Biologie > Ökologie > Autökologie > Endo/Ektothermie

Ektotherme in kalten Biotopen

Allgemeines

Man sollte meinen, ektotherme Tiere können kalte Lebensräume nicht besiedeln, da sie ja auf die äußere Zufuhr von Wärme angewiesen sind und keine eigene Körperwärme produzieren können. Dennoch gibt es sehr viele Wirbellose (Insekten, Spinnen etc.) sowie Amphibien und Reptilien, die in kalten Gegenden überleben. Wie machen diese Tiere das bloß, könnte man sich nun fragen.

Das Hauptproblem in kalten Gegenden ist die Gefahr der Vereisung. Wenn das intrazelluläre Wasser, also das Wasser in den Körperzellen gefriert, ist das sehr gefährlich. Die Eiskristalle zerstören die Zellmembranen, das Zellplasma kann ausströmen, und die Zellen sterben.

Eine einfache und nahe liegende Strategie zur Lösung dieses Problems ist der Einsatz von Gefrierschutzmitteln. Bestimmte chemische Verbindungen in den Zellen verhindern zwar nicht ein Gefrieren, setzen aber den Gefrierpunkt zumindest so stark herab, dass die Tiere Temperaturen von -10°C oder sogar -17°C überleben können.

Ein im Tierreich sehr beliebtes Gefrierschutzmittel ist Glycerin, das ja leicht aus dem Abbau von Fetten gewonnen werden kann. Bestimmte Glykoproteine erlauben es den Tieren sogar, bei Temperaturen von -45°C zu überleben.

Flucht nach vorn

Eine völlig andere Technik, die auf den ersten Blick paradox wirkt - es handelt sich quasi um eine "Flucht nach vorn" - haben bestimmte Wirbellose entwickelt. In der extrazellulären Flüssigkeit befindet sich eine Verbindung, die das Gefrieren erleichtert(!). Wenn es kalt wird, gefriert die extrazelluläre Flüssigkeit. Dies ist nicht schädlich für den Organismus; gefährlich ist es nur, wenn die intrazelluläre Flüssigkeit gefriert.

Wenn eine wässrige Lösung gefriert, so bildet sich reines Wasser-Eis. Die in der Lösung enthaltenen Salz-Ionen, Zucker-Moleküle etc. verbleiben zunächst in dem noch flüssigen Rest, also in dem noch nicht gefrorenem Wasser. Dadurch erhöht sich aber die Konzentration dieser Teilchen im Wasser. Der osmotische Wert der Restflüssigkeit steigt an. Und was ist nun die Folge? Aus den Zellen strömt Wasser in den intrazellulären Raum zwischen den Zellen. Die Zellen verlieren also Wasser, was auf den ersten Blick nicht so vorteilhaft erscheint. Auf den zweiten Blick dagegen wird klar, wie genial diese Strategie ist. Wenn die Zellen weniger Wasser enthalten, können sie auch nicht mehr so leicht gefrieren, und die Bildung der tödlichen Eiskristalle in den Zellen bleibt aus. Auf diese Weise können Insekten und Insektenlarven sehr tiefe Temperaturen überleben. Eine Zuckmückenlarve hat man schon wiederbelebt, obwohl sie eine Temperatur von -32°C erreicht hatte (ECKERT, Tierphysiologie, 2002). Und die Bärtierchen, winzige Mikroorganismen, die höchstens 1 mm lang werden, können sogar Temperaturen unter -190°C aushalten. Sie entledigen sich nämlich des gesamten Zellwassers, und in völlig ausgetrocknetem Zustand überdauern sie dann diese tiefen Temperaturen.

Die Bildung von Wasserkristallen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt kann also durch geeignete Techniken verhindert werden. Was die Tiere aber nicht verhindern können, ist die Gültigkeit der RGT-Regel. Bei 10°C läuft der Stoffwechsel nur noch halb so schnell wie bei Zimmertemperatur, bei 0°C nur noch ein Viertel so schnell, und bei -10°C sogar nur noch ein Achtel so schnell.

Eine Lösung, die sich für dieses Problem im Laufe der Evolution durchgesetzt hat, ist die "Erfindung" von kälteresistenten Enzymen, von Enzymen also, deren Temperaturoptimum bei recht niedrigen Temperaturen liegt und die auch bei 0°C oder gar -10°C noch einigermaßen schnell arbeiten.

