Aus dem Biologie-Unterricht der Einführungsstufe kennen Sie sicherlich den Begriff "Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle". Das ist zwar stark vereinfacht ausgedrückt, aber sachlich völlig richtig. Die Mitochondrien sind für die Produktion von Adenosintriphosphat ATP zuständig. Und ATP ist bekanntlich die universelle Energiewährung der Zelle.
Auf dieser Seite und auf den weiterführenden Seiten möchte ich Ihnen mit möglichst einfachen und anschaulichen Worten erklären, wie die Produktion von ATP in den Mitochondrien funktioniert.
Kommen wir dazu noch einmal auf den Ausdruck "Kraftwerke der Zelle" zurück und stellen wir uns ein Wasserkraftwerk vor, das Strom erzeugt. Bei einem Wasserkraftwerk fließt viel Wasser von oben nach unten und treibt dadurch einen Generator an, der dann den Strom erzeugt.
Etwas Ähnliches passiert in den Mitochondrien. Allerdings fließt hier kein Wasser von oben nach unten, sondern Ionen strömen durch die innere Mitochondrienmembran und treiben dadurch ATP-Generatoren an - also Enzyme, die aus ADP/Pi das benötigte ATP synthetisieren. Solche Enzyme werden als ATPasen bezeichnet.
Um die Funktionsweise einer solchen ATPase zu verstehen, müssen wir uns noch einmal mit Transportvorgängen durch Membranen beschäftigen - auch ein Thema, das Sie aus der Einführungsphase noch kennen sollten. Stichworte: Aktiver und passiver Transport.
Aktiver und passiver Transport
Aktiver Transport
Beim aktiven Transport werden Stoffe gegen ein bestehendes Konzentrationsgefälle "bergauf" transportiert. Das kostet Energie, die normalerweise durch die Spaltung von ATP in ADP und Pi erzeugt wird.

Aktiver Transport unter Verbrauch von ATP
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: Public domain
Hier sehen wir einen solchen aktiven Transport. Glucose-Moleküle werden gegen das bestehende Konzentrationsgefälle durch die Membran transportiert.
Umkehrung eines aktiven Transports
Wenn man Sie nun fragen würde: "Was ist das Gegenteil eines aktiven Transports?", dann würden Sie mit Sicherheit sagen: "Natürlich der passive Transport". Diese Antwort ist völlig richtig, aber noch nicht vollständig. Der Verbrauch von ATP beim aktiven Transport wurde noch nicht berücksichtigt. Wenn man einen aktiven, ATP-getriebenen Transport völlig umkehren könnte, bekäme man keinen einfachen passiven Transport. Man hätte einen Transport, bei dem Teilchen mit dem Konzentrationsgefälle passiv durch eine Membran strömen und dabei ATP herstellen würden.

Passiver Transport unter Bildung von ATP
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: Public domain
Auf diesem Bild sehen wir einen solchen passiven Transport, bei dem ATP synthetisiert wird - eine komplette Umkehrung des aktiven Transports.
Und genau so etwas brauchen wir für die Atmungskette. An der inneren Mitochondrien-Membran müssen Teilchen mit dem Konzentrationsgefälle durch ein Enzym strömen, das ATP synthetisiert, durch eine ATPase bzw. ATP-Synthase also.
Allerdings sind es keine Glucose-Moleküle wie in der Abbildung 2, die ATP produzieren, sondern kleinere Ionen. Und nicht nur einfach kleinere Ionen, sondern die kleinsten Ionen, die es überhaupt gibt, nämlich Protonen (Wasserstoff-Ionen) H+.
Und das kann man sogar mit einem recht einfachen Versuch beweisen.
Ein kleiner Versuch
Man färbt ein Präparat mit Mitochondrien mit einem pH-Indikator. Im leicht sauren Bereich hat dieser Indikator eine rote Farbe, im leicht alkalischen Bereich eine blaugrüne. Schaut man sich die so gefärbten Mitochondrien unter einem sehr guten Lichtmikroskop an, so kann man vielleicht folgendes Bild sehen:

