskops zu praktizieren, stellte er überrascht fest, dass es sich um eine völlig neue Lebensform handelte, die bisher noch niemand beobachtet hatte.

Das folgende Bild aus der Wikipedia zeigt uns, was Schulze in seinem Mikroskop gesehen haben muss:

Trichoplax adhaerens unter dem Lichtmikroskop, Durchmesser ca. 0,5 mm.
Oliver Voigt, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons

Unter dem Lichtmikroskop sah das Lebewesen aus wie ein riesiger Fleck aus vielen Zellen, der sich ähnlich wie eine Amöbe unregelmäßig bewegte. Irgendwelche Organe waren nicht zu sehen, und einige Zeit später erkannte man, dass das Tier aus nur vier verschiedenen Zelltypen besteht. Schulze nannte das Tier Trichoplax adhaerens, was so viel wie "anhaftende Haarplatte" bedeutet (gr. thrix = Haar, gr. plax = Platte, gr. adhaerens = haftend).

Dem Forscher Schulze erging es ein bisschen so wie Gregor Mendel. Auch seine Beobachtungen wurden von den meisten seiner Forscherkollegen nicht beachtet, falsch bewertet oder gingen im Wissenschaftsbetrieb einfach unter. Otto Bütschli (1848-1920) allerdings hielt 1884, also nur ein Jahr später, Trichoplax "für das ursprünglichste heute lebende Metazoon" [1]. Damit war er aber seiner Zeit weit voraus. 1907 nahm nämlich Thilo Krumbach (1874-1949) an, dass Trichoplax nichts anderes ist als die Larve eines Hydrozoen (Nesseltiers). Durch diesen neuen "Befund" nahm das Interesse der Wissenschaftler an Trichoplax dann schlagartig ab.

Als man sich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts dann wieder ernsthaft mit Trichoplax beschäftigte, ging man zunächst davon aus, dass es sich bei den Tieren um Larven von Nesseltieren handelt. Erst in den 70er Jahren erkannten Karl Gottlieb Grell (1912-1994) und andere Zoologen, dass Trichoplax der Vertreter eines völlig neuen Tierstammes ist, den man dann als Placozoa bezeichnete, was so viel heißt wie "flache Tiere".

Aufbau

Trichoplax adhaerens
Autor: Ulrich Helmich 05/2023, Lizenz: siehe Seitenende

Dieses selbst gezeichnete Bild zeigt ein Trichoplax-Individuum, das auf der einen Seite durchgeschnitten wurde, so dass man die Zellen des oberen und unteren Epithels sowie die länglichen, zwischen den beiden Epithelien liegenden Zellen erkennen kann. Die "Haare" sind in Wirklichkeit Cilien, die aus den Zellen hervorgehen. Die großen Kugeln im oberen Epithel sind Fetteinschlüsse, die wahrscheinlich ein Energiespeicher für das Tier sind. Die Nahrungsaufnahme findet mit dem unteren Epithel statt.

Nahrungsaufnahme von Trichoplax
Autor: Achim Raschka, Lizenz:Public domain

Dieses Epithel kann sich über die Nahrung stülpen (ähnlich wie bei einer Amöbe) und diese dann extrazellulär verdauen.

Das untere Epithel von Trichoplax
Autor: Ulrich Helmich 05/2023, Lizenz: siehe Seitenende

Diese Zeichnung - in Anlehnung an ein Bild aus dem alten Kaestner [1, S.248] zeigt einen Ausschnitt aus der unteren Epidermis von Trichoplax. Man sieht verschiedene Typen von Zellen, vor allem die begeißelten Zylinderzellen und die Drüsenzellen, außerdem mit Sekreten gefüllte Zellen.

