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Wirkung von Benzodiazepinen am GABAA-Rezeptor

Zur Aufgabe

In dieser Abituraufgabe von 2017 (NRW) wurden Inhalte aus der Neurobiologie und aus der Molekulargenetik geprüft; die Aufgabe deckte also zwei Inhaltsfelder gleichzeitig ab.

Im Neurobiologie-Teil der Aufgabe geht es um GABA-Rezeptoren und ihre Beeinflussung durch Medikamente. Im Genetik-Teil geht es dann um Mutationen in den fünf Untereinheiten der GABA-Rezeptoren.

Material A / Teilaufgabe 1

Material A

In diesem Material wird zunächst der GABAA-Rezeptor vorgestellt. Er sitzt in der postsynaptischen Membran von Gehirn-Synapsen, besteht aus fünf Untereinheiten und wird durch Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) aktiviert. Es handelt sich um einen Ionenkanal, der für Chlorid-Ionen durchlässig ist. Neben dem Zentrum für GABA hat der Rezeptor weitere allosterische Zentren, an die bestimmte Wirkstoffe binden können. Vor allem die Benzodiazepine (Beruhigungsmittel wie Valium) werden hier genannt, welche den Ionenkanal aktivieren, so dass noch mehr Chlorid-Ionen in das Zellinnere fließen können, als wenn nur GABA allein gebunden wäre. Ein Gegenmittel, das bei einer Überdosierung von Benzodiazepin eingesetzt wird, ist Flumazenil.

In dem Material A finden sich zwei Zeichnungen. Abbildung 1 stellt die Struktur des GABAA-Rezeptors dar (siehe dazu meinen Lexikon-Artikel über GABA-Rezeptoren). Die Abbildung 2 ist ein Arbeitsmaterial für die erste Teilaufgabe. Es handelt sich um ein Membranpotenzial-Zeit-Diagramm. Auf der x-Achse ist die Zeit in ms eingetragen, auf der y-Achse das Membranpotenzial in mV. Zur Orientierung ist auch der Verlauf des Ruhepotenzials bei -70 mV eingezeichnet.

Teilaufgabe 1
Aufgabenstellung

Die erste Teilaufgabe bezieht sich direkt auf Material A. Die Kandidaten sollen in die Abbildung 2 das postsynaptische Potenzial des GABA-Rezeptors einzeichnen, wenn nur GABA wirkt und wenn GABA und Benzodiazepin gleichzeitig wirken. Die beiden Graphiken sollen anschließend erläutert werden.

Im zweiten Teil der Teilaufgabe 1 sollen sich die Kandidaten Gedanken darüber machen, wie das Gegenmittel Flumazenil wirken könnte. Zwei mögliche Wirkmechanismen sollen hier entwickelt werden - eine sehr anspruchsvolle Aufgabe aus dem Anforderungsbereich II bis III.

Erwartungen / Lösungen

Die Lösung dieser Teilaufgabe ist recht simpel. Bei der Einwirkung von GABA alleine senkt sich die Kurve des Membranpotenzial leicht ab, das Potenzial geht für ein paar Millisekunden von -70 mV auf ca. -80 mV herunter (leichte Hyperpolarisierung). Wirken GABA und Benzodiazepin gleichzeitig, geht das Membranpotenzial stärker herunter, vielleicht auf -90 mV. Bei der Erläuterung der Kurvenverläufe wird auch nicht viel erwartet. Die Kandidaten sollen erkennen, dass nach dem Andocken von GABA Chlorid-Ionen in die Zelle einströmen. Im Material A stand ja nur, dass sich die Chlorid-Kanäle öffnen. Aus dem Unterricht sollten die Schüler(innen) wissen, dass die Chlorid-Konzentration außerhalb der Zelle deutlich höher ist als innerhalb der Zelle. Daraus sollen die Kandidaten schlussfolgern, dass Chlorid-Ionen in die Zelle strömen, was zu einem inhibitorischen postsynaptischen Potenzial (IPSP) führt. Hier erkennt man wieder mal, dass es ohne ein gewisses Maß an Grundwissen nicht geht. Die Schüler(innen) müssen die Ionenverhältnisse innerhalb/außerhalb der Zelle kennen, sie müssen über Grundkenntnisse bezüglich Konzentrationsunterschieden und Diffusion verfügen, und sie sollten einige Fachbegriffe wie "inhibitorisches postsynaptisches Potenzial" kennen, damit sie auf die volle Punktzahl in der Abituraufgabe kommen.