Experiment mit einem Mitochondrium (Ausschnitt)
Autor: Ulrich Helmich 2016, Lizenz: Public domain.
Zugegeben, ein solches Lichtmikroskop gibt es nicht, in dem man Mitochondrien so groß sieht wie in der Abbildung. Aber was tut man nicht alles, um Schülern und Studenten wissenschaftliche Zusammenhänge klar zu machen?
Wie man leicht sehen kann, ist der Zwischenmembranraum des Mitochondriums leicht sauer (pH = 6,9), während die Mitochondrien-Matrix leicht basisch ist (pH = 7,8).
Dies ist der Beweis dafür, dass in dem Zwischenmembranraum des Mitochondriums eine höhere Protonenkonzentration herrscht als in der Matrix.
Zusammenfassung
Die ATP-Synthese der Mitochondrien geschieht an der inneren Membran der Mitochondrien. Protonen strömen passiv aus dem Zwischenmembranraum (hohe H+-Konzentration) in die Mitochondrien-Matrix (geringere H+-Konzentration), und zwar durch ATP-Synthasen. Die in dem Konzentrationsunterschied gespeicherte Energie wird zur Synthese von ATP aus ADP und Pi eingesetzt.
Die ATP-Synthese in den Mitochondrien funktioniert also so ähnlich wie die Stromproduktion in einem Pumpspeicherkraftwerk. Daher kann man die Mitochondrien mit Recht als "Kraftwerke der Zelle" bezeichnen.
Pumpspeicherkraftwerke
Eines der größten Probleme bei der Energiewende ist die Frage: Wohin mit dem überschüssigen Strom, der an sonnigen Tagen in Deutschland produziert wird? Pumpspeicherkraftwerke wären hier eine Lösung des Problems.
Ein Pumpspeicherkraftwerk pumpt nämlich an sonnigen Tagen, wenn ein Überschuss an Strom produziert wird, Wasser in ein Staubecken hoch. Nachts oder an bedeckten Tagen, wenn Strom benötigt wird, fließt das Wasser bergab zurück, und zwar durch Stromgeneratoren, die den Strom in das öffentliche Stromnetz einspeisen.
Mitochondrien müssen also eigentlich als "Pumpspeicherkraftwerke der Zelle" bezeichnet werden.
Am Ende dieser Seite schauen wir uns noch einmal ein solches Mitochondrium näher an:

Aufbau eines Mitochondriums
Autor: Ulrich Helmich 2016, Lizenz: Public domain.
Im Wesentlichen besteht ein Mitochondrium aus einer äußeren Membran und einer stark gefalteten inneren Membran. Dazwischen befindet sich der Zwischenmembranraum. Die innere Membran umschließt die Matrix, diese Matrix besteht aus Plasma und enthält eine ringförmige DNA und Ribosomen (ähnlich wie bei Prokaryoten).
In der Ausschnittvergrößerung (2.) sehen wir eine Ausstülpung der inneren Membran. Die roten Gebilde sind die ATP-Synthasen.
Die Ausschnittvergrößerung (3.) zeigt, wie Protonen in Richtung des Konzentrationsgefälles durch eine ATP-Synthase diffundieren. Bei diesem exothermen Prozess wird ATP erzeugt.
Chemiosmotische Theorie
Die Vorgänge an der inneren Mitochondrien-Membran ähneln den Vorgängen an der Membran der Thylakoide in den Chloroplasten. Auch hier strömen Protonen durch ATP-Synthasen in einer Membran und erzeugen dabei ATP.
Dass ATP auf diese Weise erzeugt wird, geht auf Peter D. Mitchell zurück, der diese Theorie 1961 vorgeschlagen hat. 1987 erhielt Mitchell dafür den Nobelpreis für Chemie.