Helmichs Chemie-Lexikon

Mesomerie

Mesomerie ist die "Bezeichnung dafür, dass eine real existierende Struktur durch Kombination von $\psi$-Funktionen nicht existierender Grenzstrukturen beschrieben wird" [1].

Die Struktur des Moleküls kann nicht durch eine einzige Strukturformel wiedergegeben werden. Sie kann durch mehrere alternative Strukturformeln beschrieben werden, die als Grenzstrukturen bezeichnet werden. Die "wirkliche" Struktur muss man sich dann als Überlagerung dieser Grenzstrukturen vorstellen. So wird es auch im Lexikon der Chemie des Spektrum-Verlags beschrieben:

"Der Grundzustand dieser Moleküle wird durch Überlagerung der angebbaren Valenzstrichformeln (mesomere GrenzstrukturenValenzstrukturen) beschrieben. Die Grenzstrukturen stellen keine real existierenden Zustände des Moleküls dar, sondern dienen lediglich als Hilfsmittel, um die wirkliche Elektronenstruktur zu veranschaulichen" [2].

Beispiel Benzol-Molekül

Das wohl bekannteste Beispiel für Mesomerie ist das Benzol-Molekül.

Die beiden Grenzstrukturen des Benzols

Die beiden Grenzstrukturen des Benzols

Die Position der sechs C- und H-Atome ist in beiden Grenzstrukturen exakt die gleiche, nur die Lage der Doppelbindungen unterscheidet sich.

Früher glaubte man tatsächlich, dass die drei Doppelbindungen im Benzol-Moleküle mehrere 1000 mal pro Sekunde "umklappen" (Oszillations-Hypothese von Kekulé, 1872 [3]). Heute weiß man, dass beide Strukturen gleichzeitig existieren, die "wahre" Benzol-Struktur ist eine Überlagerung dieser beiden Grenzstrukturen. Auf der Seite über den aromatischen Charakter des Benzols habe ich dieses Thema weiter ausgeführt. Zum Verständnis der Mesomerie sollte man unbedingt das Orbital-Modell kennen, zu dem Sie auch ausführliche Seiten auf meiner Homepage finden.

Für Experten eine ganz kurze Erklärung:
Alle sechs C-Atome des Benzolrings sind sp2-hybridisiert, und die pz-Orbitale des Ringes überlappen sich, so dass sich die pi-Elektronen frei in diesem System aus sechs pz-Orbitalen bewegen können, sie sind delokalisiert. C-C-Einfachbindungen und C=C-Doppelbindungen gibt es im Benzolring nicht, alle sechs Bindungen sind gleichwertig. Die beiden Grenzstrukturen stellen quasi zwei "Extrempositionen" dar, in denen sich die Elektronen aufhalten können.

 

Beispiel Carboxylat-Ion

Das Carboxylat-Ion wie es zum Beispiel beim Natriumsalz der Essigsäure auftritt kommt ebenfalls in zwei Grenzstrukturen vor. Die C=O-Doppelbindung klappt nicht 1000 mal pro Sekunde um, sondern beide Grenzstrukturen existieren gleichzeitig, die "wahre" Struktur liegt irgendwo dazwischen.

Mesomerie des Carboxylat-Ions, zwei Grenzstrukturen

Die beiden Grenzstrukturen des Carboxylat-Ions

Die negative Ladung ist nicht lokalisiert, sondern mehr oder weniger gleichmäßig auf die drei Atome O - C - O aufgeteilt, mit Schwerpunkt allerdings bei den beiden O-Atomen, weil diese eine höhere Elektronegativität besitzen als das C-Atom. Der Doppelpfeil in den beiden Abbildungen ist übrigens der Mesomeriepfeil. Er darf nicht verwechselt werden mit einem doppelten Pfeil, der eine Gleichgewichtsreaktion kennzeichnet.

 

Beispiel Phenol-Molekül

Man darf jetzt nach diesen beiden Beispiel nicht denken, dass es immer genau zwei Grenzstrukturen eines Moleküls gibt. Viele Moleküle sind sehr einfach aufgebaut und existieren tatsächlich nur in einer Struktur. Andere Moleküle wie das Phenol-Molekül sind komplexer aufgebaut und existieren in mehr als zwei Grenzstrukturen:

Die fünf Grenzstrukturen des Phenol-Moleküls

Die fünf Grenzstrukturen des Phenol-Moleküls

Das Phenol zeichnet sich durch fünf Grenzstrukturen aus, die sich überlagern. Zwei Grenzstrukturen (ganz links und ganz rechts) ergeben sich ähnlich wie beim Benzol-Molekül durch Überlappen der sechs pz-Orbitale. Die drei mittleren Grenzstrukturen ergeben sich ebenfalls durch Überlappen der sechs pz-Orbitale und durch eine zusätzliche Ladungstrennung.

Das O-Atom kann in den sp2-hybridisierten Zustand wechseln und dann quasi eine Doppelbindung zum benachbarten C-Atom aufbauen, die natürlich keine echte lokalisierte C=O-Doppelbindung ist, sondern eine Folge der überlappenden pz-Orbitale. Wie dem auch sei, jedenfalls erhält das O-Atom dadurch eine positive Ladung, während sich im Benzolring eine negative Ladung bildet.

Allerdings konzentriert sich diese negative Ladung auf drei der sechs C-Atome des Benzolrings, nämlich auf die C-Atome in ortho- und para-Stellung. Es gibt keine Grenzstruktur, bei der sich die negative Ladung in meta-Stellung aufhält. Eine solche Grenzstruktur, wenn es sie denn gäbe, hätte ein fünfbindiges C-Atom und ein dreibindiges C-Atom:

siehe folgenden Text

Eine nicht mögliche Grenzstruktur des Phenols

Wichtige Regel

Je mehr Grenzstrukturen es von einem Molekül gibt, desto stabiler ist dieses Molekül.

Das sieht man auch an der Mesomerieenergie!

Quellen:

  1. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992, Artikel "Mesomerie"
  2. Lexikon der Chemie, Spektrum-Verlag 1998, Artikel "Mesomerie"
  3. Lexikon der Chemie, Spektrum-Verlag 1998, Artikel "Benzol"