Helmichs Chemie-Lexikon

Arrhenius-Konzept

Achtung: Dies ist kein Artikel über das Leben von Svante Arrhenius, sondern auf dieser Seite wird das Säure-Base-Konzept von Arrhenius ausführlich und im historischen Kontext erläutert.

Svante August Arrhenius (1859 - 1927) war ein bedeutender schwedischer Physiker und Chemiker, der 1903 den Nobelpreis für Chemie erhielt.

Svante Arrhenius
Photogravure Meisenbach Riffarth & Co. Leipzig., Lizen: Public domain

Arrhenius hat neben seinen anderen Leistungen (siehe zum Beispiel den ausführlichen Wikipedia-Eintrag) ein neues Säure-Base-Konzept entwickelt, das ist auch der Grund, warum sein Name im Chemieunterricht eine so wichtige Rolle spielt.

Die Situation vor Arrhenius

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kannte man bereits saure Verbindungen, die keinen Sauerstoff enthielten, beispielsweise Chlorwasserstoff HCl oder Schwefelwasserstoff H2S. Vorher ging man immer davon aus, dass Säuren Sauerstoff-Verbindungen sind, Musterbeispiele hierfür sind Schwefelsäure H2SO4 und Salpetersäure HNO3.

Entdeckt wurden die sauerstofffreien Säuren durch den deutschen Chemiker Justus von Liebig (1803 - 1873) durch Elementaranalysen dieser Säuren. Liebig definierte daher im Jahre 1838 den Säure-Begriff etwas genauer: Säuren sind Verbindungen, die Wasserstoff enthalten, der durch Metalle ersetzt werden kann. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Schwefelsäure, die mit Calcium zu Calciumsulfat (Gips) und Wasserstoff reagiert:

$H_2SO_4 + Ca \to CaSO_4 + H_2$

Der Wasserstoff der Schwefelsäure wird von Calcium verdrängt. Die sauerstofffreien Säuren HCl und H2S konnten ebenso mit Metallen reagieren:

$H_2S + Mg \to MgS + H_2$

Was man damals aber noch nicht erklären konnte, waren die Basen. Vor dem 19. Jahrhundert waren Basen einfach Stoffe, die eine Säure abschwächen oder sogar neutralisieren konnten. Von Liebig ist keine entsprechende Definition des Base-Begriffs bekannt.

Arrhenius führte Leitfähigkeitsmessungen mit Salzlösungen unterschiedlicher Konzentration durch. Während ein festes Salz - zum Beispiel ein Natriumchlorid-Kristall - keine messbare elektrische Leitfähigkeit zeigt, ist die wässrige Lösung eines Salzes in hohem Maße elektrisch leitfähig. Arrhenius erklärte die Zunahme der elektrische Leitfähigkeit beim Auflösen eines Salzes in Wasser damit, dass das Salz in Ionen dissoziiert (zerfällt). Der Begriff der Dissoziation wurde schon 1857 von Henri Étienne Sainte-Claire Deville eingeführt, und zwar für den Zerfall von Gasteilchen. Arrhenius wendete den Begriff dann 1884 auch auf die gelösten Salzteilchen an.

Einige Zeitgenossen von Arrhenius konnten sich nicht vorstellen, dass ein Salz wie NaCl in positive und negative Ionen zerfällt, ohne dass man vorher eine Spannung anlegen musste. Elektrolysen waren schon lange vorher bekannt, und viele Elemente wie Kalium oder Natrium wurden ja durch Elektrolyse von Salzschmelzen entdeckt, aber dass ein einfaches Lösemittel wie Wasser ausreicht, um ein Salz in seine Ionen zu zerlegen, war damals schon eine Sensation.

Säuren zerfallen danach in Wasserstoff-Ionen und Säurerest-Ionen, hier das bekannte Beispiel Chlorwasserstoff:

$HCl(g) \to H^{+}(aq) + Cl^{-}(aq)$

Oder das Selbe noch einmal für Schwefelsäure:

$H_2SO_4(l) \to 2 \ H^{+}(aq) + SO_4^{2-}(aq)$

In manchen Chemiebüchern oder sogar in einer Chemie-Vorlesung wird gesagt, das Arrhenius schon von H3O+-Ionen, Oxonium-Ionen oder Hydronium-Ionen gesprochen hat. Das ist aber nicht der Fall. Oxonium-Ionen wurden erst später entdeckt. Man musste ja erst ein vernünftiges Atommodell mit freien Elektronenpaaren und leeren Orbitalen haben, um den Bau von Oxonium-Ionen beschreiben zu können.

Basen zerfallen nach Arrhenius in Hydroxid-Ionen und Basenrest-Ionen, wie man gut am Beispiel Natriumhydroxid sehen kann:

$NaOH (s) \to Na^{+}(aq) + OH^{-}(aq)$

Dieses Säure-Base-Konzept war ein deutlicher Fortschritt in der anorganischen Chemie. Zahlreiche chemische Reaktionen konnten mit diesem neuen Konzept gut erklärt werden. Bei der Neutralisation von Salzsäure mit Natronlauge beispielsweise geben die HCl-Moleküle Protonen ab, die NaOH-Teilchen geben Hydroxid-Ionen ab, und die Protonen vereinigen sich dann mit den Hydroxid-Ionen zu Wasser-Molekülen. Die elektrische Leitfähigkeit der Lösung bleibt nach der Neutralisation erhalten, weil die Lösung ja immer noch Natrium-Ionen (Basenreste) und Chlorid-Ionen (Säurereste) enthält.

Alle Phänomene kann das Arrhenius-Konzept allerdings nicht erklären. Selbst bei dem einfachen Schulversuch mit konz. Salzsäure und konz. Ammoniaklösung versagt das Konzept. Wenn man eine geöffnete Flasche mit konz. HCl und eine geöffnete Flasche mit konz. NH3 nebeneinander stellt, bilden sich sofort weiße Nebel von NH4Cl. Die Säure HCl reagiert mit dem gasförmigen Ammoniak, das NH3 kann aber keine OH--Ionen abspalten.

Eine solche Säure-Base-Reaktion mit einer sauerstofffreien Base wie NH3 kann erst mit dem Säure-Base-Konzept von Brönsted vernünftig erklärt werden.

Quellen:

  1. RÖMPPs Chemie-Lexikon, 7. Auflage 1972
  2. Jäckel, Risch: Chemie heute Sek. II, Hannover 1988
  3. Wikipedia, Artikel "Svante Arrhenius"
  4. Binnewies et al., Allgemeine und anorganische Chemie, 3. Auflage, Springer-Verlag 2016.
  5. Hollemann, Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 102. Auflage, Berlin New York 2007.
  6. Riedel, Jannik: Anorganische Chemie, 7. Auflage, Berlin New York 2007
  7. Brock: Viewegs Geschichte der Chemie, Braunschweig 1997.
  8. Weyer: Geschichte der Chemie, Band 2 - 19. und 20. Jahrhundert. Berlin 2018.