Bei der Erklärung der aktivierenden Wirkung von Benzodiazepin wird erwartet, dass Benzodiazepin auch an die GABA-Rezeptoren andocken und die Wirkung von GABA verstärken, so dass mehr Chlorid-Ionen einströmen und so das IPSP verstärken. Hier müssen die Schüler(innen) nur das Material A richtig gelesen und vor allem verstanden haben, in dem wörtlich steht: "Aber in Gegenwart von GABA erhöhen Benzodiazepine die Frequenz, mit der sich der Kanal öffnet".

Material B / Teilaufgabe 2

Material B

In diesem Material wird die Struktur des GABAA-Rezeptors näher beschrieben. Eine Abbildung desselben findet sich ja bereits in dem Material A. Neu in Material B ist die Information, dass es von jeder Untereinheit mehrere Varianten gibt: α1–α6, β1–β3 und γ1–γ3. Jeder GABAA-Rezeptor ist aus zwei α-Einheiten, zwei β-Einheiten und einer γ-Einheit aufgebaut. Durch die Kombination der verschiedenen Varianten der Untereinheiten ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, unterschiedliche GABAA-Rezeptoren zu erzeugen. Die Zusammensetzung des Rezeptors hat starken Einfluss darauf, wie die verschiedenen Wirkstoffe den Rezeptor beeinflussen. Vor allem auf das Benzodiazepin-Gegenmittel Flumazenil sprechen die Varianten unterschiedlich gut an. "So haben GABAA-Rezeptoren mit einer γ2-Untereinheit eine mehr als 5000-fach höhere Affinität für Flumazenil als GABAA-Rezeptoren mit der γ1-Untereinheit."

Der zweite Teil des Materials geht nun auf die Genetik der Untereinheiten ein. Forscher wollten herausbekommen, ob man durch eine gezielte Veränderung der Untereinheit γ1 einen ähnlichen Effekt erzielen kann wie mit der Untereinheit γ2.

In der Abbildung 3 werden den Schüler(innen) Aminosäure-Sequenzen gezeigt, und zwar von γ1-Untereinheiten, von γ2-Untereinheiten sowie von einer modifizierten γ1-Untereinheit, bei der nur eine einzige Aminosäure an Position 79 ausgetauscht wurde, so dass die nun als γ1.1 bezeichnete Untereinheit der γ2-Untereinheit gleicht, zumindest an den Positionen 78 bis 82.

Die Abbildung 3 zeigt zusätzlich den Bereich der Aminosäuren 49 bis 53. Auch hier sieht man die Sequenzen der γ1-Untereinheit, der γ2-Untereinheit sowie einer modifizierten γ1-Untereinheit, bei der an Position 51 Arginin gegen Lysin ausgetauscht wurde, so dass die Sequenz jetzt mit der γ2-Untereinheit identisch ist. Diese modifizierte Untereinheit wird als γ1.2-Untereinheit bezeichnet.

Interessant ist nun die Abbildung 4. Hier sieht man, wie gut Flumazenil an Rezeptoren mit γ2- oder veränderten γ1-Untereinheiten bindet. An die γ2-Einheit bindet der Wirkstoff sehr gut (ca 8.300 Einheiten werden gebunden). An die γ1.1-Einheit bindet der Wirkstoff ebenfalls sehr gut, aber nicht ganz so gut (nur ca. 7.700 Einheiten). An die γ1.2-Einheit bindet der Wirkstoff überhaupt nicht.

Teilaufgabe 2
Aufgabenstellung

Die erste Teilaufgabe bezieht sich direkt auf die Aminosäure-Sequenzen in der Abbildung 3. Die Schüler(innen) sollen mögliche mRNA-Sequenzen für die angegebenen Aminosäure-Sequenzen aufschreiben und anhand dieser mRNA-Sequenzen dann die Punktmutationen erläutern.

Im zweiten Teil dieser Teilaufgabe sollen die Kandidaten dann den Erfolg der Forscher beurteilen, und zwar unter Berücksichtigung von Abbildung 4.

Erwartungen / Lösungen

Die Lösung des ersten Teils der Teilaufgabe ist recht simpel. Man braucht nur die Codesonne, die sich im Anhang der Aufgabe findet und muss sie korrekt anwenden. Dies allerdings müssen die Schüler(innen) vorher im Unterricht gelernt und geübt haben. Dann muss man erkennen, dass es sich auf RNA-Ebene bei den Mutationen um Substitutionen handelt, die Base Adenin wurde beispielsweise durch die Base Uracil ersetzt. Den Fachbegriff "Substitution" sollten die Schüler(innen) natürlich kennen. Die Folge dieser Substitution ist dann eine missense-Mutation, weil die Substitution zum Einbau einer anderen Aminosäure führt. Auch diesen Begriff müssen die Schüler(innen) bereits kennen.

