Helmichs Biologie-Lexikon

Natriumkanal, spannungsgesteuert

Das einfache Modell reicht nicht aus

Auf der Seite "Passiver Transport durch Kanalproteine", die hauptsächlich für Schüler(innen) der Stufe EF gedacht sind, wird die Funktionsweise eines spannungsgesteuerten Ionenkanals recht einfach beschrieben.

Einfaches Modell

Hier können Sie sich das einfache Modell eines spannungsgesteuerten Ionenkanals noch einmal ansehen.

Ganz so einfach wie in dem auf dieser Seite dargestellten Funktionsmodell ist der richtige spannungsgesteuerte Natrium-Kanal leider nicht aufgebaut. Außerdem muss man dazu sagen, dass es nicht nur einen spannungsgesteuerten Natrium-Kanal gibt, sondern eine ganze Reihe verschiedener Na+-Kanäle.

In der englischen Wikipedia werden neun verschiedene spannungsgesteuerte Natrium-Kanäle aufgelistet, die dann als NaV1.1 bis NaV1.9 bezeichnet werden. Der Index V steht für "voltage gated", auf Deutsch so viel wie "spannungs-geöffnet". Die Ziffern beziehen sich auf die Gene, welche die Kanalproteine codieren. Alle Gene gehören zur Genfamilie 1, und innerhalb dieser Genfamilie gibt es neun verschiedene Gene, die sich aber alle ziemlich ähneln.

Spannungsgesteuerter Natrium-Kanal

Schematische Darstellung der vier Domänen I bis IV eines spannungsgesteuerten Natriumkanals
Autor: Ulrich Helmich 2021, Lizenz: siehe Seitenende.

Was sehen wir hier? Der hier abgebildete spannungsgesteuerte Natrium-Kanal ist ein Protein, das aus vier Domänen besteht, also vier Abschnitten oder Funktionsbereichen. Jede dieser Domänen I, II, III und IV besteht aus sechs Alpha-Helices. Die sechs Helices einer Domäne sind durch einfache Peptidketten miteinander verbunden, ebenso wie die vier Domänen. Diese Peptidketten wurden in der Zeichnung sehr stark vereinfacht dargestellt, in Wirklichkeit sind sie unterschiedlich lang und teils auch sehr verschlungen.

Die vier Domänen ähneln sich in ihrer Struktur auf verblüffende Weise. Man nimmt daher an, dass sie von einem Gen codiert werden, das ursprünglich durch mehrfache Genduplikation aus einem Vorgänger-Gen entstanden ist. Bei Bakterien besteht ein spannungsgesteuerter Natrium-Kanal nämlich aus vier Untereinheiten, die von vier verschiedenen (aber sich stark ähnelnden) Genen codiert werden. Bei Eukaryoten wird der Kanal dagegen von einer einzigen Proteinkette gebildet, die von einem Gen codiert wird, das aber vier Domänen besitzt. Im Laufe der Evolution scheint es also zu einer Verschmelzung der vier Gen-Kopien zu einem einzigen Gen gekommen zu sein [1]. Überhaupt ähneln sich die Strukturen aller spannungsgesteuerter Ionenkanäle stark. Auch spannungsgesteuerte Kalium- und Calcium-Kanäle haben eine homologe Struktur, scheinen also alle von einem Ur-Gen bzw. Ur-Kanal abzustammen, die bereits bei Prokaryoten anzutreffen ist, also sehr alt ist. Genduplikationen und alternatives Spleißen haben bei der Evolution der Kanäle offensichtlich eine große Rolle gespielt.

Das Interessante an dieser Struktur: Jeweils eine der sechs Helices (stets die vierte) ist positiv geladen, in der Abbildung sind diese Helices violett gezeichnet. Diese positiven Ladungen werden meistens durch NH3+-Gruppen in den Seitenketten von basischen Aminosäuren wie Lysin oder Arginin erzeugt. Diese vier Helices bilden zusammen den Spannungssensor des Natriumkanals.

Der zelleinwärts gerichtete Pfeil zwischen den Helices 5 und 6 deutet an, dass diese Helices die eigentliche Pore für die Natrium-Ionen bilden.

Die hellgrüne Kugel in der Peptidkette zwischen den letzten beiden Domänen stellt das Inaktivierungstor dar, also den "Propfen", der den Natriumkanal von innen verschließen kann.

Natürlich ist der Kanal in Wirklichkeit nicht so angeordnet wie auf dem obigen Bild. Auf der Zeichnung hat man das lange Protein quasi auseinandergezogen. Ich habe mal versucht, den Natrium-Kanal in der Aufsicht schematisch darzustellen.

pannungsgesteuerter Natriumkanal von oben gesehen

Spannungsgesteuerter Natriumkanal von oben gesehen
Autor: Ulrich Helmich 2021, Lizenz: siehe Seitenende.

