Helmichs Biologie-Lexikon

Geißeln

Die Geißeln oder Flagellen (Singular: Flagellum) der Eukaryoten sind fadenförmige Ausstülpungen der Zelle und in der Regel zur Fortbewegung dieser Zellen dienen.

Auf dem folgenden Bild (Wikipedia) sehen wir einen elektronenmikroskopischen Querschnitt durch die beiden Geißeln von Chlamydomonas:

Querschnitt durch zwei Geißeln von Chlamydomonas
Dartmouth Electron Microscope Facility, Dartmouth College, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Innern einer Geißel kann man ein Paar Mikrotubuli erkennen, die nicht miteinander verbunden sind (Einzel-Mikrotubuli). Darum herum befinden sich neun Doppel-Mikrotubuli bzw. Mikrotubuli-Paare. Insgesamt spricht man hier von einem 9x2+2-Muster.

Das folgende Bild zeigt den Aufbau einer Geißel etwas genauer:

Querschnitt durch eine Geißel und Details eines Doppeltubulus
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Dieses selbstgezeichnete Bild ist aus verschiedenen Einzelabbildungen entstanden, die ich in der Wikipedia und in der Fachliteratur gefunden habe [1-3, 5].

In der Mitte der Geißel befinden sich zwei einzelne Mikrotubuli, die aus je 13 Tubulin-Strängen zusammengesetzt sind.

Mikrotubuli

Auf dieser Lexikonseite finden Sie weitere Einzelheiten zu den Mikrotubuli, die ja nicht nur in Geißeln vorkommen, sondern auch wichtige Bestandteile des Cytoskeletts sind.

In der Peripherie der membranumhüllten Geißel finden sich neun Doppeltubuli. Ein solcher Doppeltubulus ist oben rechts vergrößert zu sehen. Er besteht aus zwei Mikrotubuli und vier assoziierten Proteinen. Der A-Tubulus ist ein vollständiger Mikrotubulus (besteht also aus 13 Tubulin-Strängen). Der B-Tubulus ist an den A-Tubulus "angehängt", er besteht aus nur 11 Protofilamenten (Tubulin-Strängen).

Die Radialspeichen verbinden die peripheren Doppeltubuli mit der zentralen Scheide, die die beiden zentralen Tubuli umgibt.

Die beiden Dynein-Arme sind ATPasen, also Enzyme, die ATP spalten können. Dynein wandelt die in ATP gespeicherte chemische Energie in Bewegungsenergie (mechanische Energie) um. Die beiden Dynein-Arme sind also für die Bewegung der Geißel zuständig.

Das Nexin schließlich ist ein Protein, das die einzelnen Doppeltubuli miteinander verbindet, was der Stabilität der Geißel zugute kommt und auch für die peitschenartige Bewegung der Geißel wichtig ist.

Die Geißelbewegung kann Einzeller im flüssigen Medium vorantreiben, umgekehrt kann aber auch flüssiges Medium durch die Geißeln festsitzender Zellen bewegt werden.

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Lungenepithels
Louisa Howard, Public domain, via Wikimedia Commons

Das Flimmerepithel, das die Atemwege der Tiere auskleidet, besteht zum Beispiel aus Zellen mit vielen Kinocilien (Flimmerhärchen). Diese bewegen sich in synchroner Weise, so dass Verunreinigungen aus den Atemwegen heraustransportiert werden können. Die kleinen "Ausstülpungen" unten rechts im Bild sind keine Kinocilien, sondern Mikrovilli anderer Epithelzellen.

Bewegung der Geißeln

Im Prinzip funktioniert die Bewegung der Geißeln ähnlich wie das Aneinander-vorbei-Gleiten der Actin- und Myosinfasern in unseren Muskeln. Nur übernehmen hier die A- und B-Tubuli der neun peripheren Doppeltubuli die Rolle von Actin und Myosin.