Auch der zweite Teil der Aufgabe kann recht einfach gelöst werden. Im Material B wird das Problem folgendermaßen umrissen: "Neurowissenschaftler untersuchten, welche Unterschiede in den Aminosäuresequenzen der γ-Polypeptid-Varianten maßgeblich für die Bindung von Flumazenil verantwortlich sind."

Mit Hilfe der Abbildungen 3 und 4 kann man diese Fragestellung leicht beantworten: Wenn man die Aminosäure Isoleucin an Position 79 durch Phenylalanin ersetzt, bindet die γ1-Untereinheit fast genau so viel Wirkstoff wie die γ2-Untereinheit. Ersetzt man dagegen die Aminosäure Arginin an Position 51 durch Lysin, bindet der Wirkstoff überhaupt nicht mehr. Also ist die Aminosäure an Position 79 entscheidend für die Bindung von Flumazenil an die γ-Untereinheit, während die Aminosäure an Position 51 keine Rolle spielt.

Material C / Teilaufgabe 3

Material C

Dieses Material besteht hauptsächlich aus der Abbildung 5, in der man drei verschaltete Neuronen sieht. Ein groß gezeichnetes Neuron ist mit zwei kleineren vorgeschalteten Neuronen verbunden. Das große Neuron schüttet Dopamin aus, was aber für die Aufgabenstellung keine große Rolle spielt. Interessant ist vielmehr das eine vorgeschaltete Neuron, das als Interneuron bezeichnet wird. Dieses Interneuron besitzt GABAA-Rezeptoren. Sind diese mit GABA besetzt, so schüttet das nachgeschaltete große Neuron etwas Dopamin aus. Sind aber die GABAA-Rezeptoren des Interneurons mit GABA und Benzodiazepin besetzt, so schüttet das große Neuron sehr viel Dopamin aus.

Das zweite vorgeschaltete Neuron ist über eine erregende Synapse mit dem großen Neuron verbunden. Zu diesem Neuron liegen in Material C sonst keine weiteren Informationen vor.

Teilaufgabe 3
Aufgabenstellung

In dieser Teilaufgabe sollen die Kandidaten die in Abbildung 5 dargestellten neurologischen Prozesse vergleichen und analysieren.

Erwartungen / Lösungen

Die Lösung der Teilaufgabe ist abermals recht simpel. Durch das "untere" vorgeschaltete Neuron wird das große Neuron erregt, es kommt zu einem EPSP, das sich bis zum Axonhügel fortpflanzt und dort zu Aktionspotenzialen führt. Kommen diese am synaptischen Endknöpfchen an, erfolgt dort die Ausschüttung von Dopamin.

Das "obere" vorgeschaltete Neuron mit den GABAA-Rezeptoren wird an der postsynaptischen Membran hyperpolarisiert. Offensichtlich handelt es sich bei diesem Neuron um ein hemmendes Neuron. Durch die Hyperpolarisierung wird die Hemmwirkung allerdings etwas abgeschwächt, so dass das große Neuron stark genug erregt wird, um Dopamin freizusetzen.

Bindet jetzt allerdings Benzodiazepin an die GABAA-Rezeptoren des oberen Neurons, so wird die Hyperpolarisierung stärker, und die Hemmwirkung dieses Neurons auf das große Neuron wird weiter abgeschwächt. Das erregende untere Neuron kann sich jetzt stärker durchsetzen, und es wird mehr Dopamin freigesetzt.

Die Behauptung, dass die Lösung dieser Teilaufgabe "recht simpel" ist, wollen wir jetzt noch einmal überprüfen. Die Lösung ist nur dann "simpel", wenn im Material C gesagt wurde, dass das "obere" Neuron das große Neuron hemmt. "Gesagt" wurde das im Material zwar nicht direkt, aber es geht aus der Beschriftung der Abbildung 5 eindeutig hervor. An der Synapse zwischen dem oberen Interneuron und dem großen Neuron steht nämlich ein fettes "I", was in der Legende der Abbildung als "inhibitorische Synapse" gekennzeichnet ist. Für einen guten Schüler wäre diese Information eigentlich überflüssig gewesen, weil aus dem Material zwingend hervorgeht, dass das obere Neuron hemmend sein muss.