Die vier Domänen des Kanal-Proteinssind so angeordnet, dass sie einen hydrophilen Kanal ins Zellinnere bilden, durch den Natrium-Ionen, nicht aber Kalium-Ionen oder andere Ionen passen. Die Größenverhältnisse in dieser Graphik sind wahrscheinlich nicht ganz korrekt, aber das sollte uns jetzt nicht stören.

Die drei Zustände eines spannungsgesteuerten Natriumkanals

siehe folgenden Text

Ein spannungsgesteuerter Natriumkanal im geschlossenen Zustand
Autor: Ulrich Helmich 2021, Lizenz: siehe Seitenende.

Auf dieser Zeichnung - inspiriert durch die Darstellung auf der Chemgapedia - sieht man einen spannungsgesteuerten Natriumkanal während des Ruhezustandes einer Nervenzelle.

Der Natriumkanal besitzt vier wichtige Funktionselemente, die wir jetzt von oben nach unten betrachten:

  1. Selektivitätsfilter - das ist quasi das "aktive Zentrum" des Natriumkanals. Hier muss sich das Natrium-Ion nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip hineinsetzen, um weiterbefördert zu werden. Andere Kationen können diesen Selektivitätsfilter nicht passieren, wegen ihrer Größe oder wegen ihrer Ladung.
  2. Spannungssensor - das sind die weiter oben besprochenen positiv geladenen Aminosäuren. Die Gruppe von Aminosäuren, durch den roten Kasten dargestellt, ist beweglich in den Natriumkanal eingelagert. Wenn die Membraninnenseite stark negativ geladen ist, wie zum Beispiel im Ruhezustand, dann befindet sich diese Gruppe weiter "unten", also näher zur Innenseite der Membran. Ist die negative Ladung der Membraninnenseite nicht so stark, dann "rutscht" der Spannungssensor weiter nach "oben", also in Richtung Außenseite.
  3. Pore oder Tor - das eine eine Verengung des Kanals, die das Ion passieren muss. Die Aminosäuren dieses Tors sind mit dem Spannungssensor mechanisch verbunden (über weitere Aminosäuren). Wenn der Spannungssensor nach "oben" wandert, dann werden die Aminosäuren des Tors weiter auseinander gezogen, und das Tor öffnet sich. Das ist aber auf der nächsten Abbildung besser dargestellt.
  4. Inaktivierungstor - Dieser "Pfropfen" kann den Kanal auf der Membraninnenseite komplett verschließen. Wie und wann das passiert, sehen wir auf der nächsten Abbildung.
siehe folgenden Text

Die drei Phasen eines spannungsgesteuerten Natriumkanals
Autor: Ulrich Helmich 2021, Lizenz: siehe Seitenende.

Ein spannungsgesteuerter Natriumkanal der Axonmembran kann in drei Zuständen vorkommen:

  1. Geschlossen: Im diesem Zustand ist das Tor bzw. die eigentliche Pore des Natriumkanals zu. Die Natrium-Ionen können zwar den Selektivitätsfilter passieren (kleine Dreiecke in dem Schema), das Tor ist aber verschlossen. Dieser Zustand liegt vor, wenn an der Membran des Axons ein Membranpotenzial von -70 mV herrscht. Hier ist der geschlossene Zustand die energetisch günstigste Konformation des Kanal-Proteins.
  2. Offen: Bei einer Depolarisierung der Membran auf ca. -50 mV(1) schwächt sich die negative Ladung auf der Membraninnenseite ab. Der Spannungssensor wird nicht mehr so stark von der Innenseite angezogen und "wandert" nach oben. Da der Spannungssensor mechanisch mit den Torflügeln (kleine Quadrate) verbunden ist, öffnet sich das Tor, und Natrium-Ionen können mit dem Konzentrationsgefälle nach innen diffundieren. Allerdings müssen die Natrium-Ionen zunächst ihre Hydrathülle "abgeben", wie in der Zeichnung auch angedeutet. Im depolarisierten Zustand ist die geöffnete Konformation des Kanals energetisch günstiger als die geschlossene Konformation. Allerdings gibt es eine Konformation, die energetisch noch günstiger ist, nämlich die inaktivierte Konformation.
  3. Inaktiviert: Die inaktive Konformation ist die energetisch günstigste bei der depolarisierten Membran. Daher geht die offene Konformation nach kurzer Zeit in diese inaktive Konformation über, bei der das Inaktivierungstor den Kanal verschließt. Natrium-Ionen können erst dann wieder den Kanal passieren, wenn die Membran repolarisiert ist, wenn also das Ruhepotenzial wieder herrscht. Dann geht die inaktive Konformation in die aktive aber geschlossene Konformation über.

Quellen:

  1. Alberts, Bruce et al. Molekularbiologie der Zelle, 6. Auflage, Weinheim 2017.
  2. engl. Wikipedia, Artikel "Sodium channel".