Helmichs Biologie-Lexikon

Gendrift

Kleine Populationen

Gerade bei kleinen Populationen gibt es immer wieder Umstände, bei denen ein Teil der Population stirbt, während ein anderer Teil überlebt. Bei einer Naturkatastrophe, zum Beispiel einer Überschwemmung oder einem Orkan, sterben sowohl gut an die Umwelt angepasste Individuen wie auch weniger gut angepasste Tiere oder Pflanzen; es hängt weniger von dem Grad der Anpassung als vielmehr vom Zufall ab, wer überlebt. Dieses Phänomen wird in der Fachliteratur als Gendrift bezeichnet.

Durch Gendrift wird zwar die genetische Zusammensetzung der Population verändert, und zwar erheblich, es entstehen dadurch aber keine neuen Allele. Im Gegenteil, ist kann sogar sein, dass die Anzahl der verschiedenen Allele reduziert wird. Dies würde dann sogar zu einer Verringerung der genetischen Variabilität führen.

Flaschenhalseffekt

Als Flaschenhalseffekt bezeichnet man die Tatsache, dass kleine Populationen besonders anfällig für Gendrift sind. Das kommt zum Beispiel dann vor, wenn ein Teil der Population in einen neuen Lebensraum auswandert und dort eine neue ökologische Nische erschließt.

Modellbeispiel 1:
siehe folgenden Text

Verdeutlichung des Flaschenhalseffektes

In der Flasche befanden sich 40 bunte Kugeln, und zwar 8 rote, 8 blaue, 8 gelbe, 8 grüne und 8 violette. Nun wird ein kleiner Teil dieser Kugeln in die Schale geschüttet, nachdem 8 Kugeln in die Schale gefallen sind, wird die Flasche verschlossen.

In der Schale befinden sich nun 2 rote, 1 blaue, 1 gelbe, 1 grüne und 3 violette Kugeln. Der Anteil der violetten Kugeln ist also durch diese völlig zufällige Ereignis von 20% auf 37,5% gestiegen, während der Anteil der blauen, grünen und gelben Kugeln von je 20% auf 12,5 gefallen ist.

Modellbeispiel 2:

Spielen wir dazu ein weiteres Modell durch. In einem See sollen sich 50 Fische mit fünf verschiedenen Genotypen befinden:

Modellbeispiel: In einem See leben 50 Fische mit fünf unterschiedlichen Genotypen

Die Genotypen sind ungefähr gleich verteilt, jeder Genotyp hat einen Anteil von ca. 20% (plus/minus 4%).

Nun kommt es zu einer großen Trockenheit. Das Wasser des Sees verdunstet, und am Ende bleiben nur noch zwei Tümpel übrig. In dem großen Tümpel lebt der Hauptteil der Population, in dem kleinen Tümpel leben jetzt die abgetrennten Individuen.

siehe folgenden Text

Modellbeispiel: Der See ist in zwei kleine Tümpel aufgeteilt worden

Diese kleine Teilpopulation, die durch den "Flaschenhals" der Separation (Abtrennung) gegangen ist, hat nun eine völlig andere genetische Zusammensetzung als die Hauptpopulation, die in dem großen Tümpel lebt. Zum Beispiel hatten die "blauen" Fische vorher einen Anteil von 18% an der Gesamtpopulation. Nach der Separation hat sich der Anteil der "blauen" Fische in dem großen Tümpel auf über 20% vergrößert, in dem kleinen Tümpel jedoch auf gut 12% verringert.

Alle können verschwinden

Hätte die Teilpopulation in dem kleineren Tümpel noch weniger Individuen als die 16 aus dem zweiten Modellbeispiel, dann könnte es durchaus sein, dass gar keine blauen oder gelben Phänotypen mehr vorkommen. Bei einem rezessiven Erbgang könnten die entsprechenden Allele dann immer noch in der Population vorhanden sein, bei einem dominanten Erbgang (rot und blau dominieren) aber nicht, die Allele wären dann verschwunden.

Alle können fixiert werden

Auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Wenn in dem kleinen Tümpel beispielsweise nur vier rote Fische leben, aber keine andersfarbigen, dann hätte sich das Allel für die rote Farbe in dieser Teilpopulation fixiert. Es gäbe dann keine anderen Allele mehr, die Variabilität der Population wäre drastisch reduziert. Man spricht hier von einer Fixierung dieses Allels.

Gründereffekt

Nicht nur Naturkatastrophen wie plötzliche Trockenheit, Wassereinbrüche, Vulkanausbrüche, Orkane etc. verursachen eine Gendrift, sondern auch harmlosere natürliche Vorgänge.

Angenommen, die intraspezifische Konkurrenz in einer Population ist so groß geworden, dass nicht mehr alle Individuen vernünftig leben können. Dann wandert oft ein kleiner Teil der Population in einen neuen Lebensraum aus und versucht dort sein Glück. Auch hier ist es meistens dem Zufall überlassen, welche Genotypen auswandern und eine neue Population gründen. Die Allelfrequenzen dieser Gründer können sich daher stark von den Allelfrequenzen der Ausgangspopulation unterscheiden. In diesem Zusammenhang - Auswandern und Gründen einer neuen Population, spricht man auch vom Gründereffekt.

Neben diesen "freiwilligen" Gründungen neuer Populationen gibt es auch unfreiwillige. Wenn zum Beispiel etwas Froschlaich an dem Fuß eines größeren Vogels hängenbleibt und der dann zu einem anderen See fliegt, wo diese Froschart noch nicht heimisch war, hat der Vogel ohne es zu wissen vielleicht eine neue Froschpopulation gegründet. Ein anderes Beispiel sind eingewanderte Tierarten wie zum Beispiel der Waschbär, der aus Amerika kommt und in Deutschland ursprünglich gar nicht heimisch war. Durch irgendwelche Transporte ist die Art aber nach Europa gekommen und breitet sich mangels Konkurrenten hier munter aus.

Weitere Einzelheiten und Beispiele siehe "Gründereffekt" in meinem Biologie-Lexikon.