Die Lactat-Dehydrogenase ist ein in fast allen Organismen vorkommendes Enzym, das Lactat zu Pyruvat oxidiert und dabei NAD+ zu NADH/H+ reduziert. Die Temperaturabhängigkeit dieses Enzyms wurde näher verglichen, und zwar bei zwei eng verwandten Fischarten. Die eine Fischart lebt in kaltem Wasser (ca. -2°C), die andere Fischart in warmen Wasser (ca. 20°C). Nun wurde untersucht, mit welcher Geschwindigkeit die Lactat-Dehydrogenasen beider Fischarten ihr Substrat, das Lactat, umsetzen. Und das überraschende Ergebnis: Beide Enzyme-Varianten arbeiten gleich schnell. Das Enzym aus der kälteliebenden Fischart ("liebend" ist hier allerdings mit Vorsicht zu genießen; siehe Hohenheimer Grundwasserversuch) arbeitet bei -2°C genau so schnell wie das Enzym aus der "wärmeliebenden" Art bei 20°C. Möglich ist dies durch eine oder mehrere Mutationen in der Aminosäuresequenz dieses Enzyms, die zu einer Verschiebung des Temperaturoptimums geführt haben. In normal warmem Wasser hätte eine solche Mutation keine Überlebenschance gehabt, was soll ein Fisch, der bei 20°C lebt, mit einem Enzym anfangen, das sein Optimum nahe am Gefrierpunkt des Wassers hat? Bei den in der Kälte lebenden Fischen ist eine solche Mutation jedoch von Vorteil.

Das Verhältnis Volumen : Oberfläche

Falls Sie sich noch nicht über die BERGMANNsche Regel informiert haben, holen Sie das jetzt bitte nach.

Physikalische Tatsachen:

Das Volumen eines Körpers wächst mit der dritten Potenz, die Oberfläche mit der zweiten. Ein Würfel mit der Kantenlänge von 1 cm hat ein Volumen von 1 cm3 und eine Oberfläche von 6 cm2.

Je größer das Volumen eines Tierkörpers, desto mehr Zellen können Wärme produzieren. Für die Abgabe von Wärme ist die Körperoberfläche verantwortlich. Je größer die Körperoberfläche, desto mehr Wärme kann abgegeben werden.

KL V O V/O
1 1 cm3 6 cm2 0,167 cm
2 8 cm3 24 cm2 0,333 cm
3 27 cm3 54 cm2 0,500 cm
4 64 cm3 96 cm2 0,667 cm

Die Tabelle zeigt für vier verschiedene Würfel das Volumen, die Oberfläche und das Verhältnis Volumen / Oberfläche. Man sieht ganz klar: Ein doppelt so großer Würfel hat ein achtfaches Volumen, aber nur eine vierfache Oberfläche. Ob man dies jetzt als "günstig" oder "ungünstig" bezeichnet, hängt davon ab, ob das Tier ektotherm oder endotherm ist und ob es in einer kalten oder heißen Gegend lebt.

Für endotherme Tiere gilt: In kalten Gegenden ist Körpergröße von Vorteil.

Je größer der Körper, desto mehr Wärme kann produziert werden, und desto weniger Wärme geht anteilsmäßig über die Oberfläche verloren, weil das Verhältnis Volumen : Oberfläche bei großen Tieren günstiger ist. In heißen Gegenden ist es für endotherme Tiere dagegen günstiger, nicht allzu groß zu sein, damit möglichst viel Körperwärme über die Oberfläche abgegeben werden kann. Andererseits besteht hier die Gefahr, dass die Tiere über die relativ große Körperoberfläche Wärme von außen aufnehmen. Daher werden endotherme Tiere in heißen Gegenden nicht allzu klein sein; es wird sich ein optimaler Kompromiss einstellen, was die Körpergröße angeht.

Bei ektothermen Tieren ist alles genau umgekehrt. Tiere in kalten Gegenden müssen möglichst viel Wärme aus der Umgebung aufnehmen. Es ist daher für sie günstig, wenn sie eine im Verhältnis zum Volumen sehr große Oberfläche haben. Das heißt, es ist für sie günstig, in kalten Gegenden möglichst klein zu sein. In heißen Gegenden dagegen können Ektotherme dagegen deutlich größer sein.