Helmichs Biologie-Lexikon

Non-Disjunction

Genommutationen sind Veränderungen der Chromosomenzahl eines Organismus. Polyploidien sind eine spezielle Form der Genommutationen, bei der sich der Chromosomensatz einer Art plötzlich verdoppelt oder verdreifacht; aber auch andere numerische Chromosomenmutationen sind möglich; aus einem diploiden Satz 2n-Satz wird dann ein trisomischer 2n+1 Satz oder ein monosomischer 2n-1-Satz. Ursache für solche Aneuploidien sind oft sogenannte Non-Disjunctions.

Non-Disjunction

Unter einer Non-Disjunction versteht man eine Nicht-Auftrennung der gepaarten homologen Chromosomen während der Meiose.

Meiotische Non-Disjunction (1. Reifeteilung)
Beschreibung siehe folgenden Text

Normale Keimzellenbildung und Keimzellenbildung mit Non-Disjunction während der 1. Reifeteilung
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Während der Metaphase der ersten meiotischen Reifeteilung paaren sich die homologen Chromosomen. Chromosom Nr. 1 vom Vater (blau) legt sich mit Chromosom Nr. 1 der Mutter (rot) zusammen und so weiter. In der Abbildung sind nur drei Chromosomenpaare eingezeichnet.

In der Anaphase der 1. Reifeteilung trennen sich die homologen Chromosomen und werden auf die beiden Tochterzellen verteilt.

In unserem Beispiel in der obigen Abbildung erfolgt nun bei dem mittleren Chromosomenpaar eine Nicht-Trennung, eine Non-Disjunction (oder Nondisjunction). Beide homologen Chromosomen bleiben in der einen Tochterzelle, während die andere Tochterzelle kein mittleres Chromosom enthält.

Entstehung einer Trisomie
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Auf diesem Bild sehen wir, wie sich eine Keimzelle mit zwei mittleren Chromosomen mit einer normalen Keimzelle zu einer Zygote vereinigt. Die Folge ist eine Trisomie, die Zygote verfügt über drei mittlere Chromosomen.

Entsprechend entsteht eine Monosomie, wenn sich eine Keimzelle ohne mittleres Chromosom mit einer normalen Keimzelle vereinigt.

Beide Genommutationen, Trisomien und Monosomien, fasst man unter dem Begriff Aneuploidie zusammen.

Mitotische Nondisjunction

Neben Nondisjunctions in der 1. Reifeteilung gibt es dieses Phänomen auch in der 2. Reifeteilung. Da es sich bei der 2. Reifeteilung streng genommen um eine modifizierte Mitose handelt, gehört dieser Vorgang eigentlich schon in die Kategorie "mitotische Nondisjunction".

Auch bei einer "richtigen" Mitose kann es zu Nondisjunctions kommen. Betrachten wir dazu das nächste Bild:

Eine mitotische Nondisjunction
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Während der Anaphase der Mitose wird das dritte Chromosom "von oben" nicht in seine beiden Chromatiden zerlegt, das komplette 2-Chromatid-Chromosom verbleibt in der einen Tochterzelle, während die andere Tochterzelle leer ausgeht. Nach der nächsten S-Phase (Synthese-Phase, in der die DNA-Replikation stattfindet und aus den 1-Chromatid-Chromosomen wieder die "normalen" 2-Chromatid-Chromosomen werden) haben wir eine normal ausgestattete 2n-Zelle sowie eine 2n-1 Zelle mit einem fehlenden Chromosom.

Die Folgen einer mitotischen Nondisjunction sind meistens nicht so gravierend wie die Folgen einer meiotischen Nondisjunction. Man spricht dann von einer somatischen Mutation, da ja nur Körperzellen betroffen sind, nicht aber Keimbahnzellen.

Eine Mosaik-Tulpe
Autor und Lizenz: Paddlestroke, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Einige Körperzellen besitzen diese Genommutation, andere Körperzellen nicht. Ein schönes Beispiel ist die Mosaik-Tulpe in der obigen Abbildung [3]. Die Hälfte der Zellen besitzt einen normalen 2n-Chromosomensatz, die andere Hälfte ist von der 2n-1-Mutation betroffen.

Auch bei der Entstehung bestimmter Krebsarten sollen Nondisjunctions eine Rolle spielen können [2]:

Ausfall eines Tumor-Supressor-Gens durch mitotische Nondisjunction
Autor und Lizenz: Wpeissner, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Tumor-Supressor-Gene sind Gene, "deren Produkte die unkontrollierte Teilung genomisch geschädigter Zellen unterdrücken und dadurch die Entstehung von Tumoren verhindern können." [4]. Ein bekanntes Tumor-Supressor-Gen ist beispielsweise das Gen für das Protein p53. Hierbei handelt es sich um einen Transkriptionsfaktor, der bei Schädigung der DNA aktiviert wird. Sobald p53 aktiviert ist, leitet er die Expression weiterer Enzyme ein, die dann den entstehenden Tumor bekämpfen, zum Beispiel durch gezielte Apoptosen ("Selbstmord" der Zellen).

In dem obigen Bild aus der engl. Wikipedia sehen wir links ein homologes Chromosomenpaar mit Tumor-Supressorgenen. Durch eine spontane Mutation fällt nun eines der beiden Gene aus (2. Bild). An sich wäre das nicht schlimm, denn auf dem homologen Chromosom ist das Gen ja noch intakt, so dass das Genprodukt weiterhin gebildet werden kann und Tumor unterdrückende Prozesse in Gang setzen kann.

Kommt es nun aber zu einer mitotischen Nondisjunction, so können Tochterzellen entstehen, die das "gesunde" Chromosom gar nicht mehr besitzen. Die Nachkömmlinge dieser Zellen sind dann nicht mehr gegen Tumore geschützt [3].

Quellen:

  1. Jochen Graw: Genetik, 7. Auflage, Springer Spektrum, Berlin 2021.
  2. engl. Wikipedia, Artikel "nondisjunction"
  3. engl. Wikipedia, Artikel "mosaic (genetics)".
  4. DocCheck Flexikon, Artikel "Tumorsuppressorgen"