Placozoa

Die systematische Einordnung dieses neuen Tierstamms ist bis heute umstritten. Schaut man in die gängigen Lehrbücher der Allgemeinen Biologie (beispielsweise Purves oder Campbell) oder in die Lehrbücher der Speziellen Zoologie, so findet man keinen Konsens über die Stellung der Placozoa. Einig ist man sich allerdings, dass es sich um Tiere an der Basis der Metazoa handelt, die Placozoa sind einfacher aufgebaut als die Cnidaria (Schwämme) oder Ctenophora (Rippenquellen), die bisher als die einfachsten Metazoen galten.

Bisher ist Trichoplax adhaerens der einzige Vertreter des Stammes der Placozoa. Angeblich wurde 1896 eine zweite Art entdeckt, doch konnte diese Beobachtung bis heute nicht bestätigt oder nachvollzogen werden.

Trichoplax adhaerens

In diesem großen Wikipedia-Artikel finden Sie viele weitere Informationen zu diesem interessanten Tier.

Systematische Stellung der Placozoa

In der Fachliteratur gibt es noch sehr unterschiedliche Meinungen zur systematischen Stellung der Placozoa. In der Wikipedia werden die drei bekanntesten Hypothesen übersichtlich zusammengefasst. Ich selbst habe die drei in der Wikipedia veröffentlichten Kladogramme mal nachgezeichnet und vergleichend zusammengefasst:

Drei Hypothesen zur systematischen Stellung der Placozoa
Autor: Ulrich Helmich 05/2023, Lizenz: siehe Seitenende

Wenn Sie auf das Bild klicken, erhalten Sie eine größere Darstellung. Außerdem können Sie eine PDF-Datei mit allen drei Kladogrammen hier herunterladen.

Hypothese 1:
Placozoa als Schwestergruppe der anderen Metazoa

Nach dieser Hypothese haben sich die Placozoa direkt aus den Ur-Metazoen entwickelt, parallel zu den Vorläufern der anderen Metazoen. Hauptargument für diese Hypothese ist der einfache Aufbau der Placozoa. Allerdings wird diese Hypothese von molekulargenetischen Untersuchungen nicht unterstützt.

Hypothese 2:
Placozoa als Schwestergruppe der Eumetazoa

Hauptargument für diese Hypothese ist das Vorhandensein bestimmter Desmosomen (Zell-Zell-Verbindungen). Die Gürteldesmosomen kommen bei allen Metazoen vor, nur nicht bei den Porifera (Schwämmen). Und sie kommen - das ist jetzt das wichtigste Argument - auch bei den Placozoa vor.

Ein weiteres Argument sind die Drüsenzellen auf der Bauchseite von Trichoplax, die ebenfalls bei den meisten Eumetazoen vorkommen, nicht aber bei den Schwämmen.

Hypothese 3:
Placozoa als Schwestergruppe der Bilateria

Hauptargument für diese Hypothese sind molekulargenetische Untersuchungen. Nach dieser Hypothese sind die Placozoa stark vereinfachte Gewebetiere. Trichoplax stammt demnach von komplexer gebauten Tieren ab, die bereits über Muskel- und Nervengewebe verfügten. Allerdings ist diese Hypothese bei den Wissenschaftlern noch stark umstritten. Es werden auch andere Schwestergruppen der Placozoa innerhalb der Eumetazoa diskutiert: Cnidaria oder Ctenophora. Ein Argument gegen diese Hypothese ist, dass solche starken Rückbildungen der Organe bzw. Gewebe sonst nur bei parasitisch lebenden Organismen auftreten. Trichoplax lebt aber völlig frei und unabhängig von irgendwelchen Wirten.

Quellen:

  1. Kaestner, Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Band I: Wirbellose Tiere, 1. Teil. Stuttgart 1980.
  2. Savada, Hillis, Heller, Hacker: Purves Biologie, Springer Verlag Deutschland 2019, 10. Auflage. Herausgegeben von Jürgen Markl.
  3. Campbell, Reece, Markl, Biologie, München 2006, 6.Auflage
  4. Wikipedia, Artikel "Trichoplax adhaerens"
  5. "Trichoplax adhaerens - Ein Meeresbewohner aus dem Stamm der Placozoa" auf blog.skythief.de