Salopp formuliert, könnte man sagen, "Die Freie Energie ist ein direktes Maß für die Entropieänderung des Weltalls". So steht es zumindest in dem Lehrbuch von Alberts et al.
Eine chemische Reaktion läuft nur dann spontan (und freiwillig) ab, wenn die damit verbundene Veränderung der freien Energie ΔG negativ ist, wenn also ΔG < 0 gilt.
Freie Energie, Reaktionsenthalpie und Entropie
Zwischen der freien Energie ΔG, der Reaktionsenthalpie ΔH und der Entropieänderung ΔS besteht folgender wichtiger Zusammenhang:
$\Delta G = \Delta H - T \cdot \Delta H$
Ist die Reaktionsenthalpie ΔH negativ, so kann die Reaktion spontan ablaufen, muss aber nicht! Wenn nämlich bei der Reaktion die Entropie abnimmt, ΔS also negativ ist, so wird der Term -T * ΔS positiv. Und wenn T * ΔS einen größeren Wert hat als ΔH, dann wird (wegen des Minuszeichens!) auch ΔG positiv, und die Reaktion kann nicht mehr spontan ablaufen.
Würde die Reaktion spontan ablaufen, dann würde die Entropie des Universums kleiner, und das ist nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik nicht möglich, nach dem die Entropie des Universums stets größer wird.
Auch die Temperatur, bei der die Reaktion abläuft, spielt eine entscheidende Rolle. Ist die Entropieabnahme ΔS nämlich nur sehr klein, so kann der Term -T * ΔS immer noch größer werden als ΔH, wenn nämlich die Temperatur sehr hoch ist.
Beispiel aus der Chemie
Wieso lösen sich viele Salze und auch organische Verbindungen wie Zucker so leicht in Wasser? Beim Auflösen eines festen Stoffes in einem Lösemittel nimmt die Entropie des Systems stark zu, der Term -T * ΔS wird also negativ. Selbst wenn das Auflösen des Stoffs eine endotherme Reaktion mit ΔH > 0 ist, führt die starke Entropiezunahme zu einer spontan ablaufenden Reaktion mit ΔG < 0. Solche Reaktionen, bei denen ΔG < 0 ist, werden übrigens als exergonisch bezeichnet (das Gegenteil wäre dann endergonisch).
Freie Energie und Gleichgewichtskonstante
Bei einer Gleichgewichtsreaktion A ⇌ B ist die freie Energie von den Konzentrationen des Eduktes A und des Produktes B abhängig, und zwar gilt folgende Beziehung:
$\Delta G = \Delta G ^{0} + RT \ \ ln \frac{[B]}{[A]}$
oder
$\Delta G = \Delta G ^{0} + RT \ \ ln \ K$
mit K = Gleichgewichtskonstante und ΔG0 = Änderung der freien Energie unter Standardbedingungen.
Beispiel aus der Chemie
Bei der Gleichgewichtsreaktion A ⇌ B ist zu Beginn der Reaktion das Edukt A im Überschuss vorhanden. Der Term $\frac{[B]}{[A]}$ hat also einen sehr kleinen Wert, und der natürliche Logarithmus $ln \ \frac{[B]}{[A]}$ ist ziemlich negativ. Damit ist auch der gesamte Term $RT \ \ ln \frac{[B]}{[A]}$ stark negativ, und das führt dazu, dass $\Delta G$ ebenfalls sehr negativ ist. Die Triebkraft für die Reaktion ist also sehr groß, und daher reagiert A zu Beginn der Reaktion sehr intensiv zu B. Die Geschwindigkeit der Hinreaktion ist deutlich größer als die der Rückreaktion.
Das Ganze könnte man jetzt auch rein kinetisch erklären. Wenn beispielsweise die A-Teilchen zusammenstoßen müssen, um zu B-Teilchen zu reagieren, und wenn umgekehrt B-Teilchen zusammenstoßen müssen, um zu A-Teilchen zurück zu reagieren, dann ist bei niedrigen Produkt-Konzentrationen [B] die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Stoßes natürlich extrem klein, und daher ist die Geschwindigkeit der Rückreaktion ebenfalls sehr gering.
Je mehr Produkt B aber entsteht, desto größer wird der Term $\frac{[B]}{[A]}$. Wenn nach einige Zeit genau so viel B vorhanden ist wie A, dann gilt: $ln \frac{[B]}{[A]} = 0$. In diesem Fall gilt $\Delta G = \Delta G^{0}$.
Die tatsächlichen Konzentrationen der Edukte und Produkte spielen dabei keine Rolle, wenn [A] = [B] ist. Wenn [A] = [B] = 0,02 mol/l ist, dann hat der Quotient den Wert 1, und wenn [A] = [B] = 2,42 mol/l ist, hat der Quotient ebenfalls den Wert 1. Beides wäre so, als hätten [A] und [B] den Wert 1 mol/l, und genau das entspricht ja den Standardbedingungen.
Wenn die Reaktion noch weiter fortschreitet, so dass jetzt [B] > [A] ist, dann wird der Wert von $\frac{[B]}{[A]}$ größer als 1, und der Logarithmus wird positiv, und der ganze Term $RT \ \ ln \frac{[B]}{[A]}$ ebenfalls. Ab einer bestimmten Konzentration von B ist schließlich ein Zustand erreicht, bei dem der Wert von $RT \ \ ln \frac{[B]}{[A]}$ genau so groß ist wie der Wert von $\Delta G^{0}$. Jetzt ist $ \Delta G = 0$, und der Gleichgewichtszustand ist erreicht.
Oder wie in [1] treffend zusammengefasst wird: "Der Wert von Delta G einer Reaktion ist ein direktes Maß für die Entfernung dieser Reaktion vom Gleichgewicht."
Quellen:
- Bruce Alberts et al. Molekularbiologie der Zelle, 6. Auflage, Weinheim 2017.