Helmichs Biologie-Lexikon

Genommutation

Genommutationen sind Veränderungen der Chromosomenzahl eines Organismus.

Zum Begriff "Genommutation"

Graw bezeichnet Veränderungen der Chromosomenzahl in seinem Buch nicht als Genommutationen, sondern als numerische Chromosomenmutationen [Graw 2021 S. 499]. Die meisten anderen Autoren und auch die Schulbücher sprechen jedoch von Genommutationen, daher werden wir auch auf dieser Homepage diesen Begriff beibehalten.

Fusion und Spaltung von Chromosomen

Fusion von Chromosomen

In der Evolution der Säugetiere haben Chromosomenverschmelzungen (Fusionen) eine wichtige Rolle gespielt.

Fusion zweier Chromosomen
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Links im Bild sehen wir zwei akozentrische Chromosomen (Centromer am Ende), die dann zu einem metazentrischen Chromosomen (Centromer in der Mitte) verschmelzen. Diese Art der Chromosomenverschmelzung wird auch als Robertson-Translokation oder zentrische Fusion bezeichnet.

Spaltung von Chromosomen

Auch die Spaltung eines Chromosoms in zwei neue, kleinere Chromosomen ist schon beobachtet worden.

Spaltung eines Chromosoms
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Im oberen Beispiel wird das Chromosom am Centromer gespalten, hier kann man sich vorstellen, dass sich das Centromer einfach teilt und die beiden Tochterchromosomen ihre "halben" Centromere dann einfach regenerieren.

In der Humangenetik hat man inzwischen 70 Fälle von Chromosomenspaltungen beobachtet, bei denen es zu einer Neubildung der Centromere gekommen ist [Graw 2021, S. 499].

Ein weitere Problem bei der Spaltung von Chromosomen ist die Tatsache, dass die Telomere, also die Chromosomenenden, teilweise neu gebildet werden müssen:

Bildung neuer Telomere bei der Spaltung eines Chromosoms
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Entstehung von Trisomien und Monosomien

Eine Trisomie liegt vor, wenn ein Chromosom nicht in doppelter Ausführung vorliegt, sondern in dreifacher. Die bekannteste Trisomie beim Menschen ist die Trisomie 21, auch als Down-Syndrom bekannt. Bei einer Monosomie fehlt ein Chromosom. Beide Aneuploidien (so der Fachbegriff für Mono- und Trisomien oder allgemein für Hypo- und Hyperploidien) entstehen in erster Linie durch eine Nondisjunction während der Mitose oder Meiose.

Nondisjunction

Unter einer Nondisjunction versteht man

  1. die Nicht-Trennung von zwei homologen Chromosomen während der ersten Reifeteilung der Meiose
  2. die Nicht-Trennung von zwei Chromatiden eines Chromosoms während der Anaphase der Mitose
Nondisjunction

Auf dieser Lexikonseite erfahren Sie mehr über meiotische und mitotische Nondisjunctions und die Folgen einer solchen Genommutation wie Triosomien, Monosomien, Mosaikbildung oder Tumorentstehung.

Autosomatische Trisomien beim Menschen

Aneuploidien der Autosomen (alle Chromosomen außer den Geschlechtschromosomen) führen zu schweren Schädigungen des Organismus, oft sterben die betroffenen Individuen schon in der frühen Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt. Eine Ausnahme ist die bekannte Trisomie 21 (Down-Syndrom). Kinder mit Trisomien der Chromosomen 13 und 18 überleben zwar zunächst, sterben aber kurze Zeit nach der Geburt. Man spricht hier von dem Pätau-Syndrom (Trisomie 13) bzw. von dem Edwards-Syndrom (Trisomie 18). Lediglich Kinder mit einer Trisomie 21 haben eine relativ hohe Lebenserwartung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mutter ein Kind mit einer Trisomie zur Welt bringt, hängt übrigens vom Alter der Mutter ab. Bis zum Alter von 30 Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, ein Trisomie 21-Kind zur Welt zu bringen, geringer als 0,5%. Bei einer über 40 Jahre alten Mutter ist diese Wahrscheinlichkeit schon auf 4% gestiegen [Graw 2021, S. 744].

Gonosomatische Mono- und Trisomien beim Menschen

Mono- oder Trisomien der X- und Y-Chromosomen treten beim Menschen mit einer Häufigkeit von 1:5000 bis 1:1000 auf. Die bekanntesten Mono- oder Trisomien sind [1]:

Chromosomensatz Bezeichnung Häufigkeit
47, XXY Klinefelter-Syndrom 1:1000
47, XYY XYY-Syndrom 1:1000
47, XXX Triple-X-Syndrom 1:1000
45, X Turner-Syndrom 1:5000

Menschen mit dem Klinefelter-Syndrom (Trisomie) haben trotz der zwei X-Chromosomen einen männlichen Phänotyp (Penis, Hoden), sind aber oft steril und körperlich und geistig beeinträchtigt. Allerdings ist das Krankheitsbild variabel, und man geht davon aus, dass nur 25% der XXY-Menschen überhaupt diagnostiziert werden.

Menschen mit dem XYY-Syndrom (Trisomie) haben einen normal ausgeprägten männlichen Phänotyp. Da auf dem Y-Chromosom nur wenige Gene liegen, wirkt sich ein zusätzliches Y-Chromosom nicht besonders gravierend auf den Phänotyp aus.

Auch ein zusätzliches X-Chromosom (Triple-X-Syndrom) (Trisomie) hat meistens keine besonders gravierenden Auswirkungen für die Trägerin, außer vielleicht "gelegentlich auftretender Veranlagung zu mentaler Retardation" [Graw 2021, S. 747] .

Das Turner-Syndrom (Monosomie) ist recht selten. Der Phänotyp ist weiblich, "hat aber das Ausbleiben sexueller Reifung und damit Sterilität zur Folge" [Graw 2021, S. 747] . Dieses Syndrom ist eine Folge der Befruchtung mit einem Spermium, dem ein Geschlechtschromosom fehlt.

Polyploidien in der Pflanzenzucht

Polyploidisierung

Unter diesem Begriff versteht man die Vervielfachung des ganzen Chromosomensatzes, vor allem eine Verdopplung (2 n → 4n), Verdreifachung (2 n → 6n) oder Vervierfachung (2 n → 8n).

Werden nur ein oder ein paar Chromosomen vervielfacht, spricht man dagegen von einer Aneuploidisierung. Trisomien und Monosomien sind bekannte Beispiele für solche Aneuploidisierungen.

Polyploidien sind in der Natur weit verbreitet, vor allem bei Pflanzen. Aber auch bei der Evolution der Wirbeltiere haben Polyploidisierungen vermutlich eine große Rolle gespielt.

In der Pflanzenzucht haben Polyploidisierungen eine große Rolle gespielt. Viele bekannte Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen stammen von kleinen, kümmerlichen Wildformen ab, bei denen man sich wirklich fragt, wie die Menschen vergangener Jahrtausende davon überhaupt satt werden konnten. Durch eine zufällige Verdopplung oder Vervierfachung des Chromosomensatzes entstanden dann aber die wesentlich größeren und kräftigeren Kultursorten.

Hier ein paar Beispiele für Polyploidien bei Kulturpflanzen [Graw 2021, S. 501]:

Pflanze Ursprüngliche
Chromosomenzahl (2n)
Heutige
Chromosomenzahl (2n)
Ploidiewert
Pflaume 16 48 3
Erdbeere 14 56 4
Brotweizen 14 42 3
Hartweizen 14 28 2
Kartoffel 24 48 2

Polyploidien bei Pflanzen haben meistens nur Vorteile, seltener Nachteile. Die polyploiden Pflanzen sind größer, widerstandsfähiger und genetisch variabler. Das kommt vor allem der Anpassung an verschiedene Selektionsfaktoren entgegen. Wenn man als Pflanze nicht nur zwei Allele eines bestimmten Gens hat, sondern vier oder sechs oder sogar acht, können schädliche Mutationen eines solchen Allels leichter durch die anderen drei, fünf oder sieben Allele kompensiert werden. Auch stehen zusätzliche Allele für "evolutionäre Experimente" zur Verfügung. Es können Eigenschaften entwickelt werden, die vielleicht später einmal den Nachkommen in einer veränderten Umwelt zugutekommen.

Aus all diesen Gründen hat sich eine gezielte Polyploidisierung auch in der Pflanzenzucht durchgesetzt. Mit Chemikalien wie Colchizin können sogar künstliche Polyploidien erzeugt werden.

Colchizin verhindert das Auseinanderziehen der Chromosomen während der Anaphase der Mitose. Die Chromosomen bleiben in einer Zelle, die dann den doppelten Chromosomensatz hat.

Genommutationen und sympatrische Artbildung

Bei der sympatrischen Artbildung spielen Genommutationen, vor allem Polyploidien, eine wichtige Rolle. Wenn in einer diploiden Tier- oder Pflanzenart plötzlich Individuen mit drei- oder vierfachem Chromosomensatz entstehen, so können sich diese Individuen nicht mehr fruchtbar mit nicht-mutierten Artgenossen fortpflanzen, wohl aber untereinander. Über Nacht sind sozusagen zwei verschiedene Arten entstanden, zwischen denen eine reproduktive Barriere besteht.

Quellen, die über allgemeines Schulbuchwissen hinaus gehen:

  1. Jochen Graw: Genetik, 7. Auflage, Springer Spektrum, Berlin 2021.
  2. Alfred Nordheim, Rolf Knippers: Molekulare Genetik, 11. Auflage, Thieme-Verlag Stuttgart 2018.
  3. Rolf Knippers: Eine kurze Geschichte der Genetik, 2. Auflage, Springer-Verlag 2017.