Eine entscheidende Rolle spielen die äußeren Dyneinarme der Doppeltubuli:

Die äußeren Dyneinarme sind für die Bewegung der Geißel verantwortlich
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Der äußere Dyneinarm ist mit seiner Basis an dem Mikrotubulus A befestigt, und mit seinem Kopf kann er über Querbrücken Kontakt mit dem Tubus B des benachbarten Doppeltubus aufnehmen - ähnlich, wie die Myosinköpfe in einem Muskel Kontakt mit den Actinfasern aufnehmen.

Wenn ATP anwesend ist, werden die Dyneinköpfchen gelöst, unter Spaltung von ATP um ca. 45 º bewegt [7] und dann neu mit dem B-Tubus verbunden, wobei ADP und Pi freigesetzt werden. Dabei nehmen die Dyneinköpfchen wieder ihre ursprüngliche Position ein. Die Folge dieser ganzen Aktion ist eine kleine Verschiebung der benachbarten Doppelmikrotubuli.

In den Muskelzellen der Tiere führt diese Verschiebung (Actin-Myosin) zu einer Verkürzung der Muskelfaser. Im intrazellulären Transport von Vesikeln "laufen" Dynein-Einheiten mit den gebundenen Vesikeln auf Mikrotubuli entlang.

Bei Geißeln und Cilien sind die Doppeltubuli durch die Nexin-Brücken miteinander starr verbunden sind. Außerdem sind die Geißeln und Cilien fest mit der Basalplatte in der Zelle verankert. Eine Verschiebung benachbarter Doppeltubuli kann daher nicht stattfinden, stattdessen verbiegen sich die Geißeln.

Vielleicht könnte man dieses Verbiegen mit einem Bimetall vergleichen, bei dem sich die eine Metallschicht stärker ausdehnt als die andere, so dass sich der Metallstreifen krümmt.

"Dynein bewirkt, dass sich in jedem der äußeren Paare ein Mikrotubulus relativ Dynein bewirkt, dass sich in jedem der äußeren Paare ein Mikrotubulus relativ zum anderen bewegt, so dass sich die Gesamtstruktur verbiegt." [6].

Schlagmuster eukaryotischer Flagellen und Cilien
Original: Kohidai, L. Vector: Urutseg, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Dieses Bild aus der engl. Wikipedia zeigt, wie schlagende Geißeln Bewegung erzeugen können, entweder rotieren sie wie ein Propeller (links), oder sie schlagen hin- und her wie bei manchen Tretbooten (rechts).

"Beim effektiven Schlag bleibt das Cilium mehr oder weniger in ganzer Länge gestreckt, während es an seiner Verankerung im Zellkörper umgelegt wird. Beim Rückschlag dagegen krümmt sich das Cilium entlang seiner gesamten Länge elastisch durch, um mit geringstem Widerstand in die Ausgangsposition zurückzukehren. Wie durch die Armbewegung beim Brustschwimmen resultiert durch den unterschiedlichen hydrodynamischen Widerstand eine Nettobewegung durch den effektiven Schlag." [7].

Quellen:

  1. Niko Heddergott: "Zellbiologische Aspekte der Motilität von Trypanosoma brucei unter Berücksichtigung der Interaktion mit der Mikroumwelt". Würzburg 2010 (Dissertation).
  2. engl. Wikipedia, Artikel "Flagellum".
  3. Kadereit , Körner, Nick, Sonnewald: Strasburger - Lehrbuch der Pflanzenwissenschaften, 38. Auflage, Springer Berlin Heidelberg 2021.
  4. Wikipedia, Artikel "Flimmerepithel".
  5. Storch, Welsch: Kurzes Lehrbuch der Zoologie, 8. Auflage, Spektrum-Verlag 2005.
  6. Berg, Tymoczko, Gatto jr., Stryer: Stryer Biochemie, 8. Auflage, Springer Berlin Heidelberg 2018.
  7. Plattner, Hentschel. Zellbiologie, 5. Auflage. Stuttgart 2017.