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Konvergente und divergente Entwicklung

Abituraufgaben NRW

Dornteufel (2024, GK HT 1)

Divergente Entwicklung

Beginnen wir diese Seite mit der divergenten Entwicklung. Wenn Sie verstanden haben, wie die allopatrische Artbildung funktioniert, dann sollten Sie mit der divergenten Entwicklung keine Probleme haben - die divergente Entwicklung ist nämlich der "Normalfall" der Artaufspaltung.

Allopatrische Artbildung

Die allopatrische Artbildung verläuft in mehreren Schritten. Zunächst wird eine Population in zwei Teilpopulationen getrennt, und zwar so, dass der Genfluss zwischen den beiden Teilpopulationen unterbrochen wird.

Beide Populationen entwickeln sich nun unabhängig voneinander. In jeder Population treten andere Mutationen auf, und die unterschiedlichen Selektionsfaktoren, bedingt durch die unterschiedlichen Umweltbedingungen, führen schließlich zu einer divergierenden Evolution. Einzelheiten dazu finden Sie auf der Spezialseite "Allopatrische Artbildung".

In einem Schulbuch habe ich mal folgenden Satz gelesen, der sehr interessant und einprägsam ist:

"Divergente Entwicklung ist das Unähnlichwerden von ursprünglich Ähnlichem"

Aus einer Ursprungsart entwickeln sich durch allopatrische (oder auch sympatrische) Artbildung zwei neue Arten, die noch sehr nah miteinander verwandt sind und meistens auch noch recht ähnlich aussehen.

Jede dieser Arten durchläuft im Laufe der Jahrmillionen weitere Artaufspaltungs-Prozesse, aus zwei Arten entstehen vier, aus den vier Arten können sechs, sieben oder acht neue Arten entstehen und so weiter. Je länger die Zeit und die Auseinanderentwicklung fortschreiten, desto unähnlicher werden die einzelnen Arten dann.

Musterbeispiel für divergente Entwicklung

Das Musterbeispiel für eine divergente Entwicklung, das mit 90%iger Wahrscheinlichkeit in jedem Schulbuch der Biologie steht, wenn dort das Thema "Evolution" behandelt wird, sind die Extremitäten der Wirbeltiere.

Beschreibung siehe folgenden Text

Homologien der Vorderextremitäten von Mensch, Hund, Vögeln und Walen
Quelle: Wikipedia, Artikel "Homologie", Autor: Vladlen666, Lizenz: Public domain.

Wenn ein Biologe solche Endergebnisse einer divergenten Entwicklung betrachtet, spricht er meistens von Homologien. Der Unterarm des Menschen ist mit den Unterarmen von Hund, Vogel und Wal homolog.

Homologie = das Endergebnis einer divergenten Evolution.

Ob eine Homologie vorliegt, wenn man die Phänotypen von Individuen verschiedener Arten betrachtet, kann man mit Hilfe verschiedener Homolgiekriterien entscheiden, auf die auf dieser Seite nicht weiter eingegangen werden soll.

Homologien und Homologiekriterien

Wer sich für weitere Einzelheiten zu diesem Thema interessiert, kann sich auf dieser Seite informieren.

Konvergente Entwicklung

Wir könnten zur Erklärung der konvergenten Entwicklung den oben zitierten Spruch aufgreifen und entsprechend abändern:

"Konvergente Entwicklung ist das Ähnlichwerden von ursprünglich Unähnlichem".

Man könnte aber auch folgenden kürzeren Spruch heranziehen:

"Gleiche Probleme erfordern ähnliche Lösungen"

Tiere, die im Meer leben und ständig gefräßigen Räubern entkommen müssen, haben in der Regel schlanke, stromlinienförmige Körper und können daher sehr schnell schwimmen. Eine solche Form findet man bei einer Reihe von nicht näher verwandten Wirbeltieren, zum Beispiel den Delphinen (Säugetiere), den Haien (Knorpelfische) oder auch manchen im oder am Meer lebenden Seevögeln.

Dolphins and ichthyosaurs converged on many adaptations for fast swimming.
Sceptic view, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Dieses Bild zeigt eine ganze Reihe analoger Merkmale von Delphinen und Ichthyosauriern, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen.

Analogie = das sichtbare Endergebnis einer konvergenten Entwicklung.

Analogien entstehen durch die konvergente Entwicklung von Tieren oder Pflanzen, die in der gleichen oder ähnlichen Umwelt leben und dort die selben Probleme vorfinden, die sie lösen müssen. Ein Musterbeispiel, das auch fast in jedem Schulbuch steht, sind der Maulwurf und die Maulwurfsgrille, also ein Säugetier und ein Insekt.

Eine Maulwurfsgrille von vorn
H. Zell, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Dieses Bild zeigt eine Maulwurfsgrille (Gryllotalpa gryllotalpa) von vorn, so dass man die beiden Grabbeine gut sehen kann.

Ein Maulwurf von vorn
Luc hoogenstein, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Dieses Bild zeigt einen Maulwurf, der gerade aus seinem Bau kriecht. Die Grabbeine sind analog aufgebaut wie die Grabbeine der Maulwurfsgrille. Beide Tierarten haben das gleiche Problem gelöst, nämlich unter der Erde möglichst effizient zu kriechen.

Abitur Biologie

Eine häufig gestellte Abituraufgabe besteht darin, mehrere Tierarten oder Pflanzenarten daraufhin zu untersuchen, ob die gezeigten Ähnlichkeiten auf einer konvergenten oder auf einer divergenten Entwicklung zurückzuführen sind. Den Schülern werden dabei oft phylogenetische Stammbäume vorgelegt.

Schauen wir uns doch einmal einen solchen phylogenetischen Stammbaum an, wie er in der NRW-Abituraufgabe "Dornteufel" 2024 vorkam.

Phylogenetischer Stammbau einiger Reptilienarten
Autor: Ulrich Helmich 04/2025, Lizenz: Public domain

Dieses Bild zeigt den Stammbaum aus der Abituraufgabe, allerdings selbst gezeichnet und dabei stark vereinfacht. In der Abituraufgabe ging es vor allem um den Dornteufel, ein Reptil, das vor allem in Wüsten Australiens vorkommt und hervorragend an die große Hitze und Trockenheit angepasst ist.

Der phylogenetische Stammbaum zeigt die Verwandtschaftsverhältnisse ausgewählter Agamen-Arten, zu denen auch der Dornteufel gehört.

Aus dem Diagramm kann man nun entnehmen, dass mehrere Agamen-Arten an das Leben in der Wüste angepasst sind, nämlich die Arten A, E und H. Schaut man sich nun die Verwandtschaftsverhältnisse näher an, dann sieht man, dass diese drei Arten verschiedenen Zweigen dieses Stammbaums angehören. Die nah verwandten Arten A und B haben eine divergente Entwicklung durchlaufen. A ist nämlich an das Leben in der Wüste angepasst, B hat Angepasstheiten an das Steppenleben entwickelt. Die Arten A, E und H dagegen sind nur recht entfernt miteinander verwandt. Klar, alle drei Arten sind Agamen, aber innerhalb dieser großen Gruppe von Reptilien sind A, E und H nicht näher miteinander verwandt. Trotzdem haben sie die gleichen Probleme auf ähnliche Weise gelöst. Sie haben also eine konvergente Entwicklung durchlaufen und so gewisse Analogien entwickelt.