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Lebensdauer des Carbenium-Ions

Grundlagen - Kinetik - SN2 - SN2-Mechanismus - SN1 - SN1-Mechanismus - Konkurrenz

SN1 und SN2 als Grenzfälle

Wir haben die SN1-Reaktion und die SN2-Reaktion kennengelernt und gründlich untersucht. Auch die Frage, unter welchen Bedingungen eher eine SN1- bzw. eine SN2-Reaktion stattfindet, haben wir ausführlich besprochen.

Allerdings ist es nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht. Es gibt nicht nur SN1- und SN2-Reaktionen, sondern Reaktionstypen, die irgendwo dazwischen liegen. SN1-Reaktion und SN2-Reaktion sind nur zwei Grenzfälle, die sich besonders gut beschreiben lassen und damit auch für den gymnasialen Oberstufenunterricht geeignet sind.

Ein entscheidender Faktor, der den Reaktionsmechanismus beeinflusst, ist die Lebensdauer des Carbenium-Ions bei der SN1-Reaktion.

Carbenium-Ionen

Carbenium-Ionen haben eine unterschiedliche Lebensdauer. Stabile Carbenium-Ionen wie wir sie vor allem bei tertiären Verbindungen antreffen, haben eine recht hohe Lebensdauer. Primäre Carbenium-Ionen sind dagegen sehr instabil und haben entsprechend eine geringe Lebensdauer.

Wenn wir hier von der "Lebensdauer eines Carbenium-Ions" reden, sind extrem kurze Zeiteinheiten gemeint. Die Halbwertszeit eines sehr stabilen tertiären Butyl-Kations liegt im Lösemittel Wasser bei unter 10-10 Sekunden. Sekundäre und primäre Carbenium-Ionen haben eine noch kürzere Halbwertszeit. Unter der Halbwertszeit verstehen wir die Zeit, die vergeht, bis genau die Hälfte der Carbenium-Ionen "verschwunden" ist, zum Beispiel durch Anlagerung eines Nucleophils oder durch Abspaltung eines Protons.

Langlebige Carbenium-Ionen begünstigen den SN1-Mechanismus. Allerdings ist das langlebige Carbenium-Ion schon von einer Solvathülle umgeben, durch das sich das Nucleophil "hindurcharbeiten" muss. Die Anlagerung des Nucleophils ist also mit einem gewissen Energieaufwand verbunden.

Bei Carbenium-Ionen mit geringerer Lebensdauer sieht die Sache schon etwas anders aus. Die Moleküle des Lösemittels hatten noch "keine Zeit", sich um das Carbenium-Ion herum zu gruppieren, daher kann das Nucleophil das Carbenium-Ion leichter angreifen. Die Energiebarriere hierfür ist geringer als bei einem langlebigen Carbenium-Ion. Die Kinetik dieser Reaktion ist aber immer noch 1. Ordnung, weil das Nucleophil keinen Einfluss auf die Entstehung des Carbenium-Ions hat.

Bei sehr instabilen Carbenium-Ionen ist das anders. Wenn das Carbenium-Ion ensteht, bildet sich zunächst ein enges Ionenpaar (siehe Expertenseite "Das Konzept der Ionenpaare"). Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit rekombinieren die beiden Ionen (Carbenium-Ion und Nucleofug) wieder zum Substrat. Ist jetzt aber ein Nucleophil anwesend, das mit dem Carbenium-Ion reagiert, sobald es sich gebildet hat, wird eine solche Rekombination verhindert. In diesem Fall hat die Konzentration des Nucleophils einen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit der Substitution, und man findet eine Kinetik 2. Ordnung.

Der Extremfall der SN2-Reaktion liegt dann vor, wenn das Carbenium-Ion so instabil ist, dass es ohne Beteiligung des Nucleophils gar nicht mehr gebildet werden kann. Nur wird dann natürlich kein Carbenium-Ion mehr gebildet, sondern es ensteht der pentavalente Übergangszustand, in dem das Substrat noch mit dem Nucleofug und bereits mit dem Nucleophil verbunden ist.

Quellen:

  1. Carey/Sundberg, Organische Chemie - ein weiterführendes Lehrbuch, Weinheim 1995