Helmichs Biologie-Lexikon

Mutation, stille

Unter einer stillen Mutation versteht man eine Genmutation, die keine Auswirkung auf den Aufbau des codierten Proteins hat - die Aminosäuresequenz des Proteins bleibt also unverändert.

Ursache für eine solche stille Mutation ist meistens der Austausch der dritten Base eines Codons. Bei vielen Aminosäuren hat ein solcher Austausch überhaupt keine Folgen. Beispielsweise wird die Aminosäure Alanin durch folgende mRNA-Tripletts codiert: GCC, GCG, GCA, GCU. Wird durch eine Punktmutation in der DNA aus einem GCC-Triplett ein GCA-Triplett, so bauen die Ribosomen immer noch Alanin in das entstehende Protein ein, und die Struktur des Proteins ändert sich nicht.

Im Gegensatz dazu kann bei einer neutralen Mutation durchaus die Aminosäure-Sequenz des zugehörigen Proteins (leicht) verändert sein. Das Wort "neutral" bezieht sich auf die Tatsache, dass die Mutation keinerlei phänotypische Auswirkungen hat - vor allem der evolutive Selektionswert des Individuums verändert sich nicht. Allerdings wird häufig der Begriff "neutrale Mutation" synonym zu "stille Mutation" gebraucht - Abiturienten sollen hier also vorsichtig sein. Näheres zum Thema "neutrale Mutation" erfahren Sie auf meiner Webseite "Unterteilung der Mutationen nach ihren Folgen".

Kehren wir noch einmal zum Thema "stille Mutation" zurück, das ist ja schließlich das Hauptthema dieser Lexikonseite. Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, das stille Mutationen durchaus gravierende Auswirkungen auf das Protein haben können.

Es ist nämlich so, dass die mRNA, also die Abschrift eines Gens, keine glatte lange Kette von Nucleotiden ist, wie es in manchen Lehrbüchern dargestellt wird, sondern die mRNA hat eine individuelle Raumstruktur, eine Teritärstruktur. Sogar Doppelhelixbereiche können in einer mRNA vorkommen (Haarnadelschleifen). Diese Tertiärstruktur wird durch schwache chemische Bindungen zusammengehalten, zum Beispiel Wasserstoffbrücken, Dipol-Dipol-Wechselwirkungen und wie sie alle heißen. Wird nun ein Triplett wie GCC durch eine Mutation in ein GCA-Triplett umgewandelt, so kann das dazu führen, dass sich die Raumstruktur der mRNA ein wenig (oder auch ein wenig mehr) ändert. Dies wiederum kann Auswirkungen auf die Translation haben. Eine zusätzliche Schleife in der mRNA - erzeugt durch ein verändertes Triplett - kann zum Beispiel zu einer Verzögerung der Translation führen. Die mRNA "hängt" im Ribosom fest und kann eventuell durch bestimmte Enzyme angegriffen werden. Oder das entstehende Protein wird chemisch modifiziert, wenn es zu lange im Ribosom "herumhängt".

Also, ganz so "still" müssen stille Mutationen nicht immer sein. Siehe dazu auch den Spektrum-Artikel "Stille Mutationen entscheiden über das Schicksal von Proteinen".