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Folgen von Mutationen

Neutrale Mutationen

Als neutrale Mutationen werden in der Evolutionsbiologie Mutationen bezeichnet, die keine Auswirkungen auf die Fitness (Zahl der lebenden Nachkommen) eines Individuums haben. Dieser Begriff der Evolutionsbiologie stimmt nicht mit dem Begriff "neutrale Mutation" der Genetik überein, wie wir gleich sehen werden.

Ich möchte hier mal folgendes Schema für die Einteilung neutraler Mutationen (im Sinne der Evolutionsbiologie) vorschlagen:

Beschreibung siehe folgenden Text

Einteilung neutraler Mutationen; eigener Vorschlag
Autor: Ulrich Helmich 2016, Lizenz: siehe Seitenende

Einteilung neutraler Mutationen; Vorschlag von Helmich

In dem von mir entworfenen Schema werden vier verschiedene Typen neutraler Mutationen beschrieben, die - von innen nach außen - immer gravierender werden und trotzdem keinerlei Auswirkungen auf die Fitness (den Fortpflanzungserfolg) eines Individuums haben.

Im Zentrum des Schemas haben wir den Mutationstyp, der in der Genetik als stumme Mutation bezeichnet wird, nämlich den Austausch der dritten Base eines Codons ohne Auswirkung aus die Aminosäure-Sequenz des codierten Proteins.

Beispiel: Die Aminosäure Leucin wird unter anderem durch die RNA-Tripletts CUG und CUC codiert. Wird also zum Beispiel in der DNA aus dem Triplett CTG durch eine Punktmutation das Triplett CTC, so hat dies keinerlei Auswirkungen auf die Primärstruktur des gebildeten Proteins - die Ribosomen bauen immer noch die Aminosäure Leucin in das Protein ein.

Gehen wir eine Stufe weiter. Stellen wir uns eine Punktmutation vor, bei der die erste oder zweite Base eines Codons ausgetauscht wird. In der Regel wird dann von den Ribosomen eine andere Aminosäure in das wachsende Protein eingebaut. Wenn die ausgetauschte Aminosäure an einer unwichtigen Stelle im Protein sitzt, hat das meistens überhaupt keine Auswirkungen auf die Struktur und Funktion des Proteins. Das Protein arbeitet uneingeschränkt in gewohnter Weise. Logischerweise hat ein solches leicht verändertes Protein auch keine Auswirkungen auf den Phänotyp des Lebewesens und erst recht keine Auswirkungen auf den Fortpflanzungserfolg.

Und wieder gehen wir eine Stufe weiter, wir sind jetzt im zweiten Kreis von außen. Selbst wenn die Tertiärstruktur des Proteins durch den Einbau einer anderen Aminosäure beeinträchtigt wird, heißt das noch lange nicht, dass sich dies auf den Phänotyp oder die Fitness des Individuums auswirken muss. Immerhin gibt es in jeder Zelle und in jedem Organismus viele regulatorische Prozesse, die den Ausfall eines nicht ganz korrekt arbeitenden Proteins kompensieren können.

Kommen wir zum äußeren Kreis. Die Mutation ist jetzt so "gravierend", dass sich tatsächlich der Phänotyp des Individuums geändert hat. Statt dunkelbraunem Fell hat ein Raubtier vielleicht ein mittelbraunes Fell, oder statt blauer Augen hat es braune Augen, oder die Lippen sind etwas anders geformt als bei den Artgenossen und so weiter… Wirkt sich eine solche äußerlich sichtbare Mutation auf die Fitness des Individuums aus? Manchmal ja, oft aber auch nicht. Wenn der Fortpflanzungserfolg des Individuums durch diese phänotypisch sichtbare Mutation nicht beeinträchtigt wird, kann man in der Evolutionsbiologie dennoch von einer neutralen Mutation sprechen.

Schädliche Mutationen

Wie der Name bereits sagt, haben solche Mutationen Nachteile für das betroffene Lebewesen. Die Lebenserwartung ist mehr oder weniger verkürzt oder aber die Zahl der Nachkommen ist kleiner als bei den nicht mutierten Artgenossen. Schädliche Mutationen haben also einen negativen Einfluss auf die Fitness eines Individuums.

Der äußerlich sichtbar Phänotyp muss dabei gar nicht verändert sein, auch "innere Werte" entscheiden über die Fitness. Simples Beispiel: Wenn ein männliches Säugetier durch eine Mutation unbewegliche Spermien produziert, wird es keine Nachkommen haben, obwohl sich sein Phänotyp nicht verändert hat.

Letale Mutationen

Letale Mutationen sind sozusagen der Extremfall der schädlichen Mutationen. Oft werden letale Mutationen aber gar nicht mitgezählt, weil sie gar nicht bemerkt werden. Die betroffenen Tiere oder Pflanzen werden nämlich gar nicht erst geboren bzw. keimen nicht, weil bereits im Embryonalstadium starke Schäden auftreten.

Auch beim Menschen kann es sein, dass eine letale Mutation gar nicht bemerkt wird, weil sich die befruchtete Eizelle zum Beispiel nicht in die Gebärmutterschleimhaut einnistet.

Vorteilhafte Mutationen

Diese extrem seltenen Mutationen verschaffen ihrem Träger einen Vorteil gegenüber seinen Artgenossen. Ein Tier kann zum Beispiel schneller vor Angreifern flüchten, weil es etwas stärkere Laufmuskeln hat, oder es bemerkt einen Feind eher, weil sein Gehör etwas besser entwickelt ist, oder es ist besser getarnt, weil seine Fellfarbe noch besser mit der Umgebung verschmilzt.

Ein sehr bekanntes und gut dokumentiertes Beispiel für eine solche vorteilhafte Mutation ist der Birkenspanner, ein Schmetterling, der gerne auf der Rinde von Birken lebt. Normalerweise ist der Birkenspanner weiß wie die Birkenrinde; gelegentlich auftretende dunkle Formen haben zwar keinen unmittelbaren Nachteil, weil sie mit dunklen Flügeln genauso gut Nahrung suchen können wie mit hellen Flügeln, allerdings werden sie von Vögeln auf den hellen Birken leichter entdeckt als die hellen Birkenspanner. Dies führt dazu, dass es nur sehr wenige dunkle Birkenspanner in einer Population gibt, weniger als 10%. Im 19. Jahrhundert allerdings, mit zunehmender Industrialisierung, wurden in England in manchen Gebieten die Birkenstämme immer dunkler. Und tatsächlich, hier stieg der Anteil der dunklen Birkenspanner ebenfalls an. Als dann im späteren 20. Jahrhundert Umweltschutzmaßnahmen griffen, wurden viele Birken wieder heller. Und tatsächlich - der Anteil der dunklen Birkenspanner wurde wieder geringer.

Allgemeine Quellen, die über allgemeines Schulbuchwissen hinausgehen:

  1. Jochen Graw: Genetik, 7. Auflage, Springer Spektrum, Berlin 2021.
  2. Alfred Nordheim, Rolf Knippers: Molekulare Genetik, 11. Auflage, Thieme-Verlag Stuttgart 2018.
  3. Rolf Knippers: Eine kurze Geschichte der Genetik, 2. Auflage, Springer-Verlag 2017.