Helmichs Biologie-Lexikon

Epigenetik

"Unter Epigenetik versteht man molekulare Mechanismen, die zu einem stärkeren oder schwächeren Ablesen von Genen führen, ohne dass die dort gespeicherte Information verändert wird. Dabei markieren Enzyme bestimmte Abschnitte der DNA. "
(Spektrum.de, Dossier Epigenetik).

Epigenetik und Genetik

Schon seit Jahrzehnten wird in jeder gymnasialen Oberstufe im Biologie-Unterricht das Thema Genregulation behandelt. Zunächst wird meistens das lac-Operon vorgestellt, das ja ein Musterbeispiel für Substrat-Induktion ist. In der Regel wird dann auch noch über Endprodukt-Repression gesprochen, und in den meisten Kursen wird dann auch noch die Genregulation bei Eukaryoten thematisiert. All diese Mechanismen haben gemeinsam, dass der Regulationzustand nicht vererbt werden kann. Wenn ein Bakterium in ein Lactose-reiches Nährmedium gesetzt wird, werden über den Mechanismus der Substrat-Induktion die drei lac-Gene aktiviert und transkribiert. Bei der Translation werden dann Enzyme gebildet, welche die Lactose abbauen. Sinkt die Lactose-Konzentration dadurch unter einen bestimmten werden, setzt sich der lac-Repressor wieder an den Operator des lac-Operons, und die RNA-Polymerase kann die drei Strukturgene nicht mehr transkribieren. Vererbt wird der jeweilige Aktivitätszustand des lac-Operons allerdings nicht.

Bei der Epigenetik ist das völlig anders. Auch hier spielen Mechanismen, welche die Transkription von Genen beeinflussen, eine wichtige Rolle. Allerdings sind das völlig andere Mechanismen als bei der "klassischen" Genregulation nach dem Operator-Repressor-Modell.

Methylierung der DNA

Die DNA ist im Zellkern um bestimmte Proteine gewickelt, die Histone. Wenn ein Gen transkribiert werden soll, lockert sich der DNA-Histon-Komplex des Chromosoms auf ("Entspiralisierung"), und die RNA-Polymerase kann die DNA ablesen.

Bestimmte Umweltfaktoren aktivieren aber Enzyme, welche ihrerseits Methylgruppen (-CH3) an die Histone der Chromosomen setzen. Man spricht hier von einer Methylierung der DNA, obwohl die Methylgruppen sich hauptsächlich an die Histone setzen. Die Folge einer solchen Methylierung ist, dass sich die DNA wieder verdichtet, die Nucleosomen lagern sich enger zusammen, und die RNA-Polymerase kann keine Transkription mehr durchführen - oder nur noch unter erschwerten Bedingungen, also sehr langsam.

Das wäre ja alles noch nicht besonders interssant und würde lediglich als Spezialfall einer besonders raffinierten Genregulation durchgehen, wenn nicht dieses Methylierungsmuster weitervererbt werden würde. Und genau das hat man bei Pflanzen und auch bei Tieren gefunden. Im Augenblick forscht man nach, ob auch beim Menschen die DNA-Methylierung eine Rolle spielt und ob auch beim Menschen das Methylierungsmuster weitervererbt werden kann.

Dieses Spezialgebiet der Genetik wird als Epigenetik bezeichnet, und das Methylierungsmuster, das auf die Nachkommen weitergegeben werden kann, bezeichnet man als Epigenom.

Acetylierung der DNA

Eine andere Form der Beeinflussung ist die Acetylierung. An bestimmte Histon-Moleküle des Chromatins können Acetylgruppen angehängt werden. Dadurch lockert sich das Chromatin auf, so dass die RNA-Polymerase leichter transkribieren kann.

Epigenetik und Evolution

Epigenetische Vorgänge können bei der Evolution eine wichtige Rolle spielen, erlauben sie doch nicht nur eine rasche Modifikation des Phänotyps in Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, sondern auch eine Weitervererbung dieser erworbenen Eigenschaften. Lamarck würde sich sicherlich freuen, wenn er dies noch miterleben könnte, hatte er doch genau das behauptet, dass erworbene Eigenschaften an die Nachkommen weitergegeben werden können.

Allerdings scheinen die Erkenntnisse der Epigenetik eher dafür zu sprechen, dass solche erworbenen Eigenschaften zwar weitervererbt werden können, allerdings mit drei gravierenden Einschränkungen:

  1. Es werden längst nicht alle erworbenen Eigenschaften weitervererbt
  2. Nach drei oder spätestens vier Generationen "verdünnt" sich der Effekt wieder, die vererbten Eigenschaften verschwinden also langsam wieder aus der Erblinie. Eine Evolution im Sinne Lamarcks oder Darwins kann damit also nicht funktionieren.
  3. Neue Gene, die für neue Eigenschaften stehen, können durch epigenetische Prozesse nicht entstehen. Epigenetik beschränkt sich auf das An- und Abschalten bereits vorhandener Gene.