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RNA-Interferenz durch micro-RNAs

Die miRNAs (micro-RNAs) haben eine ähnliche Funktion wie die siRNAs, auch sie spielen eine Schlüsselrolle bei der RNA-Interferenz. Entdeckt wurden die miRNAs bereits 1993, also fünf Jahre bevor Andrew Fire und Craig Mellow die RNA-Interferenz durch siRNAs entdeckten.

RNA-Interferenz durch siRNAs

Lesen Sie zunächst diese Seite, falls Sie die Bedeutung der siRNAs für die RNA-Interferenz noch nicht kennen.

Es stellte sich heraus, dass sich diese sehr kurzen RNA-Stücke an bestimmte Regionen der mRNA anlagern und so deren Transkription verhindern. Heute kennt man die zugrunde liegenden Mechanismen etwas genauer, im Prinzip laufen sie ähnlich ab wie die RNA-Interferenz durch siRNAs. Es gibt allerdings ein paar wesentliche Unterschiede zum siRNA-System, die im folgenden hier erläutert werden.

Gezielte Synthese von miRNAs

Während siRNAs wahrscheinlich hauptsächlich zur Abwehr von Viren-DNA und -RNA entstanden sind, werden miRNAs gezielt von den Zellen produziert. Es gibt zahlreiche eigene miRNA-Gene, die im Zellkern von der RNA-Polymerase transkribiert werden. So entstehen die Vorläufer der miRNAs, die als pri-miRNAs bezeichnet werden (primary miRNA).

Die eine Hälfte dieser miRNA-Gene sitzt "ganz normal" auf der DNA zwischen anderen Genen und werden als intergenische miRNA-Gene bezeichnet. Die andere Hälfte der miRNA-Gene befindet sich dagegen in Introns, diese Gene werden dann als intronische miRNA-Gene bezeichnet.

Die pri-miRNAs sind lange RNA-Moleküle mit einer oder mehreren Haarnadelschleifen, enthalten also auch doppelsträngige Bereiche. Die Haarnadelschleifen werden dann von dem Enzym Drosha (eine RNAase) abgespalten. Aus der pri-miRNA entsteht die kürzere pre-miRNA.

Durch ein bestimmtes Transportprotein gelangt diese pre-miRNA (Vorläufer miRNA) aus dem Zellkern hinaus in das Cytoplasma.

Das Enzym Dicer kennen wir bereits von der Prozessierung der siRNA her (siehe RNA-Interferenz). Dieses Enzym spaltet die Haarnadelschleifen so, dass eine doppelsträngige RNA entsteht, die ungefähr 21 Basenpaar umfasst. Anschließend wird die doppelsträngige RNA entwunden, und der Leitstrang (also einer der beiden Einzelstränge) ist dann die fertige miRNA. Genau wie bei den siRNAs wird der andere Strang abgebaut.

Keine vollständige Komplementarität

Genau wie die siRNAs werden die miRNAs nun von dem Proteinkomplex RISC aufgenommen. Die siRNA steuert den Komplex nun zu einer "einigermaßen" komplementären mRNA. Während siRNAs zu 100% komplementär zu der angesteuerten mRNA sind, reicht bei dem miRNAs eine teilweise Komplementarität. Nur die Nucleotide 2 bis 8 der miRNA müssen sich vollständig mit der mRNA paaren.

Mehrere Aufgaben

Der siRNA-RISC-Komplex zerlegt die angesteuerte mRNA vollständig. Bei den miRNA-RISC-Komplexen gibt es mindestens zwei verschiedene Möglichkeiten, wie mit der mRNA umgegangen wird:

Arbeitsweise der miRNAs
Kelvinsong, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

  1. Hier sehen wir eine RNA-Haarnadelschleife, die gerade den Zellkern über das Exportprotein Exportin-5 verlassen hat.
  2. Das Dicer-Enzym schneidet die Haarnadelschleife zurecht, übrig bleibt eine immer noch doppelsträngige RNA. Im Bild nicht gezeigt ist das Aufspalten des Doppelstrangs in zwei Einzelstränge, den Leitstrang und den Begleitstrang. Der Leitstrang bindet sich nun an den RISC-Komplex. Die Argonaut-Untereinheit dieses Komplexes spielT dabei eine besondere Rolle.
  3. In Pflanzenzellen ist es nun so, dass sich die miRNA komplett mit einem Teil der mRNA paart. Die Folge dieser vollständigen Paarung ist ein Abbau der mRNA durch den RISC-Komplex.
  4. In Tierzellen ist die Paarung zwischen miRNA und mRNA nicht vollständig (partielle Komplementarität).
  5. Als Folge wird in Tierzellen erstens die Translation direkt blockiert, weil ja der große RISC-miRNA-Komplex auf der mRNA sitzt, und zweitens wird der Poly(A)-Schwanz der mRNA abgebaut, so dass auch ohne den RISC-miRNA-Komplex keine Translation möglich wäre [1, 2].

Insgesamt gibt es mehrere Tausend miRNAs in den Zellen der Säugetiere einschließlich des Menschen. Man nimmt an, dass sie die Zelldifferenzierung mit steuern. Als man eine miRNA, die hauptsächlich in Nervenzellen vorkommt, in eine andere Zelle verpflanzte, entwickelte diese Zelle Eigenschaften, die einer Nervenzelle ähneln [1].

Auch bei der Entstehung von Krebs scheinen miRNAs eine Rolle zu spielen, die Gene dieser miRNAs gehören also zu den Onkogenen (Krebs auslösende Gene). Andere miRNAs wiederum verhindern die Bildung von Krebszellen, die Gene dieser miRNAs gehören damit zu den Tumorsuppressor-Genen [1].

miRNAs und Viren

Auch manche Viren besitzen miRNAs. Damit können sie die Immunabwehr ihrer Wirtszellen lahmlegen. Die viralen miRNAs binden dazu an die mRNAs der Wirtszelle, die für Abwehrproteine gegen Viren codieren. Dadurch wird die Translation dieser Abwehrproteine verhindert.

Die Evolution der Lebewesen ist meistens eine Coevolution. Blütenpflanzen und Bestäuber entwickeln sich gemeinsam, Raubtiere und ihre Beute passen sich immer wieder gegenseitig an, und auch im Kampf gegen Viren findet eine solche Coevolution statt. Viele Pro- und Eukaryoten haben miRNAs entwickelt, die sich an virale mRNAs legen und diese unschädlich machen [1].

Quellen und Literatur-Empfehlungen, die über allgemeines Schulbuchwissen hinausgehen:

  1. Alfred Nordheim, Rolf Knippers: Molekulare Genetik, 11. Auflage, Thieme-Verlag Stuttgart 2018.
  2. engl. Wikipedia, Artikel "